Natürlich reizt er das Komödiantische, das Schalkhafte des verwirrten Opas spielerisch aus, allerdings sehr gut kontrolliert. Aber er kann auch blitzschnell umschalten auf einen alten, hilflosen Mann, der die Orientierung verloren hat, dessen Gedanken sich verhaken und ins Nichts verflüchtigen. Man muss sich als Zuschauer immer wieder klar machen, dass das alles wirklich nur gespielt ist.
Eine echte Überraschung ist Dorothee Höhn - man kannte sie bisher als Maßbacher Theaterpädagogin - als Tilda. Sie spielt die Elfjährige, als wäre sie es, mit großer Kindlichkeit und spontaner Energie, mit Naivität und Jugendweisheit und Altklugheit. Sie begreift den Zustand ihres Opas, aber sie kämpft um ihn, weil sie ihm sein Weggleiten nicht einfach verbieten kann. Und sie ist die, die sich dem Publikum gegenüber erklärt, weil sie ihre Eltern nicht mehr erreicht. Die reiben sich zwischen den beiden auf.
Marc Marchand als Niko Rosenbach ist der liebe Sohn, der den verwitweten Vater unbedingt zu sich holen will und der viel Kraft aufwendet, um nicht erkennen zu müssen, dass die Situation ihn und die ganze Familie heillos überfordert. Er ist der, der wirklich leidet.
Auf der anderen Seite versucht seine Frau Sarah, sich die Probleme mit Härte vom Leib zu halten. Anna Katharina Fleck zeigt sie als eine Frau, die eigentlich schon Probleme hat, Beruf und Kind unter einen Hut zu bringen und die jetzt nicht unversucht lässt, das Scheitern von Nikos Integrationsversuchen zu provozieren.
Und dann hat Sandra Lava noch etwas getan, was der Inszenierung außerordentlich gut bekommt. Die Zahl der Nebenrollen ist von 34 (im Film) auf fünf reduziert. Diese Komprimierung bekommt dem Stück außerordentlich gut. Vor allem aber hat sie diese fünf Rollen mit einer Person besetzt: Benjamin Jorns spielt den Arzt, den Fahrkartenverkäufer, den türkischen Putzmann, die Schwester Oberin Elisabeth und den Musiker - darstellerisch eine durchaus herausfordernde Kombination. Natürlich spart das Personal, aber es ist vor allem ein Bild aus der Welt der Kranken: Die Frage: "Kennen wir uns, habe ich sie schon mal gesehen?", die Amandus bei jeder Begegnung stellt und die typisch ist, bekommt hier eine überraschende Konkretion.
Raffiniert, obwohl recht spartanisch, ist das Bühnenbild von Robert Pflanz: eine kleine, erhabene Drehbühne mit einigen leeren Kästen, die schnell umgestellt und umgestapelt werden können. Da wird man den ganzen Abend das Gefühl nicht los, dass es so im Kopf eines dementen Menschen aussehen könnte - sozusagen hinter dem Honig.
Die Konkretion und Erdung erfolgt über die ganz realistischen, betont typischen Kostüme von Daniela Zepper. Sie sind ein bisschen ein Geländer in dieser undurchschaubar leeren Welt.
Ein eigentlich ernstes Stück, das trotzdem eine heitere Leichtigkeit des Seins versprüht. Und wir wissen jetzt: Man darf auch über demente Menschen lachen. Sie lachen gerne mit. Und nachtragend sind sie bestimmt nicht.
Rein und raus im Gänsemarsch
Ein Kommentar von Thomas Ahnert
Man denkt plötzlich an einen Eisbrecher, der über drei Monate im Eis festgefroren war und der jetzt, wo das Eis knisternd und krachend erste Risse zeigt, vorsichtig wieder Fahrt aufnehmen kann. Und man spürt die Erleichterung der Mannschaft. Das Szenario ist übertragbar: Auch im beziehungsweise am Schloss Maßbach ist das Eis gebrochen. Konkret gesagt: Es darf wieder Theater gespielt werden.
Was die dreieinhalbmonatige Zwangspause bedeutete, konnte man schon erkennen, wenn man am Freitagabend auf das Schloss zuging: Man blickte ausnahmslos in vorsichtig strahlende Gesichter. Also wieder business as usual?
Mitnichten. Eigentlich war alles anders als sonst. Schon vor Beginn durfte man nicht einfach auf seinen Platz gehen und warten, dass der Vorhang aufgeht. Warten musste man trotzdem, allerdings vor dem Schloss. Das Publikum tat es mit großer Geduld und Einverständlich, hielt sich sogar in erstaunlichem Maß an die Abstandsregel, bestellte bereits den Pausensnack, der dann auf den vorbereiteten Tischen stehen sollte - in der Pause wäre es dafür zu spät gewesen.
Eine Viertelstunde vor Beginn wurde es ernst: "Hier werden Sie vom Objektleiter platziert!" hieß das früher mal in einem abgegrenzten Teil von Deutschland. Jetzt war der Objektleiter in ungewohnter Funktion Susanne Pfeiffer. Sie stand mit einem Pult mit dem Platzplan zwischen Bühne und Tribüne und rief mit einem Mikrophon und viel Geduld die einzelnen Platznummern der auf dem Vorplatz Wartenden auf, beginnend ganz oben mit Reihe 10. Die Karteninhaber sollten sich dann in Marsch setzen und ihre Plätze einnehmen.
Das funktionierte recht zügig, denn die meisten Leute hatten schon vorher mal auf ihre Karten geschaut und wussten, wann sie dran waren. Zudem war die Logistik gut durchdacht. Da die Tribüne zwei Zugänge hat, waren sie mit den Farben Blau und Gelb betitelt worden. Die beiden Farben fanden sich auf den Karten, und für Farbenblinde waren sie auch in Worten ausgedruckt und auf die Wegweiser geschrieben. So konnte man den Zuschauerraum von beiden Seiten gleichzeitig füllen, ohne engere Kontakte zu provozieren. In die Pause ging es reihenweise auf Zuruf, danach wurden wieder die Einzelplätze aufgerufen.
Was freilich am gewöhnungsbedürftigsten war, war die Optik. Der Gedanke fiel schwer, dass eine Vorstellung restlos ausverkauft ist, wenn nur jeder fünfte Platz besetzt ist Denn statt 311 Besuchern durften nach Corona-Vorschriften nur 65 Platz nehmen - immerhin konnten Grüppchen zusammenbleiben. Aber jede zweite Reihe musste leer bleiben. Ein etwas trauriges Bild, obwohl die Fußballer sicher neidisch gewesen wären.
Dass der Beifall unter den Bedingungen ziemlich schütter klang, war zu erwarten. Aber die Begeisterung kam bei der Truppe trotzdem an, nicht zuletzt wegen der vielen Bravos.
Und dann ging"s im Gänsemarsch wieder nach draußen.