"Pioniermethoden" oder Sexualstraftaten? Auch am 64. Prozesstag wehrt sich ein früherer Bamberger Chefarzt vehement gegen die Anklage.
Bringt ein Sexualwissenschaftler die Wende im "Chefarzt-Prozess"? Das erhofft sich die Verteidigung von ihrem am Mittwoch gestellten Beweisantrag: Sie will, dass die Zweite Strafkammer des Landgerichts den früheren Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin mit einem neuen Gutachten beauftragt. Er solle die angeklagten Handlungen von Heinz W. (50) auf ihre "subjektive Sexualbezogenheit" hin prüfen.
Am Ergebnis der Untersuchung, zu der W. wohl bereit ist, hegt sein Bamberger Verteidiger Dieter Widmann keinen Zweifel. Der Sachverständige wird seiner Meinung nach "zu dem Ergebnis kommen, dass tatsächlich in allen Fällen der Anklage die für ein sexuell motiviertes Handeln notwendigen Anhaltspunkte nicht festzustellen sind, ebenso wenig wie das in der Anklage (...) unterstellte Ziel der sexuellen Erregung".
Der frühere Leiter der Klinik für Gefäßchirurgie im Klinikum am Bruderwald steht seit April 2015 vor Gericht. Er ist der Vergewaltigung in zehn Fällen, des sexuellen Missbrauchs und weiterer sexuell motivierter Straftaten angeklagt. Begangen haben soll er sie über einen Zeitraum von mehreren Jahren an Patientinnen und Beschäftigten im Bamberger Klinikum.
Der Angeklagte wehrt sich mit Hilfe von drei Verteidigern vehement gegen diese Vorwürfe. W. hält sich für ein Opfer einseitiger Ermittlungen und einer öffentlichen Vorverurteilung. Er fühlt sich auch von drei gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen mehr als missverstanden.
"Fachliche Inkompetenz", "widersprüchliche Aussagen", "absurde Ausführungen" und sogar "unsachlichen Belastungseifer" unterstellt er ihnen. Das wurde am Mittwoch einmal mehr deutlich. Da ritt W. über mehr als zwei Stunden einen so massiven Frontalangriff auf zwei nicht mehr anwesende Sachverständige, dass einer der Nebenkläger-Anwälte bei Gericht anregte, die Betreffenden in Kenntnis zu setzen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
W. sprach am 64. Verhandlungstag mehrfach von einer verkannten "Pioniermethode", die ihn auf die Anklagebank gebracht haben soll. Was ihm die Staatsanwaltschaft als Straftat auslege und die Gutachter nicht kennen könnten, sei die Suche nach neuen Diagnosewegen gewesen, um Frauen mit Beckenvenenthrombosen besser als bisher helfen zu können. Zu seinem Einsatz von so genannten Po-stöpseln bei den "Untersuchungen" sagte er wörtlich: "Es ist charakteristisch für eine Pioniermethode, dass sie nirgends beschrieben ist."
Nur ein ausgewiesener Sexualwissenschaftler ist laut Widmann in der Lage zu sagen, ob die angeklagten Handlungen des ehemaligen Chefarztes wirklich sexuell motiviert waren, wie es die Anklage behauptet. Die Verteidigung beantragt die Beiziehung des neuen Sachverständigen denn auch "zur Vermeidung eines Fehlurteils", das auf reiner Spekulation basiert, oder "noch schlimmer, auf dem von der Staatsanwaltschaft und Medien geschaffenen Erwartungsdruck" gründen könnte.
Mehr Beweisanträge zu erwarten
Das Gericht hat am Mittwoch noch nicht über den neuen Beweisantrag entschieden. Weitere kündigte Widmann namens seiner noch im Urlaub weilenden Verteidiger-Kollegen an. Sie müssen bis spätestens 5. September gestellt werden, dem nächsten Prozesstag.
Staatsanwalt Thomas Förster und Rechtsanwalt Jürgen Scholl gaben in ersten Stellungnahmen zu verstehen, dass sie einen Sexualwissenschaftler für entbehrlich halten. Förster stellte die Frage in den Raum, auf welcher Beurteilungsgrundlage der Sexualwissenschaftler ein eventuelles Gutachten erstellen könnte: Sollten ihm die bei W. sicher gestellten Videos und Fotos von weiblichen Geschlechtsteilen gezeigt werden? Oder solle er von den Erklärungen W.s ausgehen?
Scholl sagte, auch "Pioniermethoden" würden einen Chefarzt nicht von seiner Verpflichtung entbinden, die Patientinnen über das aufzuklären, was er mit ihnen vorhat.
Hallo Herr W., Charakter sieht anders aus, Sie haben nur junge Frauen missbraucht, die ja am meisten Thrombose gefährdet sind, warum gibt es keine Bilder von wirklich gefährdeten Frauen im reiferen Alter in Ihrer perversen Sammlung???
Sie haben die Opfer ohne Ihr Wissen betäubt und für Ihre widerlichen Spielchen benutzt. Aus der ungeheuren Menge der auf Ihrem privaten (!!!) PC gefundenen Aufnahmen lässt sich eindeutig schließen das hier nur über die Spitze des Eisberges verhandelt wird!
Wenn Sie wirklich Charakter hätten und der Ehrenmann wären als der Sie sich und Ihre Verteidiger im Gericht darstellen würden Sie endlich die Wahrheit sagen und nicht wie ein Prediger gebetsmühlenartig immer die gleichen Phrasen herunterleiern...