Kirmesburschen und Plomädchen halten in der Rhön die Tradition hoch. Es wird gesteigert, geschmückt und getanzt was das Zeug hält. Jedes Dorf hat seine eigenen Sitten. Wir haben uns umgehört, wo es besonders rund geht.
Mädels unter dem Hammer in Modlos
Heuer ist es wieder soweit: In Modlos wird die "Plokirmes" gefeiert. Diese besondere Version der Modloser Kirmes wird in dem Dorf nur alle fünf Jahre zelebriert - früher sogar nur alle zehn Jahre. Egal ob "normale" oder "Plokirmes" - jeder Kirchweih geht in Modlos ein Ritual voraus, das Tradition hat: der "Weiberstrich".
Die Jungs aus dem Dorf treffen sich zwei Wochen vor der Kirmes in der Alten Schule. Mitmachen kann jeder. Vorausgesetzt, er hat genügend Kleingeld. Wenn die Modloser Mädels unter den Hammer kommen, kann das teuer werden. Für den "Weiberstrich" werden zwei bis drei Streichmeister bestimmt, die die Auktion leiten. Die Mädels, die von den Jungs ersteigert werden können, werden vorher gefragt, ob sie bei der Kirmes mitmachen wollen. Wie der Streichabend genau abläuft, ist ein gut gehütetes Kirmesgeheimnis der Männer. Genauso diskret verhält es sich bei Angaben dazu, wie tief die Ploburschen für das Mädchen ihrer Wahl in den Geldbeutel greifen mussten. Glaubt man Gerüchten, investieren die Jungs mehrere Hundert Euro. Offiziell bekannt gegeben wird, für welches Mädel am meisten ausgegeben wurde - die "Teuerste" - und wer preislich darauf folgt. Noch am Streichabend kommen die Damen zum Streichlokal, die Jungs gehen auf ihr ersteigertes Mädel zu und lösen auf, wie die Kirmestanzpaare zusammengestellt sind. Die brauchen nun noch einen Baum, um den sie tanzen können. Der macht die Modloser Kirmes alle fünf Jahre zur Plokirmes.
Der Plobursch, der die "Teuerste" gestrichen hat, sucht mit dem Bürgermeister am Samstag den Baum aus. Eine Fichte muss es sein - ungeschält, sonst wäre sie "träwe", ihr wäre die Ehre genommen, erklärt Gerhard Vieres aus Modlos. Holzfäller aus dem Dorf schlagen den Baum. Sie werden begleitet von der Musikkapelle. Die Fichte wird mit drei Kränzen geschmückt, die die Kirmesgesellschaft beim ältesten Ploburschen bindet und feierlich mit musikalischer Begleitung abholt werden. Bevor mit einem Kran der Plobaum aufgestellt wird, buddeln die Kirmesleute eine Flasche Obstler aus. Die hat die vorherige Gesellschaft vor fünf Jahren dort vergraben, wo auch heuer wieder der Baum stehen wird. Am Abend geht es in die Kirche und danach zum Tanz ins Sportheim. In der Nacht zum Sonntag wird der Plobaum bewacht.
Am Sonntagabend startet der Umzug vom Sportheim aus. Mit der Begleitung des Musikvereins geht es zur "Teuersten", wo der Kirmesstrauß abgeholt wird - ein Bäumchen geschmückt mit farbigen Bändern. Außerdem wird der Kirmeskuchen besorgt, der von der Tanzpartnerin des ältesten Ploburschen gebacken wird. Der Kuchen spielt beim Kirmestanz später eine wichtige Rolle. Mitsamt den Feiernden wallt die Kirmesgesellschaft zum Bürgermeister und schließlich zu ihrem Plobaum, der vor der Kirche oder dem Sportheim steht. Dort wird der Kirmesspruch vorgetragen, in dem wichtige Ereignisse im Dorf seit der letzten Kirmes zusammengefasst sind. Der Kirmeskuchen wird in zwei Metern Höhe am Baum befestigt, und die Musikanten beginnen mit dem ersten Stück. Die Paare tanzen auf einen Walzer, eine Polka und ein schnelles Stück um den Baum. Während des letzten Stückes hört die Kapelle plötzlich auf - das Signal für die Ploburschen. Die stürmen alle gleichzeitig auf den Kuchen. Ihr Ziel: ein möglichst großes Stück erwischen - natürlich für ihre Plomädchen. "Je größer das Stück, desto größer die Ehre", sagt Gerhard Vieres, Musikant und Dorfchronist.
