Die beiden Schlüchterner Täter müssen sich jetzt der Revisionsverhandlung vor dem Landgericht Hanau stellen.
Der jüngere Automatensprenger will nicht mit dem Makel leben, einen Mordversuch begangen zu haben, der ältere hat eigentlich kein Interesse an der Wiederaufnahme des Verfahrens. Dennoch müssen sich die beiden Schlüchterner, deren Komplize bei einer Automatensprengung 2013 umgekommen war, der Revisionsverhandlung vor dem Landgericht Hanau stellen.
"Wir werden heute erst einmal viel reden", kündigt Richterin Susanne Wetzel zu Beginn des Prozesses an. Zwei Stunden dauert dann tatsächlich die Verlesung des erstinstanzlichen Urteils vom 18. Juli 2014 und der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26. April, nach der das Urteil wegen versuchten Mordes sowie die Einzelstrafe in diesem Anklagepunkt und damit auch die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben wurden. Das Urteil an sich sei durch den BGH nicht beschädigt, allerdings habe die Begründung der Ersten Großen Strafkammer nicht ausgereicht, so verstehe sie den BGH-Entscheid jedenfalls.
Gegen Mordvorwurf verwehrt
Bevor die Richterin in die Befragung des älteren Angeklagten einsteigt, der kein Interesse an der Revision hat, will sie von dem jüngeren wissen, in welche Richtung sein Ansinnen geht und verweist auf die mögliche Länge des weiteren Verfahrens, das auf seine Haftumstände Auswirkungen haben könnte.
Momentan befindet er sich wegen der Teilaufhebung wieder in Untersuchungshaft. Das müsste eigentlich auch für seinen Komplizen gelten, der ist allerdings seit vergangener Woche im offenen Vollzug. "Das ist nicht in Ordnung", betont Wetzel. Der 37-Jährige aber verwehrt sich laut seiner Verteidigern weiterhin dem Vorwurf des versuchten Mordes. Er will am heutigen zweiten Verhandlungstag reden.
Zu klären ist nun, ob sich die Angeklagten bewusst waren, in welchem Zustand der Zeitlofser in jener Septembernacht war. Die Bilder, die sich die Mutter des Toten nicht mit anschaut, verdeutlichen, wie heftig die Verletzungen waren: Schädelhirntrauma, vollständiger Kieferabriss, Einblutungen im Gehirn, Schädelbasisfraktur sind die schwersten darunter. Dass er weder auf dem Bahnsteig noch im Auto die Blutlachen bemerkt haben will, nimmt die Richterin dem heute 54-Jährigen nicht ab, der sich mit rauer Stimme den Nachfragen stellt.
In Widersprüche verstrickt
Zudem verstrickt er sich in Widersprüche: Mal will er in Sorge gewesen sein um den Freund, dessen Verletzungen womöglich schlimmer gewesen sein könnten als befürchtet, mal habe er den Zeitlofser - etwa beim Autobahnkreuz Hanau - ruhig atmen gehört, als wenn er schliefe. Wenn seine Schilderungen stimmen sollten, muss im Auto eine merkwürdige Stimmung geherrscht haben - eine große Stille. Denn miteinander gesprochen hätten die beiden Schlüchterner auf der Fahrt "über die Käffer" sowie die Autobahnen A3, A45 und A66 bis nach Salmünster nicht. Den Freund hätten sie hin und wieder mal angesprochen - ohne Reaktion. Dennoch fassten sie den Plan, ihn hinter dem Krankenhaus abzulegen. Seinen Tod hätten sie nicht gewollt.
Planvolle Nachtathandlung
"Hinter dem Krankenhaus ist aber eben hinter dem Krankenhaus", zweifelt Wetzel diese Einlassung an. Ein Polizist aus Bad Orb wird später noch sagen, dass es in Salmünster keinen regulären Krankenhausbetrieb mehr gebe - vermutlich 2013 schon nicht mehr. Wenngleich den Angeklagten nach eigener Aussage die Panik gepackt habe, und das "ein Stress nach dem anderen" in der Tatnacht gewesen sei, im ersten Urteil war den beiden eine planvolle Nachtathandlung attestiert worden. Richterin Wetzel will es genau wissen: "Sie sehen kein Blut. Sie denken, ,der wird schon wieder‘, und ,wir müssen nach Hessen, weil wir in Bayern oder Baden-Württemberg härter bestraft werden‘. Sie wollen nach Salmünster und glauben, ihr Freund atmet noch und Sie kommen noch rechtzeitig in ein Krankenhaus. Das alles klingt für mich nicht nach Panik", hält Wetzel dem 54-Jährigen vor, der sich nur an wenige Wahrnehmungen noch erinnern kann oder will. Aber: Dass die Flucht nach Hessen gehen müsse, habe noch der später Getötete vor der Tat gesagt.
