"Die Wahrheit und die Wahrheiten" - dieses Thema beleuchtete Privatdozent Michael Gerten in einer Veranstaltung der "Besonderen Reihe" im Theater Schloss Maßbach.
"Was ist Wahrheit?" Die Frage richtete Pontius Pilatus kurz vor der Verurteilung an Jesus, als dieser ihm erklärt hatte, dass er in die Welt gekommen sei, "dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme." Mit dieser Aussage hatte der Soldat und römische Statthalter wohl nicht allzu viel anfangen können. Kein Wunder, denn diese Frage ist eine der Grundfragen, die sich durch die Philosophie und Theologie von der Antike bis in die Gegenwart zieht, immer wieder mehr oder weniger intensiv diskutiert.
Jetzt war sie Thema in einer Veranstaltung der "Besonderen Reihe" im Theater Schloss Maßbach. Anne Maar, die Chefin des Hauses, hatte den Privatdozenten Michael Gerten, Lehrkraft für besondere Aufgaben in den Fachbereichen BWL, Philosophie und am Lehrstuhl für Politische Theorie an der Universität Bamberg, eingeladen. "Die Wahrheit und die Wahrheiten" hieß das Thema, das einen Aspekt des Spielzeitthemas "Glauben" beleuchtete. Wobei es hier, so Anne Maar, nicht so sehr um religiöse Fragen, um eine Objektivierung des Glaubens gehen sollte, sondern allgemein: "Was hält man für wahr, was nicht. Oder: Gibt es eine gefühlte und eine tatsächliche Wahrheit?"
Annäherung über eine überzeugende Diskussion
Anne Maar hatte sich zum Verbündeten von Pontius Pilatus gemacht und eröffnete die Diskussion mit Fragen an den Referenten, die in das Thema einführten: "Wie lässt sich Wahrheit herausfinden? Wie geht man dabei vor? Was ist das ganz große Gebäude der Wahrheit? Wo fängt man an?" Gerten unterschied zwischen gefühlter und gedachter Wahrheit. Über Gedachtes entstünden verschiedene Meinungen oder Wahrheiten, über die man freilich diskutieren könne. Es sei nicht erstrebenswert, dass alle gleich denken. Das führe zu Uniformierung. Aber eine Pluralisierung nach dem Motto: Jeder hat Recht sei auch nicht zielführend: "Das sagt jemand, der seine Ruhe haben will." Wichtig sei eine Annäherung über eine überzeugende Diskussion unter der Hintanstellung von Vorurteilen. Über gefühlte Wahrheiten könne man nicht diskutieren. Bestes Beispiel: Geschmack.
Der Zugang zur Wahrheit, so Gerten, kann nur methodisch und schrittweise erfolgen, "in der mühsamen Arbeit jahrelangen Denkens." Einzelne Wahrheiten hingen zusammen, seien immer nur Teilwahrheiten. Wobei das Problem sei, dass man Begriffe erklären könne, aber nicht Wahrheit. Schon Descartes und Kant hätten festgestellt, dass man sie nicht definieren kann, denn: Ist die Definition von Wahrheit wahr? Descartes beruhigte sich damit, dass jeder sie hat. "Man braucht keine Definition. Tiere diskutieren nicht über wahr und falsch."
Wahrheit im Theater
"Zwischen Wahr und Falsch gibt es kein Dazwischen." Da helfe nur komplexe Analyse oder Vertrauen. Gerten: "Ich bin mir nicht sicher, ob es Rio de Janeiro wirklich gibt. Ich war noch nie dort." Die Bilder von dort könnten auch in Studios entstanden sein. Andererseits gibt es Gründe, sich auf Fakten zu verlassen: "Wenn ich über eine Brücke gehe, muss ich dem Statiker vertrauen, dass sie nicht einstürzt." In der Wissenschaft sollte man sich allerdings nicht auf die Experimente anderer verlassen.
Und wie ist das nun mit der Wahrheit im Theater? Über die faktische Wahrheit der Aufführung hinaus hat jeder Besucher seine eigene Wahrheit. Kant, so Gerten, unterscheidet zwischen den beiden Gültigkeitsebenen der subjektiven und objektiven Wahrheit und siedelt die Kunst dazwischen beziehungsweise in beiden an: "Man kann keine Mutter sein, wenn man kein Kind hat." Wenn man vor der Mona Lisa steht, gibt es zum einen die objektiven Wahrheiten wie die Größe der bemalten Fläche und des Rahmens oder die verwendeten Farben. Aber die ästhetischen Erlebnisse der Betrachter sind unterschiedlich, lassen sich nicht erzwingen. Entscheidend sei über die Sinnesempfindungen hinaus das Denken über das Gesehene: "Was hat das mit meinem Leben zu tun? Je reicher unser Leben wird, desto mehr können wir mit Kunst anfangen." Das gelte auch in der Beurteilung von Theater. "Kunst macht uns frei", meinte Kant.
Ist Glaube Wahrheit?
Natürlich tauchte die Frage auf: Ist Glaube Wahrheit? Schließlich sei Gott nicht beweisbar. Und welche Rolle spielt die Moral? Gerten: "Das ist eine uralte Streitfrage der Philosophen." Es gebe nur eine umfassende Wahrheit, aber verschiedene Religionen. "Die Religion hat natürliches Erstrecht. Naturvölker fangen mit Religion an." Und die muss sich auch von der Philosophie befragen lassen, ob sie wahr ist. Nach Fichte gehe es da um die Betrachtung der Inhalte, nicht der Form. Die müssten in die höhere Ebene des Wissens überführt werden, wobei auch andere Religionen bedacht werden sollten.