Es ist eigentlich merkwürdig: Vor zehn Jahren war der damals 16-jährige Igor Levit zum ersten Mal in Bad Kissingen als Teilnehmer der 2. Kissinger KlavierOlympiade, die er erfolgreich als Zweiter beendete. Seitdem war er oft zu Gast beim Kissinger Sommer - als Konzertsolist und als Kammermusiker.
Aber es musste zehn Jahre dauern, bis er sein erstes Solorecital geben konnte.Auf seinem Programm standen die letzten drei Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven und damit der Großteil seiner Debüt-CD, die er vor kurzem herausgebracht hat. Die Scheibe hat in der Fachpresse durchaus kontroverse Diskussionen ausgelöst. Aber wenn man die Texte liest, kommt man zu dem Eindruck, dass manche Kritiker ihm den unspezifischen Hauptvorwurf machen, mit dem er rechnen musste: dass er für die Einspielung des Beethoven'schen Spätwerks zu jung sei. Sie scheinen, auch wenn manche kritische Anmerkung durchaus diskutabel ist, Probleme damit zu haben, dass sich Igor Levit mit seinen Interpretationen einer vergleichenden Einordnung entzieht, dass er nicht ein benennbares Vorbild kopiert, sondern so frech oder so mutig war, eigene Ansätze zu suchen.
Igor Levit hat sich den Sonaten ohne ein fertiges Konzept genähert, und er hat etwas gemacht, das ihm mancher Kritiker jetzt vorwirft: Er hat den Notentext Beethovens ernst genommen, hat ihn von eingeschliffenen romantischen Traditionen der Interpretation befreit und ihn der Demkmalpflege entzogen.Er hat vor allem seine Metronomangaben und seine Pedalvorschriften absolut ernst genommen und ihn damit der zum Pathos neigenden Denkmalpflege entzogen. Dadurch hat sich manche Sichtweise verämndert, manche Akzentuierung und Gewichtung verschoben. Was dabei jherausgekommen ist, sind Interpretationen, die zum einen der Frage nachgehen, was die Musik vorwärts treibt, die andererseits eine enorme Annäherung an Beethoven bedeuten, der nicht nur Melodien entwickelt und verarbeitet, sondern der starke Emotionen und Befindlichkeiten in Töne fasst. Es sind starke Kontraste, die mitunter bis an den Rand der Erträglichkeit gehen, aber nie plakativ werden, sondern in innerer Logik hergeleitet sind. Das zeigt sich schon zu Beginn des ersten Satzes der E-dur-Sonate op. 109, in dem ein freudlich perlendes Espressivo plötzlich in Nervosität umschlägt, in dem das Wechselspiel von Aggression und Entspannung vorwärts getrieben wird, und das besonders deutlich im Prestissimo mit seinem krachenden Einstieg und seiner brutalen Wucht, in dem ein leises Echo wie ein Hilferuf aus der Ferne wirkt.
Langsam bis zum Herzstillstand Besonders beklemmend ist der dritte Satz, das Andante, das wunderbar sanglich beginnt, in dem Igor Levit der Musik sehr Zeit und Luft lässt - er ist überhaupt einer der wenigen Pianisten, die wirklich langsam spielen können, ohne die Substanz der Musik zu verdünnen. Aber dann türmen sich die Emotionen plötzlich auf, und die Rückkehr des ruhigen Eingangsthemas wirkt wie das Erweachen aus einem Albtraum.
Das Allegro molto der As-dur-Sonate op. 110 ist ein glänzendes Beispiel für die Kompromisslosigkeit Levits gegenüber seinem Interpretationsansatz. Denn da geht er wirklich an die Grenze des grifftechnisch Machbaren, und in den Nachhall dieses Furors setzt er den Fugensatz, der lyrisch beginnt. Aber nach der brüchig werdenden Fuge hat auch das Eingangsthema bei seiner Rückkehr seine Unschuld verloren.
Eine Steigerung bis zur Unbarmherzigkeit erfuhr das Maestoso der c-moll-Sonate op. 111, in dem Levit mit starkem, das Gewicht noch erhöhenden Rubato Marmorblöcke meißelte und einen Druck aufbaute, der sich in der Arietta mit ihren Variationen langsam verflüchtigte. Aber sehr entgegenkommend war er da nicht, weil er die Stimmung geschickt in der Schwebe hielt und erst ganz am Schluss im leisen Verklingen wieder erdete.
Eine Zugabe wäre nur eine Banalisierung des Gehörten gewesen.