Bamberg: Eine Altstadt voller Hindernisse

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Viel zu oft steht Christian Undiener vor Hindernissen, die er mit seinem Rollstuhl nicht überwinden kann. Dann bleibt ihm nur, sich nach Alternativen umzusehen. Foto: Barbara Herbst
Viel zu oft steht Christian Undiener vor Hindernissen, die er mit seinem Rollstuhl nicht überwinden kann. Dann bleibt ihm nur, sich nach Alternativen umzusehen. Foto: Barbara Herbst

Sechs Millionen Besucher pro Jahr strömen in die Bamberger Altstadt. Für Rollstuhlfahrer bleibt sie indes kaum zugänglich.

Es klingt so einfach. Christian Undiener, 43, will nur mit seiner Mutter Essen gehen. Eine deftige Mahlzeit, ein gutes Bamberger Bier in der Altstadt. Doch was so einfach klingt, entpuppt sich als schwierig. Wie so vieles in seinem Leben.

Denn Christian Undiener kann nicht laufen. Torsionsdystonie heißt die Krankheit, die ihn seit seinem zwölften Lebensjahr an den Rollstuhl fesselt. Seine Glieder gehorchen ihm nicht mehr richtig. Unwillkürlich ziehen sich seine Muskeln zusammen, zucken und zwingen ihn in eine unnatürliche Körperhaltung.

Außerhalb seiner Wohnung ist er meist mit einem elektrischen Rollstuhl unterwegs. Der erlaubt es ihm, sich relativ frei zu bewegen. Aber eben nur relativ. Denn an höheren Stufen ist für ihn Schluss. Auch steilere Rampen sind für ihn nicht zu bewältigen.

Vieles, was für andere selbstverständlich ist, bereitet ihm daher große Probleme. Einkaufen gehen, Behördengänge oder ein Arztbesuch: Einmal habe er fast eine Stunde vor der Tür einer Praxis im Regen warten müssen, erzählt Undiener. Die Klingel habe er nicht erreichen können, Passanten hätten ihn einfach ignoriert.

Problemzone Altstadt

In der Altstadt sei es besonders schlimm. Zu viele Stufen, zu enge Türen und viel zu oft auch mangelnde Bereitschaft der Betreiber von Gaststätten und Geschäften, ihm zu helfen.

Sicher, nicht alle Menschen sind so. Viele bieten ihre Hilfe an. Und trotzdem: Das Leben in Bamberg als Rollstuhlfahrer ist nicht einfach. Gerade das, was den Charme der Stadt ausmacht - die alten Gassen mit Kopfsteinpflaster, die verwinkelten Häuser und kleinen Geschäfte -, stellt für Rollstuhlfahrer unüberwindliche Hindernisse dar.

Und so kommt es, dass zwar rund sechs Millionen Tagesbesucher pro Jahr nach Bamberg strömen, um die Schönheit der Stadt zu genießen. Genau diese Schönheit aber bleibt den vielen Bamberger Bürgern mit Behinderungen oft verwehrt.

Rund 7500 (Dezember 2013) schwerbehinderte Menschen gibt es in Bamberg. Etwa zwölf Prozent aller Bamberger haben einen Schwerbehindertenausweis beantragt. Für ihre Belange zu sorgen, ist damit kein kleines und erst recht kein unwichtiges Thema.

Und es wird durchaus etwas unternommen. So sieht es zumindest Nicole Orf, Behindertenbeauftragte der Stadt Bamberg. Man habe "schon viel erreicht - aber noch viel mehr vor." Der Vorteil sei, dass man seit 2002 nicht mehr auf das Wohlwollen von Gastronomen, Geschäftsleuten oder Ärzten angewiesen sei.

Vielmehr wurden mit dem Bundesgleichstellungsgesetz (BGG) und dem Landesgleichstellungsgesetz (LGG) von 2003 die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, Barrieren Stück für Stück abzubauen.

Bestand bleibt unberührt

Seitdem müssen Neubauten barrierefrei sein. Auch bei erheblichen Umbauten muss Rücksicht auf die Bedürfnisse behinderter Menschen genommen werden. Am Bestand jedoch ändert das nichts.

Heute gäbe es zwar ein größeres Problembewusstsein in der Bevölkerung. Jedoch muss Nicole Orf immer noch häufig Diskussionen führen. Die zusätzlichen Kosten, der Platzbedarf - gerade viele Gastronomen sehen die gesetzlichen Auflagen als unzumutbare Belastung.

So betont beispielsweise Matthias Trum, Geschäftsführer des "Schlenkerla", dass ein barrierefreier Umbau der historischen Gasträume kaum möglich sei. Außerdem seien seiner Erfahrung nach sowieso kaum Rollstuhlfahrer in der Altstadt unterwegs, da das ganze Gebiet eigentlich ungeeignet für Gehbehinderte sei.

