Daniel Hope, international erfolgreicher Geiger, Orchesterleiter und Erfinder neuer Konzertformate, hatte sein New Century Chamber Orchestra mitgebracht. Das war zu einer Europa-Tournee aufgebrochen, die in Bad Kissingen ihren Anfang nahm.
Also ehrlich gesagt: So ganz glücklich konnte man nicht werden bei dem ersten nicht vom Wetter sabotierten Open Air des diesjährigen Kissinger Sommers. Es mussten keine Regenschutzüberzieher ausgegeben werden, es mussten keine Musiker unter das trockene Dach des Rossini-Saals ziehen. Nur über Hitzefrei hätte man vielleicht nachdenken können. Oder darüber, beim nächsten Mal - wenn das technisch möglich ist - die Aufstellung im Innenhof des Luitpoldbades einfach umzudrehen, dass das Publikum nach Norden schaut. Das hätte dann die schönere Aussicht, und die Musiker müssten keine Rücksicht auf die Untergangsstimmung der Sonne nehmen.
Natürlich ist es eine schöne Sache, wenn man sich zum Musikhören ins Freie begeben kann, um sich mit Milan Kundera der Leichtigkeit des Seins hinzugeben. Aber es müssen nicht nur die Rahmenbedingungen passen, sondern auch das Programm. Und da konnte man schon Bedenken anmelden. Der Geiger Daniel Hope hatte sein New Century Chamber Orchestra mitgebracht, ein Streichorchester, das 1992 in New York gegründet wurde. Das hatte sich jetzt zum ersten Mal in seiner 27-jährigen Karriere über den Atlantik gewagt, war zu einer Europa-Tournee aufgebrochen, die in Bad Kissingen ihren Anfang nahm.
Dass der Start gleich ein Open-Air-Ereignis werden würde, konnte die Truppe bei der Planung und Auswahl der Stücke natürlich noch nicht wissen. Sonst wäre die Zusammenstellung vielleicht anders ausgefallen. Wobei man sagen muss, dass die akustische Aussteuerung der Gruppe intern ausgezeichnet gelungen war. Nur ist die Musik in dem Innenhof halt arg weit weg vom Publikum und von den Reflexwänden noch mehr.
Wobei der Grund, dass sich der berühmte Funke mit dem Überspringen etwas schwer tat, nicht nur an der Situation und der Auswahl lag. Aaron Coplands sechs Old American Songs sind von ihrer Machart her einfach zu harmlos und schlicht: Einfache Melodien, die die Solovioline spielt - in dem Fall natürlich Daniel Hope - und eine nette, aber nicht sonderlich zündende Begleitung. Und alles sehr, sehr vorsichtig gespielt - zum ersten Mal in der "Alten Welt". "The Boatmen"s Dance" oder "The Little Horses" (amerikanische Wildpferde sind immerhin Fluchttiere) hat man wirklich schon schmissiger, pfiffiger, offensiver gehört. Und plötzlich dachte man an die sogar noch etwas kleiner besetzte Camerata Bern vor ein paar Tagen.
War man schon in seiner Freilufteuphorie etwas heruntergefahren worden, kam jetzt allerdings der absolute Downturner, der Kick nach unten: Samuel Barbers Adagio for Strings, das sich innerhalb kürzester Zeit zur weltweit staatstragenden Beerdigungsmusik Nummer 1 entwickelt hat. Gut, gespielt war diese Musik ausgezeichnet, aber die Sinnfrage stellte sich trotzdem. Man blickte erstaunt um sich und sah lauter Leute, die erstaunt um sich blickten. Klar, Beerdigungen sind auch Open-air-Veranstaltungen, aber unmittelbar danach gehen - fast - alle wieder heim.
Doch ein vorsichtiger Blick ins Programm gab Gewissheit: Das "Ave Maria" von Bach/Gounod war nicht auch noch geplant. Die beiden Komponisten waren allerdings auch keine Amerikaner.
Nein, es kündigte sich eine Kehrtwende an: Leonard Bernsteins Suite aus der West Side Story mit all ihren Ohrwürmern: "America" und "Maria", "Tonight" und "Somewhere", "A Boy Like That/I Have a Love" und "Mambo". Wieder war Daniel Hope der "Melodieur", der sehr prägnant die Songs gestaltete, und das NCCO begleitete engagiert. Nur: Ein Streichorchester hat zwar begrenzte Möglichkeiten zum perkussiven Spiel, aber es fehlen in der Klangpalette scharfe Farben, die nur Bläser zustande bringen, und vor allem die Emotionalität der Stimme. Nur vermisste man sie hier aus einem einfachen Grund nicht: Diese Songs sind so in Fleisch und Blut übergegangen, dass man sich die Bläser unbewusst mitdenkt oder die Euphorie in "Maria" oder "Tonight.