Ärztin im Bereitschaftsdienst: Ich bin immer noch geschockt

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Jeder niedergelassene Arzt muss auch Bereitschaftsdienste übernehmen. Foto: Maurizio Gambarini/dpa
Jeder niedergelassene Arzt muss auch Bereitschaftsdienste übernehmen. Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Die Ärztin Katharina M. (Name geändert) beklagt unzureichende Informationen durch die KVB. Diese verweist unter anderem auf Verbesserungen durch Fahrer.

Wie oft haben Sie Bereitschaftsdienste?
Katharina M.: Ein- bis zweimal im Monat. Erst am vergangenen Freitag bin ich nachmittags um halb fünf angerufen worden, ob ich den Nachtdienst übernehme, weil einer krankgeworden war. Vor mir hatten schon 15 Kollegen abgesagt.

Sie haben den Dienst übernommen?
Ja.

Welches Gebiet müssen Sie abdecken?
Bamberg und Forchheim, also von Scheßlitz bis Stegaurach und von Hausen bis Heroldsbach, , Neunkirchen und Gräfenberg. Das ist die Pilotregion seit zwei Jahren. Davor habe ich zumindest noch ab und zu einen Patienten gekannt.

Wie erfahren Sie, wo Sie hinmüssen?
Ich bekomme jeweils eine SMS von der Kassenärztlichen Vereinigung mit Namen, Adressen und Telefonnummern der Patienten. Eine Ziffer steht für den Anrufgrund, die Anrufer werden zudem in Prioritäten von A bis C aufgegliedert. Meist hat man die Kategorie C, also nicht so dringlich. Die werden nacheinander bzw. in einer sinnvollen Route abgearbeitet. Wir können ja nicht ständig von Nord nach Süd fahren.

Dann fahren Sie gleich los?
Sobald der Fahrer da ist. Früher sind wir selbst gefahren. Neuerdings haben wir immer einen Fahrer, der sich in der Gegend aufhalten muss. Bis der da ist, kann es aber auch schon mal 20 Minuten dauern.

Beraten Sie auch telefonisch?
Es gibt auch Kollegen, die nicht hinfahren und das erst mal nur telefonisch machen.

Muss jeder Arzt regelmäßig Bereitschaftsdienste leisten?
Jeder niedergelassene Arzt, ja. Es gibt aber immer mehr Kollegen, die ihre Dienste an niedergelassene Ärzte abgeben. Das kann ich zum Beispiel bei Neurologen oder Psychologen nachvollziehen.

Können Sie sich noch an den Abend des 4. März erinnern?
Ja, es war furchtbar. Ich bin immer noch geschockt. Es war eine extreme Nacht, wir sind von 21 Uhr bis 7 Uhr durchgefahren, insgesamt 380 Kilometer. Es kam eine Meldung nach der anderen.

Ein Notruf kam aus Wingersdorf.
Ich wusste nichts von der Dringlichkeit, hatte da bereits sieben, acht andere Patienten zu versorgen. Alle waren mit Priorität C gekennzeichnet. Deshalb haben wir die anderen abgearbeitet und sind dann auch erst um halb eins nach Wingersdorf gekommen, nahezu gleichzeitig mit dem ebenfalls alarmierten Notarzt. Da konnte ich aber nur noch den Totenschein ausstellen.

Wie geht es Ihnen damit?
Nicht gut, das nimmt mich psychisch immer noch sehr mit. Das ist unterlassene Hilfeleistung durch das System. Und ich bin mitschuldig und habe alles abgekriegt, obwohl ich nichts dafür kann. Was wäre, wenn die Leitstelle schneller reagiert hätte? Was, wenn ich früher da gewesen wäre? Ich kann die Familie durchaus verstehen.

Weshalb wurden Sie denn nicht viel früher darüber verständigt, dass es dem Mann sehr schlecht geht?
Ich bekam nur unzureichende Informationen. Wenn jemand mit der KVB telefoniert hat, fahre ich da hin, kann aber nicht überall nochmal nachfragen, worum es genau geht.
Ich bin die Letzte in der ganzen Kette.

Was würden Sie sich wünschen?
Unter anderem klare Ansagen, was der Patient hat, nicht nur über SMS. Ich habe keine Zeit, dafür jedes Mal die KVB anzurufen.
Es gibt auch viel Missbrauch, weil manche Leute den Bereitschaftsdienst anrufen, nur weil sie Schmerztabletten verschrieben haben wollen.

Würden Sie sich ein kleineres Gebiet für die Bereitschaftsdienste wünschen?
Daran wird sich wohl nichts ändern, das war ja die Pilotregion.
Sie waren in jener Nacht bis sieben Uhr morgens unterwegs. Wann haben Sie Ihre Praxis wieder geöffnet?
Gleich danach, um acht Uhr, Montag ist der Haupttag. Ruhezeiten gibt es nicht für Ärzte.

Das Gespräch führte Stefan Fößel

Das sagt die Kassenärztliche Vereinigung dazu:

Auf unsere Anfrage teilt die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) zum Zuschnitt der Gebiete für die Bereitschaftsdienste folgendes mit: "Bei der Festlegung der Bereitschaftsdienstgebiete wurden regionale und topographische Verhältnisse berücksichtigt. Die Standortauswahl für die Bereitschaftspraxen richtet sich nach verschiedenen Parametern und folgt bestimmten, von der KVB, den Kostenträgern und der Bayerischen Krankenhausgesellschaft abgestimmten Rahmenbedingungen. Dabei spielen zum Beispiel die Lage und Größe des Klinikstandorts eine Rolle sowie die zu erwartende Auslastung der Bereitschaftspraxis anhand des Einzugsgebiets. Dem Patienten selbst steht immer frei, die für ihn nächstgelegene Bereitschaftspraxis aufzusuchen - er ist nicht an einen festgelegten Bereitschaftsdienstbereich gebunden."


