Der Friedhof der Kinder

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Auf dem Friedhof in Oksböl in Dänemark ruhen besonders viele Kinder und Neugeborene.

E in Grabstein mit der Inschrift "Schmidt". Ohne Vornamen; statt Geburts- und Sterbedatum steht nur 25.11.45 darauf. Das ist ungewöhnlich, das lässt rätseln. Lag das Geburtsdatum nicht vor? Fand man den Vornamen nicht mehr heraus in den Wirren des Kriegsendes?
Nicht weit von der dänischen Nordseeküste entfernt liegt Oksböl. In dem jütländischen Ort befand sich zwischen 1945 und 1949 ein Flüchtlingslager. Vor allem Deutsche, die über die Ostsee gekommen waren, fanden hier Aufnahme.
Die Dänen internierten die deutschen Flüchtlinge zu jener Zeit hinter Stacheldraht. Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Wer die Flucht über die Ostsee überlebt hatte, litt an Unterernährung und unter Seuchen. Bis zu 35 000 Menschen, großenteils Kinder, Frauen und alte Leute, waren in dem Barackenlager untergebracht.
Wer heute nach Oksböl fährt, findet nichts mehr von dem Lager vor. Wohl aber den parkartigen Friedhof, der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gepflegt wird. Zunächst waren an diesem Ort rund 1300 Tote beigesetzt. Durch Zubettungen weiterer Kriegstoter wurde der Friedhof wesentlich vergrößert. Heute ruhen hier 1796 Kriegstote - 121 Soldaten und 1675 Flüchtlinge.
Wer über diesen Friedhof mit mächtigen Eichen, getrimmten Rasenflächen und trassierenden Rhododendrenreihen geht, der kann gedanklich nur schwer eintauchen in die Zeit des Kriegsendes. Auf den gleichförmigen Grabsteinen finden sich Namen ganzer Familien, die bei der Flucht oder kurz danach ums Leben kamen: Hedwig Sahm (*1873), Ibe Sahm (*1901), Eleonora Sahm (*1942), Ludwig Sahm (*1943) und Birgit Sahm (*1945) - alle eint dasselbe Schicksal, der unnatürliche Tod infolge der Flucht. Als Einziger überlebte der Vater der Kinder, Leo Sahm. Dem Volksbund liegt ein Briefwechsel vor, der dessen Suche nach seiner Familie dokumentiert.
Wenn Steine reden könnten... Exemplarisch sei ein Schicksal skizziert: Nach einer abenteuerlichen Flucht erreicht die schwangere Anna Rutkowski aus Liewenberg in Ostpreußen mit drei ihrer fünf Kinder Oksböl. Am 22. September 1945 werden dort die Zwillinge Lothar und Manfred geboren. Wie viele andere Säuglinge können sie nicht ausreichend ernährt werden und sterben zwei Monate später im Lazarett. Sie ruhen in Oksböl: Reihe 32, Grab 444/445.
Dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge liege viel daran, Einzelschicksale sauber und konsequent aufzuarbeiten, sagt dessen bayerischer Landesvorsitzender, Wilhelm Weidinger. In einer Zeit, in der Fremdenfeindlichkeit "wieder ein Agens der Politik wird", habe der Volksbund die Genugtuung, "dass unsere Arbeit noch dringlicher wird als in den vergangenen Jahren".
Der Volksbund, erklärt Landesgeschäftsführer Jörg Raab, trete deshalb in den Dialog mit den Bürgern. Nicht zuletzt, um das 100-jährige Bestehen dieses fast ausschließlich durch Spenden finanzierten, gemeinnützigen Vereins zu sichern. Der Volksbund organisiert zum Beispiel Jugendlager, deren Zweck es ist, Gräberfelder, Wege und Grabsteine zu pflegen - wie es seit 1953 in Oksböl geschieht. Regelmäßig gibt der Volksbund pädagogische Handreichungen heraus, in denen die Beispiele aus der Praxis erfasst und niedergeschrieben sind - etwa jene zum Thema "Flüchtlinge". In Arbeit ist derzeit eine Handreichung zum 100. Jahrestag des Kriegsendes 1918.
Der eingangs erwähnte Grabstein in Oksböl lässt sich nun erklären: "Schmidt" war ein Baby, das am Tag seiner Geburt starb, so dass nicht einmal Zeit war, ihm einen Vornamen zu geben. Ob es ein Mädchen oder ein Junge war, kann nicht mehr ermittelt werden. Auch die Geschichte seiner Mutter bleibt im Dunkel der Geschichte. Allein der Grabstein erinnert an das Schicksal dieses Kindes.