Iskandar Widjaja scheiterte mit dem Violinkonzert von Peter Tschaikowsky. Aber er hätte gar nicht erst auf das Podium kommen dürfen. Einen "Plan B" gab es offenbar nicht.
Ja, was war denn das? Man muss weit zurückgehen, wenn man das erste und letzte Buh! des Kissinger Sommers zeitlich festmachen will: Das war 1991, als ein Besucher die Inszenierung von Händels "Tamerlan" mit den Hallensern nicht ganz verstanden hatte. Und jetzt? Iskandar Widjaja hatte gerade nach dem ersten Satz von Tschaikowskys Violinkonzert den Bogen gehoben, als ein lautes Buh! die Ruhe zerschnitt.
Man kann darüber streiten, ob es fair war, mitten im Stück so seinen Unmut zu äußern. Denn der junge Mann konnte ja nicht sagen: "Dann eben nicht!" und in der Garderobe verschwinden. Er wusste jetzt, dass er zumindest einen Teil des Saales gegen sich hatte, gegen den er anspielen musste - eine ziemlich schwere Hypothek neben dem üblichen Aufführungsstress.
Berechtigter Zwischenruf Aber sachlich hatte der Zwischenrufer recht, denn das Konzert wurde zu einer Niederlage - als hätte Widjaja es zwar mal versucht, aber nicht geschafft. Wenn man nicht auch noch die Version von Lisa Batiashvili zwei Wochen zuvor im Ohr gehabt hätte! Jetzt fehlten in den beiden Ecksätzen etwa zehn Prozent der von Tschaikowsky notierten Töne ganz. Viele waren falsch, Lagenwechsel verrutscht, Verzierungen vernuschelt. Und immer wieder versuchte der Solist, das Tempo wenigstens ein bisschen zu senken. Irgendwann begann man zu hoffen, dass die Not bald ein Ende haben möge. Was man wirklich bewundern konnte, war Widjajas Fehlermanagement. Denn er schaffte es, auch die größten Aussteiger nach Tschaikowsky klingen zu lassen. Christoph Eschenbach, der alte Fuchs, schaffte es, seine Mimik unter Kontrolle und das gut reagierende Konzerthausorchester Berlin und den Solisten einigermaßen auf Augenhöhe zu halten.
Man tat sich schwer mit der Vorstellung, dass das der Geiger war, der ein paar Tage zuvor bei der KlangWerkstatt mit Kian Soltani so phantastisch das Kodály-Duo op. 8 musiziert hatte. Sollte er sich mit dem Tschaikowsky-Konzert so überhoben haben?
Den ganzen Tag im Bett War's bakteriell oder nervös bedingt? Wie zu erfahren war, soll er den ganzen Tag im Bett verbracht haben, war ärztlich behandelt, aber nicht krank geschrieben worden. Es war fraglich gewesen, ob er seinen Auftritt überhaupt durchhalten würde. Dass niemand da war, der zumindest die Indisposition vorher angekündigt hätte, wie das bei jedem Sänger geschieht, der drei Tage vorher einmal gehustet hat, ist unverständlich.
Aber tatsächlich hätte das Violinkonzert, aus welchen Gründen auch immer, abgesagt werden müssen, um den Solisten vor sich selbst, einem massiven Karriereschaden und das Festival vor einem Imageschaden zu bewahren. Es hätte bestimmt ein Ersatzstück gegeben, das Dirigent und Orchester drauf gehabt hätten.
Zwei Zugaben spielte Iskandar Widjaja trotzdem, und zwar erstaunlich gut: den ersten Satz aus der a-moll-Solosonate von Eugène Ysaye, der mit einem Bach-Zitat beginnt und mit dem Dies-irae-Thema endet, und ein indonesisches Volkslied
Komplexe Interpretation So deprimierend das Violinkonzert war, so überzeugend war Tschaikowskys 5. Sinfonie. Nach dem Mittwochskonzert machte es großen Spaß, ein Orchester zu hören, das außerordentlich engagiert und virtuos musizierte und das auch im Fortissimo nicht knödelte, und einen Dirigenten zu beobachten, den man wirklich "lesen" konnte: Christoph Eschenbach dirigierte sehr nüchtern und klar und mit großem Augenmerk auf die Differenzierungen der Emotionalität und den Verlauf der Melodie- und Kraftlinien. Das Leit- oder Schicksalsthema, das zu Beginn die Klarinette vorstellt und das in allen Sätzen auftaucht, ohne sich einbinden zu lassen, wurde von Eschenbach wie ein Memento von allen Seiten beleuchtet, bis es die Sinfonie zu einem triumphalen Schluss führte.
Und das berühmt-berüchtigte Hornsolo, das den zweiten Satz eröffnet? Dmitry Babanov, Solohornist der Konzerthäusler, spielte es mit absoluter innerer Ruhe und machte daraus ein wunderbares, sehr persönliches Lied, das erst von der umspielenden Klarinette wieder in die Realität zurückgeholt wird. Eine wirklich großartige, ebenso feinfühlige wie kraftvolle Interpretation der Sinfonie. Und Schweigen über den ersten Teil des Konzerts!