Handwerk und Dienstleistungsgewerbe im Landkreis geben sich gelassen. Allerdings: Über Problemfälle gibt es keine Statistik.
4,6 Millionen Beschäftigte in Deutschland erhalten zurzeit einen Stundenlohn, der unter 7,50 Euro je bekommen. Wie sieht das im Landkreis Bad Kissingen aus? Rudolf Fella, Chef des Bad Kissinger Jobcenters, kann vielleicht Auskunft geben.
"Sie wollen wissen, wie viele Leute in wie vielen Branchen Mindestlohn bekommen?", antwortet er. "Das ist für uns schwierig zu eruieren. Da müsste man in die Tarifverträge hineinschauen.
Und sehr of gibt es ja auch nur einzelne Arbeitsverträge, wenn die Entlohnung unter Tarif sinkt." Fella möchte sich zahlenmäßig ohnehin nicht festlegen: "Wenn ich gefühlsmäßig Zahlen nennen würde, wäre das unseriös."
Aber er findet es gut, dass das Thema endlich aufgegriffen wird, "denn in unserer Arbeitswelt sind 8,50 Euro wirklich der Mindestlohn." Im Jobcenter würden immer öfter Arbeitsbescheinigungen vorgelegt, die vom
Lohn her fragwürdig sind. Und Fella bittet um Geduld: "Wir haben noch keine Erfahrungen mit dem Mindestlohn. Wir müssen abwarten, wie sich die Arbeitgeber verhalten.
Keine Arbeit unter Mindestlohn Auch Peter Schönfelder, Pressesprecher der Schweinfurter Arbeitsagentur, kann nicht entscheidend weiterhelfen: "Da kann ich keine verbindlichen Aussagen machen, weil da keine Statisken geführt werden." Die
Erklärung ist einfach: Die Agentur vermittelt keine Arbeitsstellen unter Mindestlohn. Und die Dunkelziffer wird nach Aussage von Schönfelder auch dadurch nicht unerheblich erhöht, weil es eine ganze Menge Arbeitgeber gibt, die auf dem Papier des Arbeitsvertrages zwar den Mindestlohn zahlen, aber anschließend eine erhöhte Stundenzahl einfordern.
Die IHK Würzbug/Schweinfurt kann auch nicht mit Zahlen aufwarten."In den wirtschaftsstarken südlichen
Bundesländern verdienen die meisten Menschen schon jetzt mehr als 8,50 Euro. Der Mindestlohn dürfte deshalb vor allem in Ostdeutschland Arbeitsplätze gefährden, weil es dort weniger industrielle Wertschöpfung gibt und damit auch die Löhne geringer sind", sagt der Würzbuger IHK-Sprecher Radu Ferendino. Aber er warnt auch gleich vor den Folgen: Es dürfe nicht passieren, dass junge Menschen lieber eine 8,50-Euro-Arbeit annehmen als eine geringer bezahlte
Ausbildung zu absolvieren.
Kaum Erntehelfer im Landkreis Vielleicht wissen die Fachverbände mehr. Etwa zum Stichwort "Erntehelfer". Beim Kreisverband des Bayerischen Bauernverbandes bleibt man gelassen: "Bei uns ist das kein großes Thema", sagt Kreisgeschäftsführer Georg Scheuring.
"Die Landwirtschaft im Landkreis Bad Kissingen mit ihrem hohen Prozentsatz an Nebenerwerbsbetrieben besteht aus Viehhaltung und Ackerbau. Da werden zwar immer wieder Arbeitskräfte gesucht. Aber die müssen schon angesichts der Elektronisierung der Maschinen und Abläufe eine fundierte Ausbildung haben. Und die kommen bestimmt nicht für 8,50 Euro." Hilfskräfte könne man da nicht einsetzen.
Die großen Sonderkulturbetriebe, die Obst oder Spargel produzieren und die auf Erntehelfer angewiesen sind, sind im Raum Schweinfurt und Würzburg zu finden, Aber nicht hier vor Ort. Spontan fallen Scheuring nur zwei ein.
Vom Wert der Arbeit "Nein!" Die Antwort von Claus Schmitt ist eindeutig. Der Inhaber von "Schmitt's Obstgarten" in Reichenbach zahlt ohnehin schon über Mindestlohn: "Jede Arbeit ist gleich viel wert.
Warum sollen wir weniger bezahlen als anderswo?" Wie das in großen Betrieben aussieht, dazu will er sich allerdings nicht äußern: "Da habe ich keinen Einblick." Nachdem aus Polen kaum noch Hilfskräfte kommen, weil dort das Preisniveau deutlich gestiegen ist, hat Schmitt das erste Mal Erntehelfer aus Rumänien über eine Agentur bekommen, denn "kein Deutscher stellt sich um 8 Uhr auf den Acker und holt sich kalte Füße." Die neuen Erfahrungen seien nur
positiv gewesen.
"Wir waren schon drüber." Im Friseurhandwerk ist die Mindestlohnentwicklung bereits über bundesweit verbindliche Tarifverträge geregelt, wie Bad Kissingens Innungsmeisterin Christiane Schießer erklärt. Nach schrittweisen Erhöhungen sollen ab 1. August 2015 in Ost und West einheitlich 8.50 Euro bezahlt werden. Von der Regelung profitieren vor allem die ostdeutschen Angestellten.
In Sachsen bekommt ein Berufsanfänger im ersten Jahr zurzeit gerade mal 3,82 Euro pro Stunde.
"Das ist Sklaverei" Dehoga-Kreisvorsitzender Heinz Stempfle macht zumindest landkreisbezogene Andeutungen: "Bei einem Gespräch in Würzburg ist mit Blick auf Bad Kissingen schon mal der Betrag von 3,20 Euro genannt worden. Das ist Sklaverei." Das sei schon einige Zeit her, und Genaueres könne er nicht sagen.
Er selbst zahlt in seinem Unternehmen schon lange deutlich über dem Mindestlohn: "Wenn sie im Hotelfach gute Leute wollen, müssen sie zahlen."
Keine Stechuhr am Zeitungsrohr Und wie sieht das Ganze bei den Zeitungszustellern aus, die immer wieder in den Diskussionen genannt werden.
Wie wirkt sich das bei denen Leuten aus, die jeden Morgen die Saale-Zeitung zustellen? "Das ist ein großes Problem", sagt Jürgen Töffling, Leiter des Servicebereiches. Wobei er nicht so sehr den finanziellen Aspekt meint. Dass der Mindestlohn kommen würde, war schon länger bekannt und konnte bei den Etatplanungen berücksichtigt werden.
Das Problem ist die Umsetzung: "Da wissen wir noch nichts Konkretes." In der nächsten Zeit will der Verlegerverband in einer Tagung Hinweise erarbeiten. Töffling: "Bisher hatten wir einen Monatsstücklohn." Jetzt müssen der Zustellbezirk und die aufgewendete Zeit erfasst und aufgenommen werden: "Wir können ja nicht an jedes Zeitungsrohr eine Stechuhr hängen." Töffling geht davon aus, dass die Zusteller im Durchschnittt künftig mehr Geld bekommen werden.