Vor 40 Jahren beendete ein israelisches Kommando in Entebbe eine Geiselnahme. Unter den Flugzeugentführern war der aus Bamberg stammende Wilfried Böse.
Die Aktion dauerte nur etwa 90 Minuten. Rund 100 israelische Soldaten waren in der Nacht zum 4. Juli 1976 mit vier Hercules-Maschinen auf dem Flughafen der ugandischen Stadt Entebbe gelandet. Dort wurden ein schwarzer Mercedes ausgeladen und einige Landrover: Damit sollte ein Konvoi des damaligen ugandischen Regierungspräsidenten Idi Amin vorgetäuscht werden. Bereits während der Anfahrt erschoss Oberstleutnant Jonathan Netanjahu, der ältere Bruder des späteren israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu, zwei ugandische Soldaten, bevor er selbst von den Ugandern getötet wurde. Die Israelis stürmten in die Halle, in der 103 Geiseln gefangen gehalten wurden. Bei der Befreiungsaktion starben drei Geiseln, sieben Terroristen und etwa 45 ugandische Soldaten. Außerdem zerstörten die Israelis elf MiG-Kampfjets, um den eigenen Rückzug zu sichern. Weil sie auf dem Heimflug in Nairobi zwischenlanden konnten, ließ Idi Amin aus Rache Hunderte Kenianer in Uganda umbringen, außerdem die Geisel Dora Bloch im Krankenhaus von Entebbe sowie Personal, das sie schützen wollte.
Klaus Kinski als Wilfried Böse
Die "Operation Thunderbolt" ist bis heute legendär, mehrfach verfilmt, u. a. mit Klaus Kinski als Wilfried Böse. Der damals 27-Jährige war Kommandant der Gruppe, die am 27. Juni 1976 eine Air-France-Maschine in Athen entführt hatte. Seine Komplizen waren Brigitte Kuhlmann sowie zunächst zwei, dann mehrere Palästinenser. In Entebbe übernahm der Führer einer Splittergruppe der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP), Wadi Haddad, das Kommando. Es sollten 53 Gefangene aus mehreren Ländern freigepresst werden, darunter sieben Deutsche. Nach der Landung in Uganda war Ungeheuerliches geschehen: Die Luftpiraten hatten jüdische und israelische Passagiere von den nichtjüdischen getrennt, unter maßgeblicher Beteiligung deutscher Linksradikaler. Die nichtjüdischen Gefangenen wurden freigelassen.
Wilfried Böse: Informationen vom Dientzenhofer-Gymnasium
Der "Fränkische Tag" hatte über die Flugzeugentführung tagelang berichtet. Über Wilfried Böse hieß es in dürren Worten zweimal, zum Beispiel am 5. Juli 1976, "der übrigens aus Bamberg stammt". Weitere Informationen: keine. Wolfgang Kraushaar, Soziologe und Zeithistoriker, weiß in seinem Standardwerk "Die RAF und der linke Terrorismus" von 2006 einiges über den Drahtzieher in der Frankfurter linken Szene der frühen siebziger Jahre, über sein Vorleben jedoch kaum etwas. Man munkelte am Bamberger Dientzenhofer-Gymnasium über einiges, Genaues war nicht bekannt. Es ist das unschätzbare Verdienst eines Geschichtslehrers dieser Schule, Rafael Rempe, und seines P-Seminars von 2013, zuverlässige biografische Daten über Wilfried Böse gesammelt, in einer Ausstellung präsentiert und im Internet (www.kaindenkmal-boese.jimdo.com) bereit gestellt zu haben. Rempe hat auch Kraushaar mehrfach zu Vorträgen nach Bamberg geholt. (Der vorliegende Artikel basiert zu großen Teilen auf diesen Materialien.)
Wilfried Böse: die Karriere eines Rebellen aus Bamberg
Es ergibt sich das Bild einer typischen Rebellenkarriere in den sechziger Jahren. Böse, 1949 in Bad Cannstatt in bürgerlichen Verhältnissen geboren, zog mit seinen Eltern im Jahr darauf nach Bamberg. Ab 1959 besuchte er die Oberrealschule (OR), das spätere Clavius-Gymnasium, dann das Dientzenhofer-Gymnasium. Das genoss zu dieser Zeit den Ruf von Reformfreude und Progressivität. Dennoch wirkten auch hier natürlich konservative bis reaktionäre Lehrkräfte. Der zornige junge Mann, schon damals politisch weit links stehend, geriet schnell in Konflikt mit den Autoritäten. Als Klassensprecher setzte er sich für Mitschüler ein, entwickelte andererseits ein ausgeprägtes Ego mit Interessen für Theater, Literatur und Musik. Alles zeit- und alterstypisch.
