Lebensqualität vs. Konsum: Warum das eine leidet, wenn das andere wächst

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Konzepte wie "Degrowth" oder "Postwachstum" wollen das Postulat des Wirtschaftswachstums beenden. Statt auf Konsum und Dienstleistungen soll Wohlstand auf Werten wie Lebensqualität, Gesundheit und Umwelt beruhen. Wäre ein solches Szenario denkbar?

Produktivität, Effizienz und Gewinn sind für den bisherigen ökonomischen Wachstumspfad existenziell. Voraussetzung dafür sind auf der einen Seite Investitionen in Innovationen sowie auf der anderen Seite eine ausreichende Konsumneigung. Konsum wiederum ist nur möglich, wenn die Menschen dazu genügend Geldmittel zur Verfügung haben. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft wird Geld in der Regel durch die Bereitstellung von Arbeitskraft und deren Entlohnung erwirtschaftet.

Für einen wachstums- und konsumorientierten Wirtschaftskreislauf müssen dabei zunächst die existenziellen Bedürfnisse, wie Wohnen, Nahrung, Kleidung, Schlafen oder Sicherheit gesichert sein. Erst ein darüber hinausgehender Konsum kann in einer Volkswirtschaft zu vermehrtem Wohlstand führen. Angesichts der anhaltend schwachen und auch für die Zukunft niedrig prognostizierten Wachstumsraten, vor allem in den westlich geprägten Industrienationen, wird eine Frage immer lauter: Ist unsere die Gesellschaft prägende Ökonomie auch ohne Wachstum möglich?

Ökonomisches Wachstumspostulat

Unsere aktuelle Wirtschaftsordnung fußt auf dem Kapitalismus. Angesichts nachlassender Wachstumsraten, vorwiegend in den etablierten und westlich orientierten Industrienationen, entstehen in jüngster Zeit neue Ansätze, die unter den Begriffen "Postwachstum" oder "Degrowth" diskutiert werden. In seinem ersten Bericht "Limits of Growth" im Jahre 1972 kam der Club of Rome bereits zu der Feststellung, dass es auf einem begrenzten Planeten kein unbegrenztes Wachstum geben könne.

Dieser Aussage folgend, suchen Postwachstums-Konzepte nach neuen Formen des Wirtschaftens. Maßgebliches Ziel ist es dabei, den Bedarf aller Menschen zu decken und gleichzeitig, ein für alle lebensfähiges ökologisches Gleichgewicht zu erhalten. Damit erwächst eine ökonomische Denkweise, in deren Kern anstelle eines immerwährenden Wachstums eher eine Art des Gesundschrumpfens steht.

Dabei soll unser Konsum und entsprechend auch die Produktion von Gütern verringert werden. Priorität hat in dieser Vorstellung ein nachhaltiges Wachstum, bei dem unsere ökologischen Lebensgrundlagen nicht zerstört werden und insgesamt ein friedvolles und gerechteres Miteinander resultiert. Statt auf bisherige Wohlstandsindikatoren, wie z.B. das Bruttoinlandsprodukt (BIP), setzen solche alternativen Ansätze auf Lebensqualität, Gesundheit, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit. Diese Faktoren hätten dann einen höheren Stellenwert als das BIP, und der Fokus läge auf sozialen und ökologischen Werten, anstelle auf rein ökonomischen Wachstumszielen.

Interessenkonflikte und Abhängigkeiten

Zwar nennen wir unser Wirtschaftssystem "Soziale Marktwirtschaft", aber in der Realität zeigt sich, dass ein größer werdender Teil der Gesellschaft den steigenden Ansprüchen des Wirtschaftssystems nicht mehr genügt und durch ihre Raster fällt. Dies hat einerseits demografische Gründe, ist andererseits aber dem technischen Fortschritt und seinen Effizienzsteigerungen geschuldet, durch den sich bei höherer Produktivität Arbeitsplätze einsparen lassen. Somit offenbart sich aktuell, dass das ökonomische System nicht nur an seine Wachstumsgrenzen stößt, sondern auch politische, gesellschaftliche und soziale Konsequenzen mit sich zieht.