Keine vereinbarten Stützpunkte

Was die Verständigung der diensthabenden Ärzte über eine SMS angeht, erläutert KVB-Pressesprecherin Brigitte Grain: "Die Entscheidung über die Durchführung des Hausbesuchs liegt immer beim jeweiligen Arzt." Daher sei es üblich, dass sich der Arzt nach Erhalt der SMS mit dem Patienten telefonisch in Verbindung setzt, beispielsweise um sich die jeweiligen Symptome genauer schildern zu lassen. So könne auch die medizinische Dringlichkeit des Hausbesuchs abgeklärt werden. "Dank unseres neu eingerichteten separaten Fahrdienstes inklusive Fahrer kann der diensthabende Arzt auch problemlos während der Fahrt mit dem Patienten telefonieren", teilt Grain weiter mit. Dass Fahrer eingesetzt werden, sei nicht zuletzt unter dem Aspekt des Schutzes von Einsatz-, Hilfs- und Rettungskräften zu sehen.
Die Aufenthaltsorte der Fahrer lägen in der Verantwortung der externen Fahrdienstleister. Es gebe hier keine vereinbarten Stützpunkte, wie dies aus dem Rettungsdienst mit Rettungswachen bekannt ist. "Durch den jeweils individuellen Aufenthaltsort kann sich der Arzt an jedem gewünschten Punkt innerhalb seiner Region aufhalten, zum Beispiel in seiner Praxis oder an seiner Privatadresse", erklärt die KVB-Sprecherin.


Missbrauch von Notrufnummern

Der Bereitschaftsdienst dürfe nicht mit dem Notarztdienst verwechselt werden. Im Ärztlichen Bereitschaftsdienst gehe es um die Patientenversorgung außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten. Es handle sich also um Erkrankungen, mit denen man eigentlich die Sprechstunde eines niedergelassenen Arztes aufsuchen würde, dessen Praxis aber gerade geschlossen hat. Der Notarzt, der schnellstmöglich in lebensbedrohlichen Fällen kommt, sei klar vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst zu trennen.
Die missbräuchliche Verwendung von Rufnummern wie der 112 oder die 116117, die eigentlich für medizinische Notfälle bzw. für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst gedacht sind, sei ein komplexes Thema. Grundsätzlich müsse der Bevölkerung bewusst sein, dass bei einem Missbrauch dieser Nummern die ohnehin schon knappen ärztlichen Ressourcen unnötig gebunden werden.



Es wird weiterhin ermittelt

Das Ermittlungsverfahren zur genauen Todesursache in dem Wingersdorfer Fall dauert an. Wie Leitender Oberstaatsanwalt Matthias Bachmann auf unsere Anfrage mitteilt, wird derzeit geprüft wird , ob noch die Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens erforderlich ist.


Mindestens sechs Wochen

"Sollte dies der Fall sein, werden die Ermittlungen noch einige Monate andauern", erklärt Bachmann. Sollte ein weiteres medizinisches Gutachten nicht mehr erforderlich sein, sei mit einem Abschluss der Ermittlungen in den nächsten sechs Wochen zu rechnen.

Kein Rettungswagen verfügbar

Im Nachgang zum ersten Bericht über den Todesfall von Wingersdorf haben sich einige Leser an uns gewandt. So hat uns unter anderem Erna Böhnlein-Britz aus Memmelsdorf beschrieben, dass sie Ende Februar am Norovirus erkrankt war.
Als sie starken Schüttelfrost bekam und sogar bewusstlos wurde, habe ihr Mann die 112 angerufen. "Er bekam die lapidare Auskunft, es stünde derzeit kein Rettungswagen zur Verfügung." Er solle doch die Nummer 116 117 anrufen. Dort sei er aber sofort in die Warteschleife geraten.
"In seiner Not und Verzweiflung hat er vier starke Männer aus der Nachbarschaft organisiert. Man schleppte mich mit vereinen Kräften in unseren Privat-Pkw. Meine Nachbarin hielt mir von hinten den Kopf, da ich angeschnallt und bewusstlos am Beifahrersitz saß und mein Mann fuhr mich in die Notaufnahme der Juraklinik Scheßlitz.
Dort wurde sofort von der diensthabenden Ärztin und den Schwestern alles unternommen, mich zu retten. Gegen 16.30 Uhr war ich dann wieder das erste Mal wach, konnte aber nicht sprechen", berichtet Böhnlein-Britz. Sie habe sich unbewusst eine schwere Blutvergiftung im Bauchraum zugezogen, die tödlich hätte enden können.
"Es kann und darf doch wohl nicht wahr sein, dass in diesem so reichen und angeblich toll organisierten Land der Notruf nicht funktioniert und der Tod eines Menschen in Kauf genommen wird", sagt die Memmelsdorferin. Dem behandelnden Ärzte- und Schwesternteam der Juraklinik Scheßlitz ist sie hingegen überaus dankbar.