Schließlich nahmen ihn seine Eltern von der Schule. Ab 1966 besuchte er das Ansbacher Platen-Gymnasium und wohnte im Internat Alumneum. Er arbeitete an einer Schülerzeitung "Wecker" mit, die es immerhin zu einem Interview mit dem Schah bei dessen Besuch 1967 brachte ("Bewegung 2. Juni"). Nach dem Abitur studierte Böse zwei Semester in Freiburg u. a. Soziologie und Politologie, bevor er 1969 nach Frankfurt wechselte. Das war damals in Zeiten der in verschiedene Fraktionen zerfallenden Studentenbewegung - der SDS löste sich 1970 auf - eine Hochburg der Linken. Häuserkampf, Entstehung maoistischer Kaderparteien, Spontis und "Revolutionärer Kampf": Frankfurt war ein Schmelztiegel der Neuen Linken, in dem es brodelte. Und auch ein Zentrum des so genannten bewaffneten Kampfes, von RAF und "Revolutionären Zellen", zu deren Mitbegründern Böse 1972 zählte. Die Mitglieder dieses autonomen Netzwerks tauchten nicht ab in den Untergrund wie die RAF, sondern hielten eine Scheinlegalität aufrecht ("Feierabendterroristen").
Der Terrorist aus Franken beschafft Waffen
Lange war die Rolle Böses, der den Kontakt zu den Eltern und der Heimatstadt wohl abgebrochen hatte, im Terrorismus der frühen siebziger Jahre unterschätzt worden. Erst die Recherchen Kraushaars Jahrzehnte nach den Ereignissen zeigten, wie tief Böse in den militanten Kampf verstrickt war. Er gehörte zum Kreis um den Verleger KD Wolff ("Verlag Roter Stern") und war wohl von diesem intellektuell brillanten Mann beeinflusst - Wolff distanzierte sich rechtzeitig vom Terror und ist heute ein geachteter Herausgeber von Edelausgaben deutscher Klassiker. Böse knüpfte Kontakte zu den Black Panthers aus den USA, beschaffte Waffen, organisierte Logistik für den Untergrund, gehörte zum Kreis um den legendären "Carlos" und war eventuell auch an der Vorbereitung des Olympia-Attentats von 1972 beteiligt. In Gaiganz, Kreis Forchheim, hielt er sich öfter auf. Dort arbeitete eine linke Druckerei - sogar Carlos soll einmal dort gewesen sein.
Linker Antisemitismus
Ein besonders trübes Kapitel ist der Antisemitismus von Teilen der damaligen radikalen Linken, der sich als Solidarität mit den Palästinensern tarnte. Immer tiefer rutschten viele der einstigen Antinazis ins Verbrechen und bemerkten nicht, wie sie zur "Attentäter- und Killertruppe im Dienst arabischer Geheimdienste" (Kraushaar) herunterkamen. Sie waren Figuren in einem Spiel, das andere spielten. Die Flugzeugentführung nach Entebbe war ein Höhepunkt dieser längst sinnlosen und grotesken Unternehmungen. Immerhin soll Böse betroffen reagiert haben, als ihm ein Israeli die eintätowierte KZ-Nummer auf seinem Arm zeigte, und sich als "Idealist" bezeichnet haben. Es wird berichtet, dass er nicht auf die Geiseln schoss, als die Israelis die Halle stürmten, obwohl das sein Kommando angekündigt hatte. Er starb im Kugelhagel.
Andere aus der Frankfurter linken Szene dieser Zeit brachten es bis in höchste Staatsämter, schreiben heute Essays für die "Süddeutsche" oder sind beliebte Talkshow-Gäste. Wieder andere saßen und sitzen jahrzehntelang im Gefängnis. Nach den Vorfällen in Entebbe forderte der CSU-Politiker Richard Stücklen die Wiedereinführung der Todesstrafe. Nach den psychischen Befindlichkeiten, Traumatisierungen und Motiven der Täter fragte damals keiner.
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