Darum muss es ganz still sein in Ebrach

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Gerd Schaller bei der jüngsten Bruckner-CD-Einspielung in der Ebracher Klosterkirche. Foto: Mile Cindric
Gerd Schaller bei der jüngsten Bruckner-CD-Einspielung in der Ebracher Klosterkirche. Foto: Mile Cindric
 

Gerd Schaller braucht absolute Ruhe. Jedes Zusatzgeräusch stört die Aufnahmen in Ebrachs Klosterkirche für Klassik-CDs.

Jetzt nur nicht husten und oder was runterfallen lassen. Römmm. Ein Motorrad knattert auf der Straße hinter der JVA. Gerd Schaller bricht ab. "Nochmal bitte. Die gleiche Stelle ab Takt E". Bruckners Dritte wird in der Ebracher Klosterkirche aufgezeichnet.

Ob der junge Gerd aus Schlüsselfeld, den der berühmte Kaisersaal und die weit bekannte Klosterkirche schon früh in ihren Bann gezogen haben, sich das zu träumen gewagt hätte? Wohl kaum. Aber heute ist der Name Gerd Schaller untrennbar mit Ebrach verbunden. Es ist sogar so, dass Schaller die imposante Klosterkirche weithin bekannt gemacht hat - mit seinen vielen CD-Konzert-Aufnahmen. Erst in diesem Jahr hat der gebürtige Schlüsselfelder für eine Einspielung den renommierten Preis der amerikanischen Bruckner Gesellschaft erhalten. Übrigens ebenso wie Daniel Barenboim.

Gerd Schaller, der neben Medizin in Erlangen parallel auch Musik in Würzburg studiert hat, hatte frühzeitig die Idee, den Kaisersaal musikalisch zur Geltung zu bringen. Es sollte bis nach dem Studium und dem Beginn der Dirigentenlaufbahn dauern, bis Schaller dieses Vorhaben dank eines kooperativen Gefängnisdirektors - der Saal befindet sich in der Justizvollzugsanstalt - mit dem von ihm 1990 ins Leben gerufenen Ebracher Musiksommer, ein Musikfestival, umsetzen konnte. Seit Beginn kooperiert er dabei mit dem Bayerische Rundfunk, Studio Franken, der hier Konzerte aufnimmt.

Dafür hat Gerd Schaller im Jahr 2008 die Philharmonie Festiva ins Leben gerufen. Anfangs setze es sich aus Musikern zusammen, die in Münchner Spitzenorchestern spielen. Mittlerweile sind es Spitzenmusiker aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland.

Mit der Philharmonie Festiva hat Gerd Schaller inzwischen schon etliche Werke von Beethoven, Goldmark, Schubert, Herbeck und einen kompletten Bruckner-Zyklus eingespielt. Etliches in Ebrach.

Aus dem jungen Dirigenten und Solorepetitor Schaller ist ein Generalmusikdirektor geworden, der mit namhaften Orchestern zusammenarbeitet, auch im Ausland. Seiner fränkischen Heimat, Schlüsselfeld und vor allem Ebrach und dem Musiksommer bleibt er jedoch weiterhin treu. Erst am Sonntag spielte Schaller mit der Dritten Symphonie von Anton Bruckner hier ein weiteres Opus auf CD ein. Wie bisher in Verbindung mit dem Bayerischen Rundfunk.

Das erkennt man daran,dass die Ebracher Ortsdurchfahrt gesperrt, der Vorplatz der Klosterkirche mit Übertragungswagen und Rundfunkleuten besetzt ist. In der Kirche sorgen Schallers Vater Dieter und Konzert-Assistentin Barbara Gülta dafür, dass alles seine Ordnung hat. Schaller muss sich schließlich ganz auf Bruckner einlassen.

Es zwar nur 18 Grad in der wuchtigen Kirche, Schaller genügen aber Hose und leichtes Baumwollhemd, hinter ihm hängt an der Podestbegrenzung ein Handtuch. Harte Arbeit, die Dritte Symphonie. Auch körperlich.

Der 196 Zentimeter lange Schaller, die dicke Partitur vor sich, die Philharmonie Festiva gleich dahinter, gibt alles. Auch körperlich. Er macht sich groß, er duckt sich, geht in die Knie. Mit der Linken zieht er die letzte Nuance aus dem Ensemble. Er bremst. Er schiebt; mal zackige, dann wieder sanfte, runde Bewegungen. Beschwörend, ja fast zum Greifen die Intensität von Schallers Blick zum Konzertmeister oder den Melodien führenden Instrumentalisten.

Gerd Schaller ist Bruckner, so wie er ihn versteht. Der 52-Jährige gilt als Bruckner-Experte, hat seine unvollendete neunte Symphonie so vollendet, wie der Komponist sie aufgrund seiner bisherigen Kompositionen wohl beendet haben würde. Die Fachwelt hat das entsprechend gewürdigt. Auch, dass Schaller sich an Fassungen von Bruckner wagt, die eher unbekannt und unaufgeführt geblieben waren.

Schallers Verbindung zu Bruckner reicht weit zurück. Schon als Kind saß er am Radio und lauschte etwa Bruckners Vierter vom Bayerischen Rundfunkorchester unter Leitung von Eugen Jochum. Der kleine Gerd spielte auch Klavier und hatte Orgelunterricht - in der Ebracher Klosterkirche. Und schon damals "beeindruckte mich die Wirkung des Klangs in diesem spirituellen Raum".

Das ist bis heute so geblieben. Denn "Musik ist immer auch Raum-Erlebnis". So findet er die Klosterkirche nach wie vor "sehr inspirierend, der Raum veredelt den Klang und hat Einfluss auf die Interpretation". Umgekehrt wird die Musik auch zum Raumerlebnis. So geht es jeweils darum, die beste Wirkung zu erarbeiten. Gemeinsam mit dem Orchester. So wie Schaller früher wegen des direkten Bezugs zum Menschen an der Medizin interessiert war, so bildet dieser Aspekt nun beim Dirigieren den Reiz.

Die Herausforderung an einem Musikstück wiederum ist für Gerd Schaller nicht Note für Note zu zu spielen, sondern den Inhalt des Werkes, dessen Dramaturgie, dessen Geist zwischen den Noten zu erkennen und hörbar und damit erlebbar zu machen.

Während die Ebracher Klosterkirche von der Akustik her als schwierig gilt, hat Gerd Schaller damit keine Probleme. Im Gegenteil: "Hier ist eine große Differenziertheit möglich. Auch die feinen leisen Töne werden in den Raum getragen."

Das ganz besondere Ambiente der Klosterkirche scheint auch die Musiker der Philharmonie Festiva zu beseelen. "Sehr schön", kommentiert Schaller immer wieder bei dieser Bruckner-Einspielung, die sich in der Endversion aus den besten Teilen zusammensetzt, die vor während und nach dem Musiksommer-Konzert aufgenommenen wurden. Wohl nicht das letzte Werk, das Schaller in Ebrach verewigt.