Vom Notbetrieb zur Integration

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Der Syrer Mohammed Ali Tato (von links) war einer von 597 Asylbewerbern, die die Not-Unterkunft Bad Kissingen durchlaufen haben. Bei einem Pressetermin führte er im April mit Dr. Nagham Soda und Uve Bartz vom Roten Kreuz das Pilotprojekt Teleview für Flüchtlinge vor. Foto: Archiv/Ralf Ruppert
Der Syrer Mohammed Ali Tato (von links) war einer von 597 Asylbewerbern, die die Not-Unterkunft Bad Kissingen durchlaufen haben. Bei einem Pressetermin führte er im April mit Dr. Nagham Soda und Uve Bartz vom Roten Kreuz das Pilotprojekt Teleview für Flüchtlinge vor. Foto: Archiv/Ralf Ruppert

Die beiden Not-Unterkünfte in Bad Kissingen und Hammelburg wurden am Sonntag offiziell geschlossen. Das Projekt Teleview soll weitergehen.

"Am Sonntag um 18.10 Uhr habe ich endgültig zugeschlossen", berichtet Denny Heinsmann über die Not-Unterkunft in der Bad Kissinger Röntgenstraße. Heinsmann ist beim Landratsamt für Katastrophenschutz zuständig. Am 31. Juli endete die Geschichte der beiden Not-Unterkünfte im Landkreis: Das Bad Kissinger Gebäude geht zurück an den Vermieter, die Hammelburger Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung Schweinfurt bleibt noch bis zum Jahresende im Stand-by-Modus.
Der letzte Bewohner in der Bad Kissinger Einrichtung zog vergangenen Mittwoch aus, in Hammelburg verließen die letzten fünf Bewohner, allesamt anerkannte Flüchtlinge, am 19. Juli das frühere BayWa-Gebäude. Als "Einrichtung, die uns sehr viel Kopfzerbrechen bereitet hat", bezeichnet der stellvertretende Landrat Emil Müller die Bad Kissinger Not-Unterkunft. Bereits im Winter 2014/2015 habe es Pläne gegeben, kreiseigene Turnhallen zu nutzen. "Das war zum Glück nicht der Fall."


Kreis hatte nur fünf Tage Zeit

Am 19. August 2015 kam dann die Ankündigung der Regierung von Unterfranken, dass der Kreis Bad Kissingen eine Not-Unterkunft aufbauen muss, bereits fünf Tage später zogen 112 Flüchtlinge in der ehemaligen Wäscherei in der Röntgenstraße ein. Mitte September wohnten dort 316 Menschen, im November waren es noch 300, ab dann sank die Zahl: Im Januar waren es noch 188, im April 66.
"Es war die richtige Entscheidung, nicht in Turnhallen zu gehen", zieht Asyl-Koordinator Stefan Seufert Bilanz. Schüler und Vereine hätten sonst ein Jahr lang auf die Hallen verzichten müssen, zum anderen sei in der Röntgenstraße mehr Privatsphäre möglich gewesen. "Das hat auch zur Entspannung beigetragen", betont der zuständige Abteilungsleiter im Landratsamt Tim Eichenberg.


Katastrophenschutz ergänzt

Rund 2000 ehrenamtliche Arbeitsstunden habe alleine das Rote Kreuz für Aufbau und Betrieb der Not-Unterkunft eingebracht, sagt Betreuer Rudi Baier. Zudem wurden zwei hauptamtliche Kräfte eingestellt, über deren Zukunft noch nicht entschieden sei. "Wir können's jetzt", kommentiert Seufert die gelungene Einrichtung der Not-Unterkunft. Ein Teil der Einrichtung sei an die staatliche Erstaufnahme-Einrichtung abgegeben worden, aber der Landkreis habe im Zuge der Flüchtlingsunterbringung auch sein Material aufgestockt: "Im Katastrophenschutz sind wir gut aufgestellt", betont deshalb Eichenberg, und: "Die gute Vernetzung mit dem Blaulicht-Bereich hat sich bewährt." Neben dem Roten Kreuz hätten Feuerwehren, Technisches Hilfswerk und die Nachbarn geholfen.


