Die Shakespeare Company Berlin schaffte es wieder, mit viel Spielwitz und Intensität , die mysteriöse und eigentlich unendlich ferne Renaissancewelt des "Wintermärchens" in die Gegenwart zu holen und das Publikum zu fesseln.
"Problemstücke"nennt man im Englischen diese merkwürdigen späten Dramen William Shakespeares, die man irreführend als "Romanzen" eingedeutscht hat. So richtig inszenieren wollten sie lange nur wenige; die Klassiker lehnten sie als Bastarde aus Tragödie und Komödie ab. In ihnen kümmert Shakespeare sich keinen Deut darum, dass Aristoteles Zeit und Ort einer Bühnenhandlung beschränkte; sondern springt etwa in "Ein Wintermärchen" zwischen Sizilien und einem mysteriösen Böhmen am Meer hin und her und lässt zwischen Anfang und Schluss 16 Jahre verstreichen. Eigentlich müsste der durch einen Eifersuchtswahn zum erbarmungslosen Tyrannen mutierende König Leontes in einer Tragödie den Tod seines Sohnes mit seinem eigenen büßen, oder es müsste sich alles komödienkonform in Wohlgefallen auflösen. All dem verweigert sich Shakespeare in vielen Dramen, was wohl auch ein Grund dafür ist, dass man ihn 2016, zu seinem 400. Todestag, noch immer als den größten aller Dramatiker feiern wird.
400-jähriger Publikumsmagnet
Welch ein Publikumsmagnet Shakespeare mit seinen 400plus Jahren und seinem vernachlässigten Stück noch immer sein kann, zeigte mal wieder die Shakespeare Company Berlin beim Theaterring im Kurtheater. Das Haus war voll; das Publikum gab Szenenapplaus, sang mit und wollte am Ende mit seinem Beifall nicht aufhören.
Seit nunmehr zwölf Jahren zeigt die Berliner Truppe unter ihrem Übersetzer und Regisseur Christian Leonard den Kissingern, dass bei Shakespeare Weniger mehr bedeuten kann. Weniger an Schauspielern, denn man kommt grundsätzlich mit vier bis fünf Spielern aus, aber mehr an Erfindungsreichtum, Inszenierungs- und Spielwitz, an Poesie, Bühnenmusik, fröhlich albernen wie eindringlich an die Substanz gehenden Szenen. Und nie ein Rückzug auf pathetisch-langweiliges Klassikerdeklamationstheater oder respekt- bzw. ideenloses, angeblich zeitgemäßes Destruktionstheater.
Die Berliner setzen dagegen auf pralles Theatererleben, das Verstand und alle Sinne einbezieht, anspricht, aktiviert. Bei dem vom Programmheftverkauf durch die Schauspieler bis zum Auftreten aus und Abstechern in das Publikum Nähe vermittelt wird und dieselbe Nähe möglich wird zu dem uns eigentlich reichlich fremden Inhalt des Stücks. Was gehen uns zwei Könige und ihre Kinder an, was ein armer Schäfer und sein depperter Sohn, was die Geschichte einer 16 Jahre für tot gehaltenen Königin? Was ein rätselhafter Orakelspruch?
Übertragung in die Gegenwart
Aber durch Christian Leonards Übertragung in unsere Sprache und in unseren Erfahrungshorizont interessieren wir uns für diese Geschichten, durch die Intensität der Darstellung fühlen wir mit den Personen und dies sogar, wenn sie durch Puppen dargestellt werden wie der kleine Königssohn Mamillius oder das neugeborene Kind Perdita, die durch geschicktes Puppenspiel und bauchrednerische Raffinesse reden und wimmern können.
Fesselnde Vielseitigkeit
Und nicht nur bauchreden können diese Schauspieler, sondern auch sehr gut, auch vierstimmig singen, Instrumente vom Akkordeon bis zur Geige und dabei jeweils drei Rollen spielen mit all den blitzschnellen Umzugsaktionen und umzugsüberbrückenden Musikeinlagen. Und trotz dieses anstrengenden Multitaskings gibt es immer wieder Szenen, in denen etwa ein Liebesgeständnis, ein Moment tiefen Schmerzes plötzlich die Bühnenhandlung zum Stillstand bringen und das Publikum zum ergriffenen Staunen.
Das schafften trotz der geschickten Beleuchtung der klar strukturierten Bühne und der wunderbaren Kostüme aus einer Phantasie-Renaissance natürlich die spiel- und verwandlungsbegeisterten vier Mitglieder der Berliner Truppe, die sich die vielen Rollen teilen. Katharina Kwaschik spielte die verstoßene Königin Hermione von Sizilien als reife, verletzliche, abgeklärte Dame, deren fast erwachsene, unerkannt als Schäferskind in Böhmen lebende Tochter Perdita mit viel Einfühlungsvermögen in deren spätpubertäre Schüchternheit und den böhmischen Hofmann Archidamus mit der gerade nötigen Servilität.
Ständiger Rollenwechsel
Johanna-Julia Spitzer war als Paulina ihre Zofe, die frechmäulige Gattin des Hofmanns Antigonus, aber auch der warmherzige Hofmann Camillo und der richtig begriffsstutzige Schäfersohn Hansdampf mit viel Differenzierungsgeschick in ihrer Rollendarstellung. Nico Selbach gab den sehr plötzlich in Eifersucht und Tyrannei stürzenden und daraus wieder in tiefe Reue katapultierten König Leontes in all seinen Kapriolen glaubwürdig, ließ den Schäfer von der böhmischen Küste plattdeutsch schnacken und genoss die Rolle des windigen Taschendiebs Autolycus, indem er seine Taschenspielertricks auf der Bühnenbrüstung der 1. Reihe hautnah vorspielte. Und Thilo Herrmann, der zunächst den sizilianischen Hofmann Antigonus spielte, dann aber König Polixenes von Böhmen und dessen Sohn Florisel im erregten Dialog zu verkörpern hatte, schaffte es, das gleichzeitig zu tun, indem er Perücke und Bart, Stimme und Mimik blitzschnell wechselte, um den Dialog zwischen den beiden ohne Pause führen zu können. Hier und an vielen anderen Stellen war das Weniger wieder mehr, denn das Publikum hatte viel zu lachen bei seinen Bemühungen. Wie schon so oft verließen die Zuschauer das Kurtheater in Hochstimmung.