Wie "Die Puppe" das Publikum in Bad Kissingen in ihren Bann zog

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Sie war ein Genuss, diese kleine Welt aus Pappmaché und Papier und pittoresker Kleinstaaterei beim Stummfilm "Die Puppe", der jetzt im Innenhof des Luitpoldbades gezeigt wurde.
Sie war ein Genuss, diese kleine Welt aus Pappmaché und Papier und pittoresker Kleinstaaterei  beim Stummfilm  "Die Puppe", der jetzt im Innenhof des Luitpoldbades gezeigt wurde.
Gerhild Ahnert

Ernst Lubitsch ist mit dem 63-minütigen Streifen "Die Puppe" einer der besten Stummfilme überhaupt gelungen. Nicht nur, weil er technisch seinen Kollegen um einiges voraus war, sondern auch, weil man geistreich lachen konnte.

Am Hof des Preußenkönigs Friedrich II. gab es einen bretonischen Philosophen, den Friedrichs Freund Voltaire gerne den "Hofatheisten" nannte. Er stammte aus Saint-Malo (*1709) und war Arzt, Schriftsteller, Pamphletist und radikalaufklärerischer Philosoph. Er musste aus Frankreich fliehen, nicht nur wegen seines knochentrockenen Materialismus in seinen - meist sofort verbotenen - Schriften, sondern auch, weil er sich mit den französischen Ärzten angelegt hatte, denen er veraltete Ahnungslosigkeit vorwarf.

1746 ging er nach Leiden in den liberaleren Niederlanden. Aber auch da wurde ihm der Boden schnell zu heiß, sodass er 1748 eine Einladung von Friedrich nach Potsdam annahm: Julien Offray de La Mettrie. Offiziell angestellt wurde er als Vorleser des Königs - nicht unbedingt ein Karrieresprung nach oben für einen Philosophen. Er starb 1751 bei bester Gesundheit bei einem "gastronomischen Unfall" den "Pastetentod" durch eine übermäßige Fasanenpastete - ausgerechnet, was feixend am Hofe zur Kenntnis genommen wurde, am 11. 11. - als schon damals die Narren Auslauf bekamen.

La Mettrie hat sich bis heute vor allem durch eine philosophische Schrift in Erinnerung gehalten, die er in Leiden verfasst hat: "L' homme-machine" ("Maschine Mensch"). In dem Buch beschreibt er den Menschen als eine sich selbst steuernde biologische Maschine und leugnet den Dualismus von Leib und Seele und damit auch die Willensfreiheit. Für ihn ist die Seele das Resultat komplexer Körperfunktionen. Und am Ende schreibt er: ""Ziehen wir also kühn den Schluss, dass der Mensch eine Maschine ist und dass es im ganzen Weltall nur eine Substanz gibt, die freilich verschieden modifiziert ist."

Abgesehen von heftigsten philosophischen Debatten trug La Mettries Schrift wesentlich dazu bei, im 18. Jahrhundert den Automatenbau zu befördern, darunter die Versuche, Maschinen als Menschen zu gestaltet, die steuerbar sind. Und auch die Literaten und Librettisten entdeckten diese neuen Puppen. Das berühmteste Beispiel ist sicher die Puppe Olympia aus E. T. A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann", die in Jacques Offenbachs Oper "Les conters d'Hoffmann" im zweiten Akt auftaucht.

Aber auch der Filmregisseur Ernst Lubitsch erlag dem Charme des Themas, als er 1919 den Stummfilm "Die Puppe" drehte, der jetzt im Innenhof des Luitpoldbades gezeigt wurde - was übrigens erstaunlich gut funktionierte. Und um es gleich zu sagen: Lubitsch ist mit diesem 63-minütigen Streifen einer der besten Stummfilme überhaupt gelungen. Nicht nur, weil er technisch seinen Kollegen um einiges voraus war und Aufnahmemethoden entwickelte, die erst später Allgemeingut wurden. Sondern auch, weil er einen Filmgedreht hat, der sich nicht in weinerlichen und tieftraurigen Mienen erschöpft, sondern über den man geistreich lachen kann. Natürlich konnte man auch über Dick und Doof lachen, aber das waren im Vergleich absolute Plattitüden.

Die Handlung des Films, höchst kurzweilig und episodenreich konstruiert, ist zum Verzweifeln: Der sein nahendes Ende spürende Baron de Chanterelle will, dass sein Neffe Lancelot endlich heiratet. Der will natürlich nicht. Der Baron veranstaltet ein Casting mit 40 Jungfrauen - Fehlanzeige. Denn Lancelot flieht ins Kloster. Dort entdecken die Mönche eine Zeitungsanzeige, in der der Baron seinem Neffen 300 000 Taler Mitgift verspricht. Sie schlagen Lancelot vor, eine Puppe zu heiraten und verlangen dafür das Geld zur weiteren Finanzierung ihrer bedrohten Völlereien.

Der berühmte Puppenmacher Hilarius hat gerade eine Puppe gefertigt, bei der ihm seine Tochter Ossi Modell gestanden hat. Sie kann sogar grüßen und tanzen. Doch als Lancelot schon vor der Türe steht, lässt der Stift sie fallen - ein Arm ist kaputt. Da muss die echte Ossi halt als Puppenersatz einspringen - ohne Wissen ihres Vaters und natürlich Lancelots. Der kehrt mit seiner vermeintlichen Puppe zurück ins Kloster. Das war erst die Hälfte. Machen wir hier Schluss: Man kann sich denken, wie die Sache ausgeht.

Sie ist ein Genuss, diese kleine Welt aus Pappmaché und Papier und pittoresker Kleinstaaterei. Und Ernst Lubitsch hat keine Chance zur Komödie und Gesellschaftsironie ausgelassen und meisterhaft auf der Klaviatur der Fantasie und Täuschung gespielt.

Es muss allen Beteiligten ein großes Vergnügen gewesen sein, diesen Film zu erarbeiten. Allen voran Ossi Oswalda als Puppe Ossi, die ihre Rolle mit allen Verblüffungsmomenten sichtlich auskostete - nicht nur, wenn sie - vermeintlich - mit einer Kurbel am Rücken wieder aufgezogen werden musste. Es ist eine Flut von Gags, aber man hätte keinen missen wollen. Die sparsam gesetzten Zwischentexte hätte man nicht gebraucht.

Die unverzichtbare Musik kam von einem Flügel. Der Pianist Matan Porat hatte den Kraftakt des über einstündigen Klavierspielens und Improvisierens übernommen. Mit der Musik zu Hitchcock-Filmen konnte diese Musik natürlich nicht mithalten, mit dieser Wucht der Gefühlsproduktion. Aber sie war auch gewöhnungsbedürftig, weil man sie sich etwas anders erwartet hatte. Porat arbeitete mit Versatzstücken, die zumindest am Anfang keine erkennbare Rücksicht auf Wandel im Geschehen nahmen, auch wenn sie unterhaltsam waren. Erst im zweiten Teil gab es konkrete Kommentare, da hörte man auch der Musik abrupte Wechsel, Verwirrungen, heftige Schläge und was es so gab, auch wirklich an. Aber vielleicht muss das so sein.