Igor Levit gehört zu den Aufsteigern unter den Pianisten.
Er wird wohl der nächste Pianist sein, der mit seinen Recitalen den Schritt vom Rossini-Saal in den Großen Saal schafft. Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass viel versäumt, wer nicht kommt. Und so war der Rossini-Saal bei dem Konzert von Igor Levit ausverkauft - für eine Matinee eine sehr seltene Erscheinung.
Es gab tatsächlich viel zu versäumen bei dem KlavierOlympiade-Zweiten von 2004, der seitdem eine phänomenale Entwicklung hingelegt hat. Er ist ein Pianist, der die seltene glückliche Verbindung von Solidität und Inspiration geschafft hat, der sich ungemein viele Gedanken über die Musik und ihre Interpretation macht und der auch in der Lage ist, diese Gedanken in Gestaltung umzusetzen. Die sind oft überraschend, aber immer nachvollziehbar, weil sie sehr viel Leben enthalten. Und Igor Levit ist ein glänzender Techniker, was bei ihm allerdings nicht so stark auffällt, weil er nicht seine Grenzen ausreizen muss und weil er sich lieber über die Inhalte bemerkbar macht.
Was das heißt, zeigte er gleich mit Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 4 BWV 826. Klanglich war sie nicht als Cembalo- oder Klavichordkopie angelegt, sondern nutzte die expressiven Möglichkeiten des Flügels. Aber stilistisch war sie ganz auf die Barockästhetik ausgelegt, mit viel wirkungsvoller Luft zwischen den Akkordblöcken der Ouvertüre im französischen Stil. Natürlich genoss er die schnellen Sätze, plastisch gestaltet mit strukturierenden Zäsuren, mit dynamisch logischen Phrasierungsbögen, die auch im größten Getriebe Klarheit und Orientierung vermittelten.
Aber seine wahren Freunde scheinen die langsamen Sätze zu sein, nicht weil sie leichter, sondern weil sie so schwer zu spielen sind. Ihnen lässt Igor Levit unglaublich viel Zeit, ohne die Spannung zu beschädigen, und er kann hier sehr viel von sich selbst in die Interpretation legen.
Ferruccio Busonis Klavierwerk scheint Igor Levit ein besonderes Anliegen zu sein. Seine "Fantasia nach J. S. Bach". Sonst wäre ihm ein derartiges Maß an Vertiefung nicht möglich. Nicht nur die Verwendung von Bachzitaten, sondern auch die in die Trauer gewendete Zeile "In dulci jubilo" (Busonis Vater war gerade gestorben) wurde außerordentlich deutlich und vermittelte durch die hochkonzentrierte Spielweise ein hohes Maß an meditativer Qualität.
Und dann natürlich Beethoven. Der ist im Moment sein Leib- und Magenkomponist. Und vielleicht spielt er irgendwann auch in Bad Kissingen mal den gesamten Sonatenzyklus. Dieses Mal waren es zwei: die B-dur op. 22, in die Igor Levit beherzt und mit viel Witz hineinsprach, die er zu einem Musterbeispiel von Anspannung und Entspannung als treibende Kraft der Musik machte. Und dann, als völliger Kontrast, die f-moll op. 57, die "Appassionata", die mit ihren starken dynamischen Spannungen und ihrem nervösen Pulsieren zu einem ungemein plastischen Sinnbild der Getriebenheit wurde. Und das so ansteckend, dass der Finalsatz kein Allegro ma non troppo, sondern ein Allegro precipitato wurde. Und trotzdem schaffte es Igor Levit, in der Presto-Stretto noch einmal zuzulegen.