Paganinis Double

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Kollegiale Geste: Als Ning Feng die große Kadenz des Paganini-Konzerrts spielte, stieg Lawrence Foster von seinem Pult, um einfach nur zuzuhören. Fotos: Ahnert
Kollegiale Geste: Als Ning Feng die große Kadenz des Paganini-Konzerrts spielte, stieg Lawrence Foster von seinem Pult, um einfach nur zuzuhören. Fotos: Ahnert
Chi Ho Han
Chi Ho Han
 

Ning Feng zauberte das 1. Violinkonzert des Teufelsgeigers. Und das Orchestre National de Marseille feierte eine besondere Premiere.


Die Frage drängte sich immer mehr in den Hinterkopf: Wie mag wohl Niccolò Paganini sein eigenes Violinkonzert D-dur op. 6, sein erstes, gespielt haben? So wie Ning Feng? So schnell? So sauber? So blitzgescheit? Es gibt über das Spiel des "Teufelsgeigers" zwar einige Zeugnisse, aber vor allem begeisterte, wenig konkrete, technische. Die Geige machte keinen Unterschied. Auch Paganini bevorzugte seine Stradivari, die "Cannone" - auf der Ning Feng übrigens auch schon mehrere Konzerte gespielt hat, als er 2006 in Genua den Paganini-Wettbewerb gewonnen hatte.

Sicher hatten die Saiten einen gewissen Einfluss. Paganini war auch deshalb so erfolgreich, weil er erheblich dünnere Darmsaiten verwendete, die ein besseres, schnelleres Ansprechverhalten hatten. Aber die Entwicklung ist weitergegangen. Andererseits ist der Bogendruck heute größer als damals, der das (hüpfende) Spiccatospiel erleichternd beeinflusst. Wo Paganini sicher im Vorteil war: Er hatte etwas längere Finger als Ning Feng, die noch dazu ungewöhnlich streckbar waren, wie sein Arzt feststellte.

Wir können die Fragen heute nicht mehr beantworten. Aber wir können davon ausgehen, dass Paganini nicht sonderlich amüsiert gewesen wäre über einen plötzlich auftauchenden Konkurrenten.
Die Aufführung war jedenfalls atemberaubend lustvoll. Lawrence Foster ließ sein Orchestre National de Marseille so beschwingt musikantisch aufspielen, dass man plötzlich an den Auftritt einer typisch italienischen Banda dachte. Und dann kam Ning Feng mit der stoischen Gelassenheit dessen, der weiß, dass er keine Probleme bekommen wird. Er kostete die Extreme aus zwischen forcierter Virtuosität und ruhigem Aussingen - wobei die Übergabestellen die spannendsten waren.

Schwitzen sieht anders aus

Es war unglaublich, mit welcher Präzision und musikalischer Gestaltungskraft sich Ning Feng durch dieses Notengebirge arbeitete, ohne dabei ins Schwitzen zu kommen, wie er die fulminanten Spiccatopassagen ablieferte. Wie er in den Doppelgriffläufen, zum Teil auch im fürchterlich empfindlichen Flageolett ein Prestissimo entwickelte, das nicht gehetzt, sondern nur absurd schnell wirkte. Wie er in dem wunderbar singenden Adagio espressivo auf der G-Saite in die hohen Lagen ging, um durch einen Saitenwechsel nicht die Klangfarbe zu verändern - ein kleiner Kunstgriff mit großer Wirkung. Und die Kadenz des ersten Satzes war so fulminant, dass das Publikum schon nach dem ersten Satz heftig klatschte - wie bei Paganini.

Das Orchester ist in diesem Konzert im wesentlichen Stichwortgeber, aber die gab es selbstbewusst mit großer Präsenz und anregender Farbigkeit. Schade, dass kein Sender mitgeschnitten hat. Als Zugabe spielte Ning Feng eine virtuos-leise Bearbeitung der Gitarrenkomposition "Recuerdos de la Alham bra" von Francisco Tárrega.
Natürlich passten Rachmaninoffs Paganini-Variationen da gut hinten dran. Aber der 22-jährige Koreaner Chi Ho Han, der 2013 den Kissinger KlavierOlymp gewonnen hat, hat innerlich sicherlich mehrmals seine Zusage verflucht. Er hat sich wirklich ganz gut geschlagen in dem fast halbstündigen Werk, in dem er sich nie zurücklehnen konnte und ständig Volldampf spielen musste. Aber er musste kämpfen - gegen Rachmaninoff und gegen das Orchester, das ihm, durchaus im Sinne des Komponisten, keine Rücksicht gewährte, von dem er sich nie die Führung eroberte. Aber ein 2. Platz ist ja auch etwas Schönes, wenn der Gegner Vorletzter wird. Zugabe war die "Vocalise" von Rachmaninoff. Zufall: Die hatten drei Stunden vorher Hyeyoon Park und Nareh Arghamanyan auch gespielt.

Beste Selbstempfehlung

Was gab es noch? Zu Beginn die Ouvertüre zu der Oper "Le roi d'Ys" von Edouard Lalo, mit dem sich das Orchestre National de Marseille im Großen Saal vorstellte, für das der Sonntag ein besonderer Tag war: Es war das erste Konzert, das das Orchester in seiner 50-jährigen Geschichte außerhalb der Grenzen von Frankreich gegeben hat. Und das merkte man. Denn Lalos farbige und hochdramatische Musik - schließlich geht es um die enttäuschte Liebe einer Prinzessin, die aus Rache ihre Heimatstadt im Meer versinken lassen will und das auch tut - aber zum Glück nur zum Teil. Das ist ein Stoff, aus dem engagiertes Musizieren erwächst, und Lawrence Foster hatte keine Mühe, seine Leute zu einem farbenkräftigen, mitreißenden Musizieren zu animieren. Aber auch bei Bizets Arlesienne-Suite hinterließ das Orchester einen höchst animierten und verantwortlichen Eindruck. Der Beifall war entsprechend. Zwei Stücke legten Lawrence Foster und sein Orchester noch drauf: die Sicilienne aus Faurés "Pelléas et Mélisande" und das Bacchanal aus "Samson et Delilah" von Saint-Saëns. Am Mittwochabend ist das Orchester noch einmal zu hören.