Rettungsmöglichkeiten
Unsicher ist sich auch ein Polizist aus Wertheim, mit dem die Kammer versucht, alternative Rettungsmöglichkeiten zu erörtern. Fest steht am Ende nur: Adäquat hätte der Zeitlofser lediglich in der Uni-Klinik Würzburg behandelt werden können. Dort wäre er, hätten seine Mittäter direkt um 1.20 Uhr vom Bahnsteig aus einen Notruf abgesetzt, frühestens um 2.21 Uhr eingeliefert worden. Laut Gutachten starb er allerdings bereits gegen 2.15 Uhr.
Wo die Verletzungen herrührten, wird anhand der Bildermappe eines Kriminaltechnikers der Bundespolizei aus Stuttgart deutlich. Gut drei Meter hat die schwere Frontplatte des Automaten den Zeitlofser nach hinten katapultiert. Der Bahnsteig gleicht einem Trümmerfeld, in dem die Angeklagten - und das ist neu - die Bargeldkassette mit 2855 Euro in Scheinen zurückgelassen haben.Die Situation am Fundort der Leiche stellte sich laut Aussage des Orber Beamten diffus dar. Ob der Tote, der keine Schuhe mehr trug, jedoch seinen Pullover über den Kopf gezogen hatte, vermochte er nicht mehr zu sagen. Dieses Detail hatte die Richterin zuvor schon stutzig gemacht. "Möglicherweise hat sich das noch einmal nachteilig auf das Weiterleben des A. ausgewirkt", hatte sie schon zuvor eingeworfen.
Zwei weitere Verhandlungstage
Weitere Verhandlungstermine der Zweiten Große Strafkammer des Landgerichts Hanau sind am heutigen Mittwoch, 3. August, sowie am Donnerstag, 4. August.
Tat, Ermittlungen, Festnahmen und Verhandlungen
17. September 2013 Der Zeitlofser, versucht mit zwei Schlüchternern in Gaubüttelbrunn zwischen Würzburg und Tauberbischofsheim um 1.19 Uhr einen Fahrkartenautomaten zu sprengen. Die Beute: 351,20 Euro. Sachschaden: 40 000 Euro. Der 47-Jährige wird von umherfliegenden Teilen schwer verletzt, seine Mittäter legen ihn am Bahnhof in Salmünster ab und verständigen unter falschem Namen die Polizei. Eine Streife findet den Mann, der laut Gutachten bereits gegen 2.15 Uhr starb, gegen 3.20 Uhr. 30 Minuten später stellt ein Notarzt nach missglückter Reanimation den Tod fest. Die Täter entsorgen Beweise an der Kinzig-Schule und in "die Bach".
18. September 2013 Der Mercedes des Zeitlofsers wird am Schlüchterner Bahnhof gefunden. Auf der Rückbank finden die Kriminaltechniker Blutspuren. Die Ermittler gehen noch davon aus, dass der 47-Jährige erschlagen worden sein könnte.
23. September 2013 Der Getötete wird in seinem Heimatort beigesetzt. An der Trauerfeier nehmen zahlreiche Rocker teil.
24. September 2013 Die Kinzigtal-Nachrichten (KN) berichten erstmals, dass der Getötete beim Versuch, einen Fahrkartenautomaten zu sprengen, lebensgefährlich verletzt wurde.
8. Oktober 2013 Die beiden Komplizen werden in Schlüchtern festgenommen. In der Wohnung der Mutter des Jüngeren werden 552 Gramm Plastiksprengstoff, eine Wehrmachtspistole "Walther P 38" sowie eine Pistole der Marke Singer nebst 433 Patronen gefunden, die er angeblich für einen Freund verwahrte.
13. Mai 2014 Der Prozess wegen (Verdeckungs-) Mordes, und herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Sachbeschädigung und schweren Diebstahls gegen die Schlüchterner beginnt am Landgericht Hanau. Im Prozessverlauf berichten Polizisten davon, dass gut eine Million Daten während der gesamten Ermittlungen ausgewertet wurden. Rocker, die laut T-Shirts den Hells Angels zumindest nahestehen, verfolgen das Geschehen.
18. Juli 2014 Das Landgericht Hanau verurteilt den damals 52-Jährigen zu einer Haftstrafe von fünf, den 35-Jährigen zu einer Haftstrafe von sieben Jahren. Die Staatsanwaltschaft hatte indessen sogar Strafen von sechs Jahren und neun Monaten beziehungsweise von acht Jahren und sechs Monaten für die Angeklagten gefordert.
11. August 2014 Das Landgericht Hanau verurteilt einen damals 34-Jährigen, dem die Waffen und der Sprengstoff gehört haben sollen, die bei einem der Automatensprenger gefunden worden waren.
Juni 2016 Der Bundesgerichtshof gibt der Revision des jüngeren 37-jährigen Angeklagten statt.
Andreas Ungermann