Der Krieg verkürzte seine Jugendzeit

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Hermann Scheidel aus Hirschaid mit Fotos und Zeugnissen aus seiner Zeit als Flakhelfer und Kriegsgefangener. Foto: Matthias Einwag
Hermann Scheidel aus Hirschaid mit Fotos und Zeugnissen aus seiner Zeit als Flakhelfer und Kriegsgefangener. Foto: Matthias Einwag

Wie junge Männer aus dem Raum Bamberg in den Krieg hineingezogen wurden.

A n seine Jugend erinnert sich Hermann Scheidel mit gemischten Gefühlen. Der 89-Jährige wuchs in Bamberg auf. Er besuchte die Oberrealschule, das heutige Clavius-Gymnasium. Mit knapp 16 Jahren wurde er als Luftwaffenhelfer eingezogen, um an einem Flak-Geschütz ausgebildet zu werden. "Am 5. Januar 1944 sind wir abmarschiert", sagt er. Seine ganze Klasse wurde nach Grafenrheinfeld verlegt, wo damals starke Luftverteidigungsstellungen errichtet waren, die dem Schutz der kriegswichtigen Kugellagerindustrie dienten.
Die Jungen aus Bamberg wurden zunächst in einem Tanzsaal untergebracht - in Quarantäne, denn Scharlach war ausgebrochen. Ein Stabswachtmeister führte die Aufsicht. Zwei- bis dreimal pro Woche reisten die Bamberger Lehrer an, um Unterricht zu geben. "Den Unterricht können Sie vergessen, der fand zu dieser Zeit nur noch sporadisch statt", sagt Hermann Scheidel. Vor allem wurden die jungen Männer an 8,8-Zentimeter-Flakgeschützen ausgebildet.
An den ersten schweren Luftangriff, den er in Grafenrheinfeld erlebte, erinnert er sich mit Schaudern. Die deutsche Luftverteidigung hatte die alliierten Bomber absichtlich durch falsche Zielmarkierungen getäuscht, so dass diese ihre tödliche Last nicht auf Schweinfurt abwarfen, sondern auf das unbedeutende Dorf Grafenrheinfeld. "Genau an meinem 16. Geburtstag, vom 24. auf den 25. Februar 1944, war das", sagt Hermann Scheidel, "da waren wir immer noch in Quarantäne".
Zuflucht suchten die Jungen und die Einwohner Grafenrheinfelds im großen Keller der Brauereiwirtschaft. "Ich bin ein Mensch, der in Gefahrensituationen sehr ruhig ist", beschreibt Hermann Scheidel seinen Gemütszustand. Ein Mitschüler neben ihm zitterte hingegen vor Angst, während draußen Bomben und Luftminen niedergingen und Grafenrheinfeld zu 80 Prozent zerstörten: "Diese Luftminen ließen Eisentüren wegfliegen."


Flammen mit Jauche gelöscht

"In dieser Nacht hatte es 20 Grad minus", fährt der Zeitzeuge fort. Das hatte den Vorteil, dass viele der Phosphorbrandbomben nicht zündeten, "aber es hatte den Nachteil, dass wir kein Löschwasser hatten, wir mussten mit Jauche löschen".
Was ihn noch heute, mehr als 73 Jahre nach dem Erlebnis, beschäftigt, schildert der pensionierte Chemiekaufmann aus Hirschaid mit bewegten Worten. Ein gleichaltriges Mädchen, das Seidenstrümpfe trug, faszinierte die 16-Jährigen. Bewundernd blickten sie der jungen Dame nach. Nach dem Bombenangriff lagen die 13 Toten aus Grafenrheinfeld auf dem Pflaster - unter ihnen das Mädchen mit den Seidenstrümpfen. Das Bild ihrer verdrehten Beine hat sich in Hermann Scheidels Gedächtnis eingebrannt. Auch an die gespenstische Kulisse des brennenden Schweinfurt in manch anderer Nacht erinnert er sich voller Grauen.
Im Spätsommer 1944 wurden die Flakhelfer aus Franken nach Merseburg verlegt, um die Buna-Chemiewerke gegen Luftangriffe zu schützen. "Eigentlich sollten wir nach Usedom kommen", erzählt der 89-Jährige und fährt fort: "Vieles ist vorgezeichnet - Usedom wurde kurz darauf schwer bombardiert". Er wisse nicht, ob er diesen Angriff überlebt hätte: "Das ist alles Schicksal."
Als Hermann Scheidel im September 1944 von einem Urlaubstag, den er in Leipzig verbrachte, zu seiner Großkampfbatterie nach Merseburg zurückkam, wurde ihm mitgeteilt, dass sein Vater gefallen sei - bei einem amerikanischen Fliegerangriff in Bosnien.
Anfang 1945 wurde der 17-Jährige zum Reichsarbeitsdienst nach Königsfeld einberufen. Die jungen Männer sollten kurz vor Kriegsende noch die "Alpenfestung" verteidigen. Hermann Scheidel und zwei seiner Kameraden flüchteten aber und schlugen sich unter Lebensgefahr nach Bamberg durch. Dort ergaben sie sich den Amerikanern. Über ein Sammellager bei Bad Kissingen wurde Hermann Scheidel daraufhin an die Franzosen überstellt. In der Nähe von Clermont-Ferrand arbeitete der Kriegsgefangene als Müller und Ölpresser. Doch er wollte nach Hause. Nach zwei missglückten Fluchtversuchen wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. "Am 5. Januar 1948, vier Jahre nachdem wir nach Grafenrheinfeld abmarschiert waren, bestieg ich in Toulouse den Zug in Richtung Heimat."
Einige Fotos hat er aufbewahrt, sein "Luftwaffenhelferzeugnis" besitzt er noch. Es ist vergilbt und auf schlechtes Papier gedruckt, reichlich mit Stempeln und Unterschriften versehen. Es macht ihn nachdenklich, in diesen Papieren zu blättern, denn die Dokumente machen das Erlebte präsent.