Der Abschluss der Modloser Kirmes wird am Montag gefeiert. Nachdem die Kirmesgesellschaft gemeinsam gefrühstückt hat, geht es am Nachmittag mit einem zweiten Umzug mit dem Kirmesstrauß durchs Dorf. Stopps werden beim Bürgermeister eingelegt und dort, wo den Jungs und Mädels ein Schnaps lockt. Am Sportheim wird bis abends getanzt und gefeiert. Um 24 Uhr beerdigen sie die Kirmes mit einem Trauermarsch: Vor dem Sportheim macht die Kirmesgesellschaft mit passender musikalischer Untermalung Schluss mit dem Fest. In einem Spruch werden die prägnantesten Ereignisse der Kirmes zusammengefasst.
Traditionell wird in der gesamten Pfarrei Oberleichtersbach die Kirchweih einheitlich an Martini gefeiert - am ersten oder zweiten Sonntag im November. "Unsere Kirmes ist fast noch nie ausgefallen, und darauf sind wir stolz", sagt Gerhard Vieres. Die ältesten Bilder der Modloser Kirmes, die es gibt, stammen aus dem Jahr 1924 erzählt er.
König und Königin rufen zum Spinnradl in Geroda
In Geroda wird am dritten Oktoberwochenende Kirmes gefeiert. Die Kirmesgesellschaft Geroda-Platz schmückt sich selbst mit Tracht und ihren Baum mit einer Puppe aus Stoff und Stroh. Damit beim Spinnradl alles glatt geht, treffen sich die 25 Tanzpaare schon im Sommer für die Vorbereitungen.
König und Königin der Kirmes ist das älteste Tanzpaar. Sie führen die Kirchweih an. Schon am Freitag starten die Jungs und Mädels der Kirmesgesellschaft mit einer Feier, zu der sie andere Gesellschaften einladen. Wettbewerbe wie Maßkrug-Stemmen stehen auf dem Programm. Am Samstag kommen die Kirmesburschen in aller Früh zusammen, um den Kirmesbaum aus dem Wald zu holen. Den haben Holzfäller zuvor geschlagen. Die Männer befestigen den Baum auf alten Wagen und präsentieren ihn bei einem Zug durchs Dorf. Von den Kirmesmädels wird er mit bunten Fähnchen geschmückt, bevor er mitsamt musikalischer Begleitung der Kapelle zum Bürgerhaus gebracht wird. Auf dem Hof wird der Baum mit reiner Muskelkraft aufgestellt. Am Abend feiert die Gemeinde Kirmes mit Musik und deftigem Essen.
Sonntags putzen sich die Kirmespärchen heraus: Die Damen tragen traditionelle Tracht, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die Männer tragen eine Trachtenweste und einen Hut. Das Sträußchen, das am Hutband steckt, bringen die Mädels ihrem Ploburschen mit. Die wiederum haben den Blumenstrauß für ihre Tanzpartnerin dabei. Nach der Kirche am Sonntagmorgen dreht die Gesellschaft mit der Musikkapelle eine Runde durchs Dorf. Mittags treffen sich die Mädchen bei der Königin, die für alle Leckereien bereit hält. Ihre Tanzpartner holen sie später ab.
Die Zeit nutzen die Frauen, um ein Lied für den Kirmeskönig zu dichten, das sie vor dem Kirmestanz vorsingen. Mit ihren Tanzpartnern, den Sträußen, dem Kirmeswein und der Kapelle macht sich die Gesellschaft auf den Weg zum Kirmesbaum am Bürgerhaus. Immer vorneweg, der Kirmeskönig mit einem kleinen geschmückten Bäumchen in der Hand. Am König liegt es nun, das "Plomännchen" an den Baum zu hängen. Die Strohpuppe soll auf den Baum aufpassen, erklärt Anja Feuerstein aus Geroda. Sie ist Vorsitzende des Kirmesvereins. Sobald das Männchen hängt, ist es Zeit zu tanzen.
Vier traditionelle Tänze wie "Sternpolka" oder "Spinnradl" werden aufgeführt. Aus einem Repertoire von 16 Tänzen werden jedes Jahr andere ausgewählt. Ab August treffen sich die Jungs und Mädels jede Woche, um die Tänze einzustudieren. Die Ploburschen setzen sich außerdem wöchentlich zusammen, um den Kirmesspruch zu verfassen, in dem lustige Momente des vergangenen Jahres im Dorf festgehalten werden. Der Spruch wird nach den Tänzen vorgetragen. Danach lässt die Gesellschaft ihre Kirmes gemütlich ausklingen.
