Schumann-Liederabend: Nachrichten aus dem Grusel-Salon

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Christian Gerhaher (Bariton, rechts) und Gerold Huber (Klavier) Foto: Gerhild Ahnert
Christian Gerhaher (Bariton, rechts) und Gerold Huber (Klavier)  Foto: Gerhild Ahnert

Christian Gerhaher und Gerold Huber präsentierten Lieder von Robert Schumann. Darin wurde erstaunlich viel gestorben - und ausgerechnet aus Liebe.

Welcher Teufel hat Christian Gerhaher und Gerold Huber da geritten? Ihr Publikum mit einem Schumann-Liederabend anzulocken und dann in tiefste Depressionen zu stürzen? Natürlich kann man darüber streiten, ob ein ganzer Abend mit Liedern des Zwickauers eine sinnvolle Sache ist, oder ob es nicht spannender wäre, ihn in Beziehungen zu Kollegen zu stellen. Das ist eine Geschmackssache. Aber dass in 21 der 33 Lieder gestorben werden muss, meistens an gebrochenem Herzen, und dass die übrigen 12 Lieder mehr oder weniger auf dem Weg dorthin sind - mit drei Ausnahmen - das muss man erst einmal verkraften.


Ein Lebensgefühl

Gerhaher und Huber hatten eine Auswahl getroffen, die Bekanntes mit kaum Bekanntem verband: den Liederkreis op. 24 nach Heine-Texten, den Lenau-Zyklus op. 90 und die Romanzen und Balladen op. 49 mit den Liedern und Gesängen op. 96, der späten Sammlung op. 127 und den vier Gesängen op. posth. 142, die erst nach Schumanns Tod erschienen sind. Aber auch in den seltener gesungenen Sammlungen fanden sich natürlich alte Bekannte.
Es ist das Lebensgefühl, das aus den Liedern spricht, das heute eigentlich nicht mehr zu vermitteln ist - Heinrich Heine ist da, freilich nicht immer, ein Sonderfall. Es ist das Gefühl, das in der Barockzeit entstanden ist nach dem Grundsatz: Es geht mir nur wirklich gut, wenn es mit wirklich schlecht geht. Damals waren die irdischen Mühen so etwas wie eine vertröstende Garantie für das Leben im Paradies. Das zeigt sich auch in Bachs Kantaten: "Ich freue mich auf meinen Tod" heißt es beispielsweise in der Kantate "Ich habe genug" BWV 82.
In der Romantik geht es allerdings nicht mehr darum, die Nähe zu Gott zu suchen. Der ist als Topos verschwunden. Da geht es um verwundete Seelen, um enttäuschte Drohungen, um eine immer wieder erstaunliche Ich-Bezogenheit. Wer sich - aus heiterem Himmel - den Tod wünscht, stiehlt sich aus der Verantwortung für das Leben. Man verstand, dass der Punkt immer näher rückte, an dem etwas Neues kommen musste. Dass es ausgerechnet die Zweite Wiener Schule wurde, konnte damals niemand ahnen.
Es wäre Unsinn zu sagen, dass Schumann deshalb in den Rhein gesprungen ist, weil er seine Lieder zu oft gehört hat. Obwohl sich zwischen seinen Depressionen und seinen Textaffinitäten vielleicht Zusammenhänge herstellen lassen. Aber Schumann hatte den Zeitgeschmack zu bedienen: In den Salons wollte man sich gruseln. Seien wir nicht überheblich: Die tausend Tode, die da gestorben wurden, sind genauso virtuell wie die heutigen Computerkampfspiele in den Kinder- und Jugendzimmern. Einen "Werther-Effekt" haben Schumanns Lieder nicht ausgelöst. Heinrich Heine hat die entscheidende Frage zum Programm gestellt, und Robert Schumann hat sie auch noch vertont: "Anfangs wollt' ich fast verzagen, und ich glaubt', ich trüg' es nie, und ich hab' es doch getragen - aber fragt mich nur nicht, wie?" Die Frage lässt sich durchaus beantworten: einigermaßen gut, weil so wunderbar musiziert wurde, weil die Darstellung des seelischen Elends ein Niveau erreichte, das man sich ums Sterben nicht entgehen lassen wollte.


