Edgar Büttner nennt es den gefährlichsten Job in der Nacht: Die Maschine auf der linken Seite zu führen, während 30 Zentimeter daneben der Verkehr vorbeirollt. Foto: Anja Greiner
Edgar Büttner, Bereichsleiter bei der Autobahndirektion Nordbayern beim Markieren der Stellen, die später ausgefräst und neu asphaltiert werden. Foto: Anja Greiner
Edgar Büttner, Bereichsleiter bei der Autobahndirektion Nordbayern beim Markieren der Stellen, die später ausgefräst und neu asphaltiert werden. Foto: Anja Greiner
Die Baufirma misst die markierten Flächen aus... Foto: Anja Greiner
... und Christian Franz, Bauleiter, bestellt dann die entsprechende Menge Asphalt. Foto: Anja Greiner
Foto: Anja Greiner
In seinem Transporter hat Edgar Büttner ein kleines Büro immer dabei. Foto: Anja Greiner
Die ersten Maschinen stehen bereit. Foto: Anja Greiner
Sechs Löcher werden in dieser Nacht ausgefräst und dann neu asphaltiert. Foto: Anja Greiner
Die Ecken werden ausgestemmt. Foto: Anja Greiner
Die Ecken werden ausgestemmt. Foto: Anja Greiner
Manchmal kommt es auf jeden Zentimeter an. Foto: Anja Greiner
Das Tokaband muss exakt eingepasst werden. Foto: Anja Greiner
Der überschüssige Asphalt wird zusammengekehrt. Foto: Anja Greiner
Die Walze macht schließlich alles glatt. Foto: Anja Greiner
Und am Ende wird noch einmal durchgefegt. Foto: Anja Greiner
Im Leben eines Autofahrers gibt es genau zwei Tragödien: andere Autofahrer und Baustellen. Für die Autobahndirektion Nordbayern gibt es genau eine: Die Straßensperrung nicht rechtzeitig aufheben zu können. Eine Nachtschicht bei den Autobahnbauern auf der A73. Im Text finden Sie auch ein Video von der Nacht.
Edgar Büttner ist der Einzige, der es gehört hat. In den Klang aus vorbeirauschenden Autos und rumpelnden Baumaschinen mischt sich plötzlich seine Stimme: "Was war das für ein Klappern?", fragt er und ist mit zwei Schritten einmal quer über den Seitenstreifen gelaufen. Als er wieder zurückkommt grinst er. "Nur die Heckklappe des Baufahrzeugs."
Wie der Dirigent eines Orchesters hört er jeden falschen Ton in der Komposition seiner Baustelle.
Edgar Büttner ist 49 Jahre alt, hat braune kurze Haare, Vollbart, im Profil erinnert er an Russell Crowe. Als es später dunkel wird, zieht er eine Brille aus dem Etui. "Aber nur zum Autofahren, sonst geht's noch ohne."
Es ist kurz nach halb acht an einem Freitagabend, vor Edgar Büttner liegt die Autobahn 73, Höhe Bamberger Kreuz, Anschlussstelle Coburg/Suhl.
Auf einer Strecke von zwei Kilometern wird in den nächsten Stunden ein Teil des Bodenbelags auf der rechten Spur erneuert. Wenn alles glatt läuft, wird Büttner um fünf Uhr morgens zu Hause in Bayreuth unter die Dusche steigen und ins Bett gehen. Der Baustaub, sagt er, hänge am Ende der Schicht überall.
Büttner ist Bereichsleiter bei der Autobahndirektion Nordbayern und verantwortlich für den baulichen Zustand der A70 von Bayreuth bis Coburg und der A73 von Möhrendorf bis Coburg - insgesamt 110 Kilometer. "Ich bin hier schon jeden einzelnen abgelaufen." Auf der A73 ist er meist nur noch nachts unterwegs - das Verkehrsaufkommen ist zu hoch, um tagsüber zu sperren. Oder wie Büttner es ausdrückt: "Der Autofahrer ist King."
Im Ordner sind 1,3 Millionen Euro
Um Punkt 19 Uhr haben die Arbeiter die erste Warnbake aufgestellt.
An der Autobahnauffahrt geht es jetzt gleich auf die linke Spur. Zumindest theoretisch. Manchmal ist es auf der Baustelle ein bisschen wie im Kindergarten: Einmal die Absperrung nicht gleich wieder zugemacht, schon steht das Auto auf dem abgeriegelten Fahrstreifen. Der Fahrer ist einfach dem Transporter von der Baufirma hinterhergefahren.
Edgar Büttner hat das Geschehen aus rund einem Kilometer Entfernung beobachtet. Er grinst, dann dreht er sich um und läuft weiter. Er hat längst aufgehört, sich über Autofahrer zu wundern, zu viel hat er schon erlebt. "Geschimpft wird bis zum Gehtnichtmehr - ich wurde schon alles genannt", sagt er. Manche werfen Müll und Bierflaschen aus dem Seitenfenster, manche schreiben Beschwerde-Emails. Einmal im Monat muss er gegenüber seinem Vorgesetzten dazu Stellung nehmen.