Gutes Miteinander mit Nachbarn

"Wir haben uns bei allen Nachbarn nochmal persönlich bedankt", berichtet Müller und lobt die hohe Akzeptanz der Unterkunft. "Es gab keine Probleme mit dem Umfeld, lediglich kleinere Reibereien innerhalb der Unterkunft, aber das bleibt nicht aus, wenn so viele Menschen auf so engem Raum zusammen leben", fasst Müller die Sicherheitslage zusammen.
"Das ist problem- und geräuschlos gelaufen", berichtet auch Johannes Hardenacke, Pressesprecher der Regierung von Unterfranken, über die Hammelburger Einrichtung und lobt die Zusammenarbeit mit den Maltesern. Die Unterkunft werde bis Jahresende vorgehalten, allerdings würden vermutlich die Sanitär-Container schon vorher abgezogen. Eine Prognose lasse sich davon aber nicht ableiten: "Es gibt einfach zu viele Unwägbarkeiten", verweist Hardenacke auf die aktuellen Flüchtlingsströme.


Entspannung in Unterfranken

Die Not-Unterkunft in Bad Kissingen sei die letzte in ganz Unterfranken gewesen, in Hammelburg unterhielt die Bezirksregierung formal eine Außenstelle der Erstaufnahme-Einrichtung Schweinfurt. Auch davon gebe es seit Sonntag nur noch vier: drei in der Stadt und eine im Landkreis Würzburg. 632 Menschen sind insgesamt in der Erstaufnahme-Einrichtung Schweinfurt untergebracht, davon 304 so genannte Fehlbeleger, also bereits anerkannte Flüchtlinge, die eigentlich eine Wohnung bräuchten.
Die Zahl der Fehlbeleger nehme insgesamt stark zu: Von 13 186 Flüchtlingen in unterfränkischen Gemeinschafts- und dezentralen Unterkünften waren Ende Juni 2107 Fehlbeleger. "Wir müssen jetzt dringend Wohnraum schaffen und suchen", sagt Hardenacke. Ein Weg sei, dezentrale Unterkünfte umzuwandeln, Asylberechtigte könnten die Mietverträge übernehmen. Langfristig sei es aus Sicht der Regierung von Unterfranken wirtschaftlicher, die Menschen in wenigen Gemeinschaftsunterkünften anstelle von hunderten dezentraler Einrichtungen unterzubringen. Allerdings solle das "mit Augenmaß" passieren: Kostengünstige dezentrale Lösungen würden nicht einfach aufgelöst.
"Die regionale Verteilung hat sich bewährt", sagt Asyl-Koordinator Seufert und schätzt, dass rund 90 Prozent der anerkannten Flüchtlinge bisher im Landkreis blieben. Aktuell wohnen hier 417 Asylbewerber in Gemeinschafts- und 757 in dezentralen Unterkünften.
Trotz der Schließung der Not-Unterkunft soll das dort begonnene Pilotprojekt "Tele-View für Flüchtlinge" weitergehen. Das Zentrum für Telemedizin und Mediziner mit Migrationshintergrund haben ein Beratungsangebot aufgebaut. "Wir hatten mit Tele-View beeindruckende Ergebnisse und konnten konkrete Hilfe leisten", fasst Geschäftsführer Sebastian Dresbach die Ergebnisse zusammen.

Anfang Juli gab es in der Bad Kissinger Not-Unterkunft die letzte telemedizinische Sprechstunde für Flüchtlinge. Das Pilotprojekt "Tele-View" endete vorerst, allerdings nicht mangels Erfolg, sondern mangels Patienten (siehe Titelseite). Acht Ärzte halfen bei der Beratung: iranische und syrische Mediziner, sechs aus Bad Neustadt, zwei aus dem Raum Karlsruhe. Sie engagierten sich entweder ehrenamtlich oder wurden zum Beispiel von der Rhön-Klinikum AG dafür frei gestellt.
"Wir wollen auf alle Fälle weitermachen", will das Zentrum für Telemedizin das Projekt nun nicht abreißen lassen. Laut Geschäftsführer Sebastian Dresbach gebe es verschiedene Varianten: vom Umzug in die Gemeinschaftsunterkunft in der Winkelser Straße bis zu einer mobilen Variante für Praxen. Die eigene Software samt Daten-Sicherheit sei vorhanden. Kontakte und bundesweites Interesse an dem Projekt gebe es auch bereits.