Die lang ersehnten Festspiele im Innenhof des Luitpoldbads stehen vor der Tür. Premiere für "My Fair Lady" ist am 10. August. Warum die Proben auch etwas mit Rekord zu tun haben.
In George Bernard Shaws "Pygmalion" (1913) ist Eliza Doolittle naseweis, ungestüm und vielleicht etwas linkisch. Im Musical "My Fair Lady", das 1956 am Mark Hellinger Theatre in New York uraufgeführt wurde, bekommt das kleine Blumenmädchen weitere charakterliche Konturen. Denn plötzlich hat sie auch irgendwie Pfiff. Christin Decker als Eliza weiß das in der aktuell in Bad Kissingen gespielten Bühnenfassung professionell in Szene zu setzen.
Bei der Probe am Freitagvormittag im Innenhof des Luitpoldbads erkennt man schnell: Diese junge Frau aus dem Volk weiß ziemlich genau, was sie will. Sie ist schrill, lustig und irgendwie zauberhaft, was die Zuschauerinnen und Zuschauer bei den geplanten elf Aufführungen sicher zu schätzen wissen werden.
Wegen Pandemie mehrfach verschoben
Eliza Doolittle sollte eigentlich schon 2020 ihren frechen Charme auf der Freilichtbühne im Luitpoldbad in Bad Kissingen versprühen, während der gelehrte Phonetik-Professor Henry Higgins (Manfred Gorr) sie verzweifelt zu bändigen sucht. Das Musical "My Fair Lady", das von der Agentur Depro Dienstleistungen GmbH (Gemünden/Wohra) in Zusammenarbeit mit Regisseur Peter Radestock (Marburg) auf die Bad Kissinger Bühne kommt, musste aber wegen der Corona-Pandemie mehrfach verschoben werden.
Weißer Hut, Mikrofon, Sonnenbrille: Regisseur Peter Radestock sitzt ganz vorn am Zuschauerbereich und beobachtet an diesem Freitag bei der Probe die Szenerie vor sich auf der Bühnentreppe. Mr. Pickering (David Gerlach), der gerade bei Higgins zu Gast ist, lümmelt auf einem kleinen Sofa und ist mit seinem Gastgeber in einen sprachwissenschaftlichen Diskurs vertieft, als das Hausmädchen Mrs. Pierce (Kathrin Bürger) Eliza Doolittle anmeldet.
"Stopp! Der Einsatz der Musik ist zu früh", sagt Radestock plötzlich und hebt den Arm. Die Schauspielerinnen und Schauspieler vorn auf der Bühne lockern sich wie beim Sport, sind aber schnell wieder in Startposition. Weiter geht's! Auf der Bühne wird ausbaldowert, ob der Professor dem spröden Blumenmädchen mit der volkstümlichen Ausdrucksweise nun Unterricht geben soll oder nicht.
Radestock blättert unterdes immer mal in seinem dicken Skript. Es sind offenbar lose Blätter, die der Wind fortzutragen droht. Dann greift er wieder in das bunte Geschehen vor sich ein, weil ihm zwei Akteure offenbar zu wuselig erscheinen: "Und ihr bleibt mal ganz ruhig", mahnt er hin zur Bühne. Dann betritt Eliza Doolittles Vater die Bühne in Gestalt von Frank Damerius.
Laut Drehbuch ist er "nur" ein gewöhnlicher Hauskutscher. Aber als er da ist, hat er Präsenz, nicht nur weil er gerade an der Reihe ist. Manchmal ist das so: Ein Schauspieler kommt nicht auf die Bühne, sondern er erscheint - und nimmt alle gleich gefangen. Ein paar Szenen werden am Freitagvormittag zweimal geprobt, entweder weil der Regisseur noch Unebenheiten sieht oder weil zum Beispiel Christin Decker sich das so wünscht. Radestock ist da offen. Überhaupt hat man das Gefühl, dass bei der Probe nicht nur der Regisseur dirigiert, sondern jeder und jede aus dem Ensemble sagen kann, was er will und braucht.