Rolf Heiermann hat Ödön von Horváths Roman "Jugend ohne Gott" dramatisiert und in einer spannend-zeitlosen Inszenierung im Intimen Theater auf die Bühne gebracht.
1937 hat der damals 36-jährige Ödön von Horváth nach mehreren weniger beachteten Theaterstücken und zwei Romanen seinen ersten großen literarischen Erfolg gehabt: mit dem Roman "Jugend ohne Gott", eine relativ schmalen Bändchen mit 44 kurzen Kapiteln, in dem Horváth die Geschichte eines Lehrers erzählt, der, vom Dienst suspendiert, in Afrika gelandet ist. In seiner Rückschau entfaltet sich ein beklemmendes Szenario: Der junge Lehrer, der bei dem Versuch scheitert, seinen faschistisch indoktrinierten Schülern noch etwas von seinem humanistisch geprägten Wertesystem zu vermittelt, wird immer mehr zum Opportunisten und Mitläufer, der sich den politischen Zwängen der Zeit beugt.
Bestandsaufnahme und Vision Zur Katastrophe kommt es, als er im Osterlager, in dem die jungen Leute schon auf ihre spätere Rolle als Soldaten getrimmt werden.
Da bricht er die Schatulle des Schülers Z auf (die jungen Leute haben im Sinne der Vermassungsideologie keine Namen mehr, sondern nur noch Buchstaben), um dessen Tagebuch zu lesen. Z allerdings verdächtigt N und erschlägt ihn schließlich mit einem Stein. Erst im Prozess gegen Z kommt der Lehrer zu der Erkenntnis, dass er den Irrtum aufklären muss, wenn er nicht völlig seine Selbstachtung verlieren und an seinen eigenen Wertvorstellungen scheitern will "auch wenn er seine Anstellung verliert" - Der Prozess gegen ihn wird niedergeschlagen, aber er wird suspendiert. Und so geht er ins Exil, zu den Menschen, die nach Auffassung seiner Schüler gar keine sind: zu den Negern. Der Kreis hat sich geschlossen.
Was Horváth mit "Jugend ohne Gott" geschaffen hat, ist Bestandsaufnahme und Vision zugleich.
Er beschreibt die schleichende Ideologisierung der Jugend durch Medien und Elternhaus und er sieht bereits ganz klar, worauf diese Entwicklung hinausläuft. Und er zeigt eine Gesellschaft, die ihre Werte verloren hat, die sich nicht mehr darüber verständigen kann, was Wahrheit tatsächlich ist - die er gleichsetzt mit Gott.
Entwicklungslinien gewahrt Auch wenn es sich von der Personenführung her anbietet, gehört durchaus Mut dazu, dieses kompakte Stück Prosa zu dramatisieren. Rolf Heiermann hat diesen Mut aufgebracht und hat sein Theaterstück "nach Horváth" jetzt im Intimen Theater zur Uraufführung gebracht. Es ist eine sehr gelungene und geschickte Komprimierung der Romanvorlage. Natürlich musste er straffen und weglassen. Die Figur des Pfarrers etwa, die in der Begleitung des Lehrers eine relativ große Rolle spielt, taucht gar nicht erst auf.
Aber die Entwicklungslinien sind trotzdem gewahrt und klar herausgearbeitet, die Form des inneren Monologs ist in sinnvollen Teilen beibehalten, weitgehend aber in eine schlüssige Spielhandlung übersetzt, die in ihrer Verknappung mal comichafte, mal kafkaeske Züge annimmt und die den Zuschauer hineinzieht.
Man kann darüber diskutieren, ob Horváths Roman ein Zeitstück ist. Natürlich entstand er unter dem Eindruck und den Einwirkungen der politischen und sozialen Verhältnisse im nationalsozialistisch beherrschten Deutschland. Die Figur des Lehrers hat durchaus einige autobiographische Züge. Und auch die historisch außerordentlich sorgfältig gestalteten Kostüme von Daniela Zepper legen einen Bezug zum Dritten Reich nahe, aber sie erzwingen ihn nicht, denn sie signalisieren auch durchaus zeitunabhängige gesellschaftliche und intellektuelle Strukturen in einer sich militarisierenden Zeit, die es immer und
überall geben kann - und gibt. Eine Beobachtung, die das absolut nüchterne, vollkommen ohne historische Reminiszenzen auskommende Bühnenbild von Ania Rask Nielsen nachhaltig unterstreicht. Auch das durchwegs kalte, harte, neutrale Licht (Stephan Schoder und Robert Werthmann) leuchtet keine emotionalen Ankerplätze aus.
Genaue Personenregie Und das macht durchaus Sinn. Denn der horizontale Riss, der bei Horváth durch die Gesellschaft geht - zwei Generationen, die so weit von einander entfernt sind, dass sie sich in ihrem Werteverständnis kaum noch an gemeinsamen Punkten treffen - den gibt es auch heute in Deutschland. Und den kann man in der ganzen Welt beobachten.
Und man muss dabei gar nicht auf die Extreme verweisen wie auf die jungen indoktrinierten und radikalisierten jungen Leute, die Europa verlassen, um im Nahen Osten in einen vermeintlich heiligen Krieg zu ziehen.
Heiermann hat auf eine sehr genaue Personenregie gesetzt, die diese Strukturen verdeutlich. Der Lehrer ist immer im Mittelpunkt, auch wenn er sich abseits hält, weil seine verleugnete Tat immer mitgedacht wird. Und Georg Schmiechen spielt diese Rolle des an sich selbst leidenden Opportunisten mit sehr viel Gespür für die Nuancen des Augenblicks und der Bereitschaft der Selbsteinschätzung. Nilz Bessel als Z, Benjamin Jorns als T und Paul Lonnemann als N, die drei Schüler, sind natürlich die Verführten, aber sie wissen ihre Indoktrination in unterschiedlicher Radikalität sich zunutze zu machen im Widerstand und in der Provokation gegenüber der älteren Generation und ihrer Angreifbarkeit.
Keine leichte Kost Deren Repräsentant ist Marc Marchand als Direktor, Lateinlehrer, Feldwebel und Gerichtspräsident, der allein schon durch sein hilfloses Bemühen, seine im Kurs sinkenden Werte hochzuhalten, durchaus an die beklemmende Grenze der Lächerlichkeit gerät. Dem setzt Sandra Lava als Animierdame Nelly einen bodenständigen Pragmatismus des Überlebens entgegen. Und Elisabeth Therstappen ist als ausgebüxtes Waisenkind Eva, das mit Z eine Liebelei anbändelt, das geborene asoziale Wesen, das mit seiner mutigen Hilflosigkeit den Lehrer dazu bringt, seine soziale Verantwortung wiederzuentdecken. Es ist keine leichte Kost, die Rolf Heiermann da angerührt hat, aber eine absolut lohnende, weil sie die Augen für die Gegenwart öffnet.