Büttner hält eine Stange in der Hand, an deren Mitte eine Spraydose befestigt ist und die er rollend vor sich herschiebt. Den Blick auf die Straße gerichtet, immer den Rissen nach. Am Ende der zwei Kilometer hat er sechs Stellen mit rosa Sprühfarbe markiert. Im Schnitt zehn Quadratmeter groß. "Stückelesarbeit" nennt er es, eigentlich müsse der Belag auf den gesamten zwei Kilometern ausgetauscht werden. 15 Jahre ist die Deckschicht alt. "Wir leben von der Oberfläche."
Ein paar Stunden später, kurz nach Mitternacht, wird sich Büttner in der Autobahnmeisterei in Hirschaid an einen Tisch im Aufenthaltsraum setzten, seine Emails abrufen, Bürokram erledigen. Er wird einen Kalender aus einem der Ordner ziehen. Darauf verteilt: alle Baustellen dieses Jahr oder auch 1,3 Millionen Euro. So hoch ist sein Jahresbudget. Die Baustelle in dieser Nacht wird rund 80 000 Euro kosten.
Gut eine halbe Million Euro hat er für das laufende Jahr noch übrig, aber das wird in dem Moment nicht sein größtes Problem sein. Die Kaffeemaschine in der kleinen Teeküche streikt.
Ein paar Stunden zuvor, auf der Autobahn, ahnt Büttner noch nichts vom plötzlichen Koffeinmangel.
Er ist gerade die frisch markierte Strecke zurückgelaufen, da stehen bereits die ersten Pritschenwagen und Transporter der Baufirma an der Auffahrt. Christian Franz, der Bauleiter, ist knapp zwei Köpfe kleiner als Büttner, hat ein Klemmbrett in der Hand, trägt Jeans zur orangen Warnjacke, grüßt Büttner schnell, dann laufen die beiden Männer los. Die gleiche Strecke noch einmal. Christian Franz misst die markierten Flächen aus und während er die entsprechende Menge Asphalt bestellt, wird weiter vorne bereits das erste Loch ausgefräst. Es muss schnell gehen.
Fräsen, ausstemmen, sauber machen, Kleber auftragen, Asphaltmischung rein. Der Asphalt darf nicht unter 130 Grad abkühlen und die Fahrbahn nicht länger als bis sechs Uhr morgens gesperrt sein. In fünfeinhalb Stunden muss sich die letzte Ladung Asphalt in die ausgefrästen Löcher ergossen haben, das Tokaband, dass als Dichtung fungiert, muss exakt in die Ecken eingepasst, überschüssiges Material zurück auf die Ladefläche geschaufelt werden. Die Walze muss eine glatte, schwarz glänzende Oberfläche geschaffen haben und die letzten Reste müssen weggefegt sein.
Wenn alles nach Plan läuft, ist es dann halb zwei und der neue Bodenbelag hat noch viereinhalb Stunden Zeit, um auszukühlen. Allein. Auf einer sonst leeren Baustelle.
Im vorbeirauschenden Autofahrer formt sich dann fast automatisch ein Gedanke: Geisterbaustelle - "Geisterbaustellen", sagt Büttner, "gibt es nicht". Stillstand auf dem Bau ist teuer. Gut 1000 Euro die Stunde. Das leiste sich niemand freiwillig.
Etwas geistert dann doch noch. Ein Gedanke, der, einmal ausgesprochen, Edgar Büttner zum Lachen bringt: "Sperren Sie halt einfach länger." Er blickt einen dann ein bisschen so an, als habe man von ihm verlangt, eine Atombombe zu bauen. Länger Sperren ist so etwas wie der Super-Gau der Autobahnbauer. Länger sperren bedeutet umgehenden Rapport.
Es wird langsam dunkel, die Lampions an den Baustellenfahrzeugen leuchten heller, der heiße Asphalt knistert auf der Straße wie leiser Regen.
Die schlimmste Zeit ist gegen drei Uhr früh. "Da hilft nur noch Kaffee", sagt Büttner und hebt den leeren Becher aus dem Getränkehalter in seinem Auto.
Eine angebrochene Packung Kekse liegt daneben und etwas, das aussieht wie eine Bohrmaschine und sich später als Taschenlampe entpuppt. "Mit Akkubetrieb", sagt Büttner, wenn er nachts die Kanten und Ecken der asphaltierten Löcher inspizieren muss. Am nächsten Morgen wird er die gesamte Strecke nochmal abfahren. Ebenheitskontrolle.
Edgar Büttner hat mal vier Tage Nachtschicht, dann wieder Normaldienst. Im Winter ist er die meiste Zeit im Büro, liest abwechselnd die neuesten Betonverordnungen, Bankett-Richtlinien oder sieht sich die festgelegten Rückstrahlwerte für Beschilderungen an.
Wenn es wirklich nötig ist, werden auch noch Decken im November ausgetauscht. Nikolausdecken nennen sie das dann. Büttner grinst, dann sagt er den Satz, den er in dieser Nacht schon so oft gesagt hat: "Alles für die Autofahrer." Vielleicht hört es ja der ein oder andere.