"Coming out oder: Die Kunst, einen Apfel zu schälen": Das "mobile Stück für Theater im Klassenzimmer" von Jutta Schubert, hatte Premiere.
Den Einstieg, die Schulsituation, kennt jeder: Spanisch steht auf dem Stundenplan, und da der Lehrer in Verfechter des einsprachigen Fremdsprachenunterrichts ist, hat er eine ganze Plastikwanne voll bunter Requisiten dabei, um seinen Schülern im Dschungel der unbekannten Wörter ein paar Anhaltspunkte zu geben. Und doch schreibt er gleich zu Beginn mit breiter Kreise und großen, leicht empört wirkenden Bewegungen zumindest den Anfang eines deutschen Satzes an die Tafel: "Christoph ist" - nicht mehr, keine drei Punkte. Man kann natürlich nur vermuten, dass er den Satz irgendwann vervollständigen wird. Aber immerhin keimt allmählich die Vermutung auf, dass das der namenlose Lehrer selbst ist.
Wie soll er reagieren?
Er ist in Zugzwang geraten. Er hat am Morgen an einer Schulmauer ein Graffito gefunden, das ihn als schwul outet. Der Direktor, mit dem er darüber spricht, rät ihm, gar nicht darauf zu reagieren, weil er Unruhe unter den Schülern und Eltern befürchtet und das Privatleben von Lehrern die Öffentlichkeit nichts angeht. Er solle ganz normal seinen Spanischunterricht durchziehen.
Warum er sich daran nicht hält, schildert und erklärt er in "Coming out oder: Die Kunst, einen Apfel zu schälen", ein "mobiles Stück für Theater im Klassenzimmer" von Jutta Schubert, ein Ein-Personenstück, das jetzt im Theater im Pferdestall Premiere hatte. Benjamin Jorns spielt den Lehrer, der sich nicht an die Vorgabe des Direktors hält, weil er seinen Schülern gerne erklären möchte, wie das ist mit dem Schwulsein, wie er es selbst erlebt hat. Mit seinen beiden Regisseuren Uwe Reichwaldt und Julia Kren hat er einen Rückblick voller Poesie und Brutalität entwickelt. Er erzählt von seiner ersten Verliebtheit, von seinen Verstörungen und denen seiner Umgebung, von den Enttäuschungen der Mädchen, die sich in ihn verliebt hatten, von Dany, in den er sich verliebt hatte, der aber plötzlich von Frauen redet und ihn rausschmeißt. Er macht deutlich, dass das Geschlecht der Menschen eigentlich nicht so wichtig ist - oder anders gesagt: dass die geradezu zwanghaft erste Frage nach der Geburt eines Kindes: "Was ist es denn?", nicht immer so eindeutig beantwortet werden könnte. Er spielt für seine Schüler das entscheidende Gespräch mit seinen Eltern. Der Vater räumt wortlos-hilflos das Feld. Die Mutter ist erschrocken ("Was sollen denn die Nachbarn denken!").
Resignierter Frieden
Aber sie ringt sich durch zu einem resignierten Frieden ("Die Hauptsache ist, dass du glücklich bist") und zieht sich zurück in ihren Alltag, beginnt, einen Apfel zu schälen. Überspielen nennt man das wohl.
Der Lehrer redet sich zusehends frei und stark. Er hat gezeigt, dass Glück nicht zwangsläufig eine Frage des Geschlechts ist. Und am Ende kann er auch den Satz an der Tafel vervollständigen, das das Gespräch ausgelöst hat, weil er darauf vertraut, dass seine Schüler etwas begriffen haben und für sie das Graffito an der Wand seine verletzende Wirkung verloren hat: "Christoph ist eine schwule Sau." Die Entscheidung, aus dem Thema "Coming out" ein Einpersonenstück zu machen und die Rolle mit einem Lehrer zu besetzen, ist klug. Nicht nur, weil der eine Person ist, die das Zielpublikum ohnehin kennt - das 45-Minuten-Stück ist passgenau auf den Einsatz im Unterricht zugeschnitten und kann problemlos in jedem Klassenzimmer aufgeführt werden. Sondern auch und vor allem, weil hier nicht ein Stück mit Erzähler und Zuhörern auf der geschlossenen Bühne abläuft und sein Publikum sich beliebig distanzieren kann: Hier wird es unmittelbar angesprochen, ist Bestandteil der Aufführung, wird hineingezogen in die Geschichte. Für interessierte Klassen und Lehrer entsteht keinerlei logistischer Aufwand: Benjamin Jorns kommt auf Anfrage in die Schulen. Er braucht nur einen Tisch und einen Stuhl. Auf die anschließenden Gespräche kann man gespannt sein.