Gemeinsamer Atem

Wenn es ein Lied-Duo gibt, das zum Alleinunterhalter zusammengewachsen ist, dann sind es Christian Gerhaher und Gerold Huber. Der Bariton und der Pianist verstehen sich blind, wissen immer genau, was der andere tut, haben den gemeinsamen Atem und verstehen ihr unterschiedliches Tun als sich bedingende Einheit. Gerold Huber spielt immer ganz eng am Text, und er begleitet nicht, sondern macht Angebote. Und Christian Gerhaher lässt sich auf sie ein, weiß sie zu nutzen.
Und er bewies Mut: Einen Liederabend ausgerechnet mit Goethes "Nachtlied" zu beginnen, mit langen Haltetönen, bei denen die kleinste Korrektur zur Peinlichkeit wird, mit einem Lied, in dem das Klavier keine harmonischen Hinweise gibt, sondern gegen die Stimme spielt, das muss man sich erst einmal trauen. Aber Gerhaher ist schlicht und einfach souverän, nicht nur, was die nicht immer einfachen Schumannschen Intonationen betrifft. Er ist auch so frei, dass er singen kann, als würde er erzählen, und trotzdem die gestalterische Distanz wahrt. Das ist bei diesen Liedern dann doppelt gemein, weil man sich als Zuhörer der Erzählung angesprochen fühlt. Und daneben steht ein Flügel, der auch noch ein Ausrufezeichen nach dem anderen aussendet.
Natürlich sind Gerhaher und Huber zwei Männer von heute, die mit den Texten auch ihre Probleme haben. Und manchmal hatte man den Eindruck, dass das Selbstmitleid nicht nur gespielt war. Aber sie nutzten auch die Freiräume der Gestalter, um wenigstens einige der Lieder näher an die Gegenwart heranzuholen, ihnen einen hinterfragenden Unterton zu geben. Besonders wirkungsvoll gelang ihnen das bei "Die beiden Grenadiere", weil Heinrich Heine und sogar auch Robert Schumann die Möglichkeit angelegt hatten.
Das ist das Lied von den zwei Soldaten, die aus Russland zurückkehren und hören, dass ihr Kaiser - Napoleon - gefangen ist. Soll oder kann man ihn befreien? Der eine winkt ab, weil er zuhause eine Familie zu versorgen hat. Der andere hat das auch, aber für ihn hat der Kaiser absoluten Vorrang, selbst wenn er für die Aktion noch einmal aus dem Grab aufstehen muss. Es ist das berühmte Lied, in dem Schumann als höchsten Ausdruck des Heldenmutes die Marseillaise zitiert (war er da etwa ironisch?) Gerhaher und Huber springen darauf an: Sie wenden den letzten Satz: "Dann steig' ich gewaffnet hervor aus dem Grab - den Kaiser, den Kaiser zu schützen!" in eine Frage mit zweifelndem, verklingendem Unterton. Und plötzlich steht der Familienvater als der moralisch Glaubwürdige da.
Der Abend hätte ja heiter, todlos enden können mit einem Lied aus dem Nachlass: "Mein Wagen rollet langsam" - Text natürlich von Heine. Da triezen drei scheue Schattengestalten "zum Fenster herein" einen Reisenden, der in Gedanken an seine Liebste eingeschlafen war. Aber dann mussten in der Zugabe doch wieder zwei junge Menschen wegen falsch gelaufener Liebe sterben. Das war wie nachgetreten, da war man wieder ganz unten. Naja, nach einem Schoppen konnte man wieder lachen und sich freuen, dass man dabei gewesen war.