In Gräfendorf kämpfen 108 Teilnehmer mit Motorsägen um Titel. Die Schiedsrichter kommen aus ganz Deutschland, die Teilnehmer zum Teil von noch weiter her.
Ein wenig wie bei einem Musikfestival mag sich mancher Besucher der Deutschen Meisterschaft der Waldarbeiter in Gräfendorf gefühlt haben: Auf der Gräfendorfer Seite des Bahndamms stehen Kleinbusse mit Pavillons, ein paar Menschen sitzen um Tische, auf der anderen Seite gibt es verschiedene Stände von Händlern und Anbietern von Dingen rund um Wald, Holz und Garten. Statt Musik hört man, bis auf eine Anlage, die über Boxen Unterhaltungsmusik verbreitet, jedoch Motorsägengekreisch. Dumpfe Schläge, die an Bundeswehrübungen auf dem Truppenübungsplatz erinnern, kommen von umgesägten Bäumen, die auf ein gegrubbertes Stück Saalewiese fallen.
Die Teilnehmer der Meisterschaft knien sich buchstäblich rein, wenn sie ihre Kettensägen arbeiten lassen. Beim Wettbewerb Präzisionsschnitt, bei dem es gilt, von einem Stamm eine möglichst gerade Scheibe abzutrennen, legen sich viele sogar hin, während ihre Säge läuft. Mit diesem Körpereinsatz schauen sie, dass sie auch ja keinen Zentimeter zu tief sägen. Denn wie schnell handelt man sich Punktabzüge ein: Zu viel abgeschnitten, zu schräg, sich beim vorherigen Kettenwechsel verletzt. Und schon purzeln die Punkte. Aber nicht alles ist ahndungswürdig. Einem Teilnehmer aus Sachsen ist es beim Präzisionsschnitt, vielleicht durch zu viel Körpereinsatz, ins Kreuz gefahren. Dafür, sagt Oberschiedsrichterin Sandra Schwender lachend, gibt es keinen Punktabzug.
Schwender ist eine von auffällig vielen Frauen unter den Schiedsrichtern in der Männerdomäne. Und sie, Mann Gottl und Sohn Julian, die beide selbst die Motorsägen kreischen lassen, sind natürlich der Grund, warum die Deutsche Meisterschaft nach 2003 zum zweiten Mal im kleinen Gräfendorf stattfindet. Sandra Schwender kam, wie andere Schiedsrichterinnen auch, über ihren Mann dazu, der seit 20 Jahren an Wettbewerben mitmacht. Irgendwann wurde sie angesprochen: "Wenn du immer dabei bist, kannst du auch mal Protokoll schreiben". So fing es an. 2006 wurde sie Mitglied in der Bundesregelkommission, 2010 sogar Vorsitzende, und seit 2014 ist sie gewähltes Mitglied im Weltverband der Waldarbeitermeisterschaften.
Gäste aus Japan und Norwegen
Sie ist viel unterwegs. "Da künnt ma rümm." Und sie macht ihre Sache offenbar gut. Unter den internationalen Gaststartern sind neben Tschechen, Japanern und Holländern auch ein paar Norweger. Weil die nächstes Jahr die Weltmeisterschaft in Lillehammer austragen, wollen sie sich in Gräfendorf anschauen, wie man eine solche Veranstaltung organisiert, sagt Schwender.
Sohn Julian, 24, der schon Junioren-Europameister war, trat beim Baumfällen an. Ein 22-jähriger Konkurrent und Nationalmannschaftsteamkollege aus Baden-Württemberg schaffte kurz zuvor das Kunststück, seinen Baum direkt auf die von ihm 15 Meter entfernt in den Boden gesteckte rote Ziellatte fallen zu lassen, so dass diese zerbrach. Da er nicht einen Zentimeter Abweichung und auch sonst perfekt gearbeitet hatte, erhielt er die höchste erreichbare Punktzahl im Fällen: 660. "Geile Nummer", "da können wir heute Abend einen trinken, Junge" und viele Schulterklopfer erhielt der Überglückliche von den umstehenden Schiedsrichtern. Das setzte Lokalmatador Schwender unter Druck. Als sein Baum dann ebenfalls gefallen war, war er enttäuscht. "Mann, Mann, Mann", entfuhr es ihm sofort. Der Baum traf zwar nicht die Ziellatte, dafür aber fast eine kleine Kamera, die unweit der Stelle, wo er gesägt hatte, platziert war.
Einzige Frau
Unter allen Teilnehmern ist eine einzige Frau, die 25-jährige Michaela Wenzel, deren blonder Zopf unter einer Baseballkappe hervorlugt. Die Brandenburgerin erzählt, dass sie es gewohnt ist, alleine unter Männern zu sein, schon in der Ausbildung war sie die einzige Frau. Zum Wettbewerb sagt sie: "Macht Spaß, ist lustig." Insgesamt hatten sich 108 Teilnehmer qualifiziert, allesamt Forstwirte, Forstwirtazubis oder Waldbauern - und auch ein Feuerwehrmann.
Bei einer Waldarbeitermeisterschaft kann man auch schummeln. Ein Wettbewerber hatte beim Schnellkettenwechsel eine Mutter nicht fest angezogen. Die Regeln besagen, dass man entweder so bei den folgenden Schnittwettbewerben teilnehmen muss oder für 50 Abzugspunkte den Fehler gleich beheben darf. Er versuchte eine heimliche Korrektur zwischendurch, was jedoch auffiel. "Dafür gibt es hier zu viele, die so was sehen", sagt Sandra Schwender. Der Teilnehmer bekam einen kräftigen Punktabzug.
Zur Heerschar der freiwilligen Helfer gehören Schiedsrichter aus ganz Deutschland wie auch Helfer aus der Gräfendorfer Gegend. Mit dabei ist etwa Manfred Fischer aus Weickersgrüben, der früher Lokführer war und jetzt im Ruhestand ist. Er kennt die Familie Schwender und hilft schon seit Montag. Andere Helfer stellen etwa die 21 Meter langen Fichtenstämme auf, ziehen Stümpfe aus der Hülse im Boden oder grubbern die Wiese nach jeder Fällaktion.
Für Julian Schwender stehen nach der Fällaktion noch der Parcours mit Kettenwechsel auf Zeit an, Präzisionsschnitt und Kombinationsschnitt mit einem Schnitt von unten und einem von oben, die sich im schräg gestellten Stamm genau treffen müssen, und am Ende die Entastung eines Stammes, in dem Besenstiel artige Prügel stecken. Insgesamt 23 Konkurrenten hat Schwender in seiner Altersklasse bis 24.
Björn Kohlhepp