Wären Engländer nur neugieriger!

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Nur nichts rauslassen, sich nicht überraschen lassen, Fluchtwege offen halten (v. l.): Greg (Benjamin Jorns), Ginny (Elisabeth Therstappen), Philip (Marc Marchand) und Sheila (Sandra Lava). Foto: Sebastian Worch
Nur nichts rauslassen, sich nicht überraschen lassen, Fluchtwege offen halten (v. l.): Greg (Benjamin Jorns), Ginny (Elisabeth Therstappen), Philip (Marc Marchand) und Sheila (Sandra Lava).  Foto: Sebastian Worch

  Susanne Pfeiffer hat Alan Ayckbourns rasante Verwechslungskomödie "Halbe Wahrheiten" im Intimen Theater inszeniert.

"Ich kann nicht behaupten, dass mich diese Orangenmarmelade vom Hocker reißt." Der Satz von Philip, den ein Deutscher für relativ leidenschaftslos hält, ist für einen Engländer schon höchst emotional. Denn er lässt sich nicht gerne in die Seele schauen, gibt nicht gerne etwas von sich preis. Der Engländer, wenn man das einmal so pauschal sagen darf, ist zwar sehr freundlich, aber auch sehr auf Distanz bedacht, und interessiert sich nicht allzu sehr
für seine Umgebung. Echte Freundschaften sind schwer erkämpft auf der Insel.
Das ist für uns Deutsche wichtig zu wissen - und die meisten von uns wissen es ja auch, wenn wir Alan Ayckbourns frühe und höchst köstliche Komödie "Halbe Wahrheiten" ("Relatively Speaking") von 1967 verstehen und genießen wollen. Denn der Knackpunkt in dem Stück ist eigentlich, dass im Garten von Sheila und Philip plötzlich Greg, ein junger Mann steht, den sie noch nie gesehen hat, von dem sie aber auch gar nicht wissen will, wer er überhaupt ist oder was er will, sondern den sie nur in einen freundlichen, teebefeuerten Smalltalk verwickelt. Wenn sie ihn nur einmal gefragt hätte, wäre ihr viel Kopfschütteln erspart geblieben, aber dem Publikum natürlich auch eine rasante Verwechslungskomödie.

Turbulente Verwirrungen

Wobei die Misere schon früher beginnt: Das junge Paar der Komödie, Ginny und Greg, will heiraten. Deshalb will Ginny zu Philip fahre, um das Verhältnis, das sie mit ihm hatte, zu beenden. Allerdings behauptet sie, zu ihren Eltern zu fahren. Greg, der nicht einsieht, dass er nicht mitfahren darf, kommt ihr zuvor, weil Ginny den Zug verpasst. Als sie dann doch auftaucht, werden die Wolken immer schwärzer, weil auch noch Philip glaubt, dass Sheila, also seine Frau, ein Verhältnis mit Greg hat - was ihn allerdings weniger interessiert als sein Garten. Die Situation ist total verworren, aber nur auf der Bühne: Das Publikum bleibt Herr des Verfahrens.
Susanne Pfeiffer hat das Stück für das Intime Theater inszeniert und dabei, obwohl man ja sehr schnell weiß, wohin der Hase läuft, eine unglaublich stabile Spannungskulisse mit einem optimalen Timing aufgebaut: auf der einen Seite eine absolute Hektik, weil niemand einen Gedanken zu Ende denken kann, nein, darf, damit die Lügengebäude von Ginny und Philip nicht einstürzen, auf der anderen Seite eine gewisse Behaglichkeit des englischen Landlebens. Und da ist einerseits der Grundkonflikt eines allgemein menschlichen Ehrlichkeitsbemühens, andererseits, mit viel Pfiff und Raffinesse und einer minutiösen Personenregie, das typisch englische Verhalten - im absolut passenden Rahmen des Bühnenbilds (Robert Pflanz) und der Kostüme (Jutta Reinhard. Der Meisterdialogschreiber Alan Ayckbourn hätte sein Vergnügen.

Genießendes Quartett

Auch mit dem SchauspielerQuartett: Sandra Lava und Marc Marchand als - zumindest zu Beginn würde man meinen - Noch-Ehepaar Sheila und Philip, Elisabeth Therstappen und Benjamin Jorns als Fast-schon Ehepaar - die beiden können erstaunlich schnell umschalten von verspielter Verliebtheit auf abrupten Beziehungsstress, immer am Rande des Absturzes balancierend. Andererseits Sandra Lava als sturmerprobte Ehefrau, die sich mit gespielter Naivität und mit Büchern über die Lösung von Ehekrisen ihre Seelenruhe zumindest in Teilen bewahrt - und sie am Ende auch wiederfindet - zusammen mit einem erleichterten Marc Marchand, der froh ist, die ganze Angelegenheit einigermaßen unbeschädigt überstanden zu haben, weniger die Affäre, als die unangenehmen Begegnungen .
Und was halt sehr schön herauskam, ohne dass es karikierend überzeichnet war: Ein großes Vergnügen bereitete allen vieren, sich sozusagen mit abgespreiztem kleinem Finger als Engländer zu gerieren - und das bis zum Schluss durchuzuhalten. Im Gegensatz zur Orangenmarmelade wird man dadurch durchaus vom Hocker gerissen: Very british!