Sowohl die veränderte Gewichtung als auch die sozial unverträgliche Verteilung von Arbeit, Boden, Kapital spalten das soziale Miteinander und geben dem Gegeneinander, gerade auch auf politischer Ebene, einen immer größeren Raum. Mit Blick auf die Generationengerechtigkeit entstehen Fragen, die sich nicht nur auf den angehäuften Schuldenberg beziehen, sondern auch auf die Hinterlassenschaft eines nachhaltig nutzbaren ökologischen Lebensraums Bezug nehmen. In diesem Zusammenhang werden die bisher vermeintlichen Errungenschaften des Systems komplett infrage gestellt. All das, was Wachstum und Wohlstand, aber eben gleichzeitig auch Übermaß, Ungerechtigkeit und ökologische Zerstörung gefördert hat, steht in berechtigter Kritik.

Zusehends machen sich die komplexen Wechselwirkungen zwischen Ökonomie und Ökologie bemerkbar. Denn der durch Wachstum gekennzeichnete Weg zu immer mehr Wohlstand geht einher mit konkurrierendem Wettbewerb, steigender Produktivität und höherer Effizienz. Die Folge ist ein enormer Ressourcenverbrauch, sowohl physischer Rohstoffe als auch ökologischer Lebensräume in Form von Luft, Wasser, Böden und Artenvielfalt in der Tierwelt. Der Anstieg der Weltbevölkerung tut sein Übriges dazu. Immer mehr Menschen streben nach Wohlstand oder ringen um ihre Lebensexistenz und verbrauchen dabei nicht endlos zur Verfügung stehende Lebensgrundlagen. So entsteht zwischen Ökonomie und Ökologie ein Zielkonflikt, der nicht ohne Folgen bleiben kann. Auch der Anstieg von Migration ist letztlich eine Ursache einer auf der Welt ungleichen und sozial unverträglichen Verteilung sicherer Lebensumstände und eines ökonomischen Wohlstands. Historisch betrachtet übrigens ein Umstand, der nicht nur der Neuzeit zuzuschreiben ist. 

Chance oder Utopie?

Vergleicht man die Anforderungen der Postwachstumskonzepte mit der uns tagtäglich einholenden Realität, erscheint ein Umdenken von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft schier unmöglich. Nur ein verändertes soziales und gesellschaftliches Miteinander könnte aber die Grundlage sein, um den aus der Ökonomie gewonnen Wohlstand ökologisch verträglich und gerecht zu verteilen. Weil Einkommen als Lebensgrundlage und für Konsum in unserem bestehenden System von zentraler Bedeutung ist, sind Gedanken zu einem bedingungslosen Grundeinkommen aufgekommen. Das Deutsche Institut der Wirtschaft (DIW) hat dazu bspw. errechnet, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 1.200 Euro finanzierbar wäre. Ein solches Einkommen basiere auf einem Ausgleichsmechanismus, bei dem die einkommensstärksten 10 Prozent vergleichsweise mehr Steuern zahlen als heute, dafür 83 Prozent der Bevölkerung mehr und 7 Prozent gleich viel Geld zur Verfügung hätten.

Ob die Vorstellungen einer neuen ökonomischen Grundordnung realisierbar sind oder nicht, zu berücksichtigen wird sein, dass sich die Bedeutung von Arbeit als Einkommensquelle gegenüber Kapital deutlich zu Gunsten des Kapitals verschoben hat. Diese Tatsache ist maßgeblich für die zunehmende soziale Unverträglichkeit verantwortlich. Wer dabei vorschnell von den "Kapitalisten" fordert, sich (noch) stärker ihrer Verantwortung bewusst zu werden, verkennt womöglich jedoch deren bereits leistenden sozialen Beitrag. Denn in der Regel gehen Unternehmer zunächst selbst ins Risiko, schaffen Werte, indem sie ihre Ideen umsetzen und ermöglichen all jenen, die nicht Unternehmer sein können oder wollen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Zweifelsohne kann ein solches, in sich systembedingtes Gefälle nur dann nachhaltig funktionieren, wenn es sich in einer beidseitig akzeptierten Balance befindet, in der beide Seiten die jeweils andere Seite anerkennen, wertschätzen und respektieren. Da Gerechtigkeit per se aber keinem Naturgesetz folgt, sondern immer individuell und subjektiv im Rahmen der eigenen Erwartungen und Lebensumstände interpretiert wird, stehen die jeweils eigenen Ansprüche im Sinne der Pyramide von Maslow einem friedvollen Miteinander zunehmend im Wege. So scheint auch ein Frieden zwischen Arbeit und Kapital kaum möglich. 

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