Mittanzen kann jeder, der Mitglied bei der Kirmesgesellschaft ist. Sobald die Jungs und Mädels mit 14 konfirmiert sind, dürfen sie eintreten. Raus fliegt, wer geheiratet hat. Die Kirmesgesellschaft Geroda-Platz stellt in jedem Jahr einen Baum auf. Im Januar wird er gefällt und das Plomännchen samt Kirmes beerdigt.
Die Verheirateten retten die Kirmes-Tradition in Detter
Eigentlich dürfen bei einer Kirchweih nur unverheiratete Jungs und Mädels tanzen. Eigentlich. Vor fast 20 Jahren entstand an einem Detterer Stammtisch die Idee, das zu ändern.
"Es war lange Zeit nichts", sagt Irene Heinle. Der Brauch war eingeschlafen, also waren "die Alten" gefragt, erklärt sie. Dass sie das kurzfristig an einem Donnerstag vor dem traditionellen Kirmes-Sonntag beschlossen hatten, trübte das Kirchweih-Vergnügen nicht. Die Kirmes-Gesellschaft feierte mit dem Dorf die Tradition wie schon seit vielen Jahrzehnten - nur eben als "Verheirateten-Kirmes". Einziger Unterschied neben den nicht mehr ledigen Pärchen: Anstelle der Plakate drehte ein "Plobursch" eine Runde durchs Dorf und machte mitsamt einer Schelle auf den Termin aufmerksam.
Wie es der Brauch vorschreibt, gibt es bei der Detterer Kirmes jedes Jahr einen Baum, um den die Paare tanzen. Der wird mit Pferden aus dem Wald geholt und samstags aufgestellt. Während die Männer den Baum auf dem Platz unter der Kirche aufrichten, spielen Musiker. Geschmückt ist der Baum mit einem Kranz, der in der Woche vor dem Fest gebunden wird. Aber Achtung: Hängt der Kranz schief am Baum, bedeutet das, dass eines der Kirmesmädchen schwanger ist. "Das hat schon mehr als einmal gestimmt", sagt Gudrun Alexander und lacht.
Eine zentrale Rolle spielt der Kirmesstrauß - ein Bäumchen, das mit bunten Bändern dekoriert wird. Der Strauß wird mitsamt der Kirmesgesellschaft um zwölf Uhr nachts ins Zelt - früher in die Wirtschaft - "eingespielt". Danach bringen die Jungs und Mädels den Strauß zum "Plomädchen" nach Hause, wo er bis zum nächsten Tag bewacht wird. "Nicht auszudenken", was passieren würde, wenn die Kirmesgesellschaft plötzlich ohne Strauß dastehen würde, meint Patricia Kessler.
Am Kirmes-Sonntag wird das Bäumchen nach der Kirche und dem Mittagessen beim "Plomädchen" abgeholt. Die hält für alle Feiernden Schnaps und sonstige Leckereien bereit. Wer das "Plomädchen" wird, bestimmt die Kirmesgesellschaft unter sich. Genauso, wer mit wem tanzt. Mitsamt dem Plomädchen und dem Strauß zieht die Truppe zum Baum, wo getanzt wird und ins Zelt, wo der Kirmesspruch vorgetragen wird. In dem stecken Geschichten, die während des vergangenen Jahres im Dorf passiert sind.
Spätestens im August beginnen zwei bis drei aus dem Dorf, den Spruch in Mundart zu formulieren. Immer dabei: der, der den Spruch im Festzelt von einem Gerüst aus aufsagt. Am Kirmesmontag wird "aufgespielt": Eine Handvoll Musiker verfrachten sich und ihre Instrumente auf der Ladefläche eines kleinen Transporters. Der hält an jedem Haus im Dorf und spielt für einen Schnaps und einen Beitrag in die Kirmeskasse ein Stück.
Bei der Detterer Kirmes sind jedes Jahr mindestens zehn Paare dabei. Die Mädels und Jungs sind meist in der Landjugend organisiert. 1996 gab es zum ersten Mal die "Verheirateten-Kirmes". Seitdem mischt sich die Kirmesgesellschaft immer wieder aus verheirateten und ledigen Pärchen.