Stefan Meyer-Brandis von der Kneipe "Stilbruch" in der Sandstraße stößt ins selbe Horn. Ein Umbau sei ohne enorme Kosten kaum umsetzbar. Es fehle an öffentlicher Unterstützung. Letztlich fehle auch öffentlicher Druck, um das Thema anzugehen. Dabei empfinden sowohl Trum als auch Meyer-Brandis Barrierefreiheit grundsätzlich als eine unterstützenswerte Sache.

Fördermittel nicht genutzt

Es stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber keine finanziellen Mittel für die notwendigen Umbauten bereitstellt, statt deren Umsetzung nur gesetzlich einzufordern. Doch Thomas Beese, Baureferent der Stadt Bamberg, verweist darauf, dass beim von der EU geförderten Projekt "Adhoc" aus den Jahren 2006 bis 2008 sehr wohl Fördergelder für solche Maßnahmen bereitstanden.

Damals sollte das Gebiet im Sand barrierefrei werden. Dies gelang aber nur teilweise - die unter anderem geplante bauliche Umsetzung in fünf beteiligten Gaststätten scheiterte schließlich an der fehlenden Bereitschaft der Gastronomen, die organisatorischen Umstellungen und den finanziellen Eigenanteil zu tragen.

Doch das ist nicht das einzige Problem in Bamberg: Gerade in der Altstadt geraten der Denkmalschutz und das BGG/LGG oft in Konflikt miteinander. Laut Orf sind beide Belange auf Augenhöhe. Nun fordert ein behindertengerechter Umbau aber oft Eingriffe in die Bausubstanz, die den Denkmalschutzregeln widersprechen.

Notwendig ist es deshalb, einen tragbaren Konsens zu finden. Das ist schwierig, weil verschiedene öffentliche Stellen am Planungsprozess beteiligt sind.

Unverständnis bleibt

Die Situation bleibt für Christian Undiener unverständlich. Dabei gäbe es doch oft so simple Lösungen: "Warum können die da nicht einfach ein Brett hinlegen? Dann kann ich doch selbst hochfahren!"

Aber auch das ist nicht so einfach, wie die Behindertenbeauftragte erklärt: Es gelte, bürokratische Richtlinien zu beachten. So dürfte eine Rampe beispielsweise nicht mehr als sechs Prozent Steigung aufweisen. Bei Verstößen drohten sonst Klagen und Probleme mit der Versicherung, sollte sich jemand verletzen. So sei das Unverständnis der Betroffenen zwar nachvollziehbar, aber eine Änderung nicht ohne weiteres möglich.

Es deutet wenig darauf hin, dass sich die Situation für Gehbehinderte in der Altstadt schnell ändert. Christian Undiener muss deshalb wohl weiter mit den Hindernissen leben. Ihm bleibt, auf gutes Wetter zu hoffen: Dann kann er zumindest, wie zuletzt mit seiner Mutter, draußen sitzen.

Kommentar: Der Wille zur Veränderung ist nicht genug

Horst Seehofer (CSU) hatte in seiner Regierungserklärung im November 2013 ein barrierefreies Bayern für das Jahr 2023 versprochen. Doch sein Versprechen gilt nur für den Öffentlichen Nahverkehr und für Dienstgebäude.
Aber zum Leben gehört eben mehr, als mit dem Bus zu fahren und ins Rathaus zu gehen. Essen oder Bier trinken gehen, einkaufen und oder Sehenswürdigkeiten bestaunen - das öffentliche Leben umfasst viele Facetten. Und alle sollten jedem Menschen offen stehen.

So sieht es grundsätzlich auch der Gesetzgeber - deshalb hat er vor mehr als zehn Jahren die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, Barrieren abzubauen. Allein: Es tut sich zu wenig.

In anderen Bereichen ist das Credo des Staats: "Fordern und Fördern", im behindertengerechten Umbau läuft alles etwas anders. Sicher, von Einzelhändlern und Gastronomen fordert man einen barrierefreien Umbau, wenn, ja wenn, sie sowieso bauen. Und auch dann nur, wenn es sich relativ unproblematisch umsetzen lässt.
Ansonsten versucht man Überzeugungsarbeit zu leisten: Ein barrierefreier Umbau wäre doch eine prima Sache. Dabei hängt es letztendlich ja nicht an der Einsicht, dass die Bedürfnisse behinderter Menschen wichtig sind.

Warum ist es nicht möglich, wie in anderen Bereichen auch, Zielvereinbarungen zu beschließen: Bis zum Jahr 2023 müssen nicht nur öffentliche Räume, sondern auch alle Gaststätten und Geschäfte barrierefrei sein. Punkt. Um den Umbau zu ermöglichen, werden Förderprogramme aufgelegt - denn letztlich ist es ein gemeinschaftliches Projekt, behinderten Menschen ein möglichst "normales" Leben zu ermöglichen.

So würde, in groben Zügen, wohl eine wirklich ernst gemeinte Gleichstellungspolitik aussehen. Derzeit wirkt es eher so, als würde die Verantwortung von einer Seite zur anderen und zurück geschoben. Frei nach dem Motto: "Wir sind dafür - wenn´s denn jemand anders macht!"