Die Geigerin Tai Murray hat zu Recht internationale Auszeichnungen erhalten, jetzt spielte sie im Großen Saal im Regentenbau Bad Kissingen Tschaikowskys Violinkonzert.
Es ist gar nicht so einfach, über die Geigerin Tai Murray und ihre Sonderstellung zu berichten, weil man Angst hat, mit der "political correctness" in Konflikt zu kommen. Da hatten es die Menschen früher einfacher. George Bridgetower, dem Beethoven eigentlich seine Kreutzer-Sonate widmen wollte, bis sie sich verkrachten, war bei den Wienern einfach nur "der Neger". Damals hat sich niemand aufgeregt, obwohl er als Sohn eines Äthiopiers aus dem weißrussischen Brest stammte
und englischer Staatsbürger war.
Hohe Erwartungen Heute ist das schwieriger, wenn man darauf hinweisen will, dass Tai Murray aus Chicago seit Bridgetower wohl wieder die erste - und immer noch einzige - klassische Geigerin afro-amerikanischer Herkunft ist, die auf den internationalen Podien musiziert, weil man sich nicht sicher ist, ob das überhaupt noch so sagbar ist.
Aber letztlich ist das auch vollkommen
unerheblich, denn es geht nicht um Hautfarbe, sondern um Klangfarbe - und Musik. Und um das Violinkonzert von Peter Tschaikowsky, das Tai Murray mit dem Sinfonieorchester des Nationaltheaters Prag unter der Leitung von Gerd Schaller spielte. Man hatte einige Erwartungen an die Geigerin, weil ihre Einspielung der Solosonaten von Eugène Ysaye zu Recht internationale Auszeichnungen erhalten hat. Aber sie wurden nicht ganz eingelöst.
Tai Murray ist eine ausgezeichnete Technikerin, die auch in virtuos fordernden Passagen die Nerven behält. Aber Ysayes Sonaten sind abstrakt, konstruktiv fordernd, und das liegt ihr.
Technisch blitzsauber Aber das genügt nicht bei dem Tschaikowsky-Konzert. Es reicht nicht, den Solopart zu 99,5 Prozent technisch blitzsauber abzuliefern - kleine intonatorische Ungenauigkeiten sind in der Live-Situation absolut normal.
Aber bei einem Konzert braucht es auch die starke emotionale Zuwendung zum Orchester, den erkennbaren Willen zur Zusammenarbeit ebenso wie Konfliktbereitschaft. Und die fehlten ganz einfach.
Tai Murray hätte ihren Part ohne Orchester genauso gespielt: In einem durchgehenden Mezzoforte ohne größere agogische Gestaltung, ohne emotionale Bögen.
Sie ließ sich nicht auf das Orchester ein, blieb defensiv, spielte nicht auf Vortrieb.
Dabei war sie nie unter Druck. Denn Gerd Schaller hatte gemäßigte Tempi gewählt, die Luft lassen zu einer individuellen Gestaltung. Die Impulse und Angebote zur Zusammenarbeit kamen ausschließlich vom Orchester, bei dem man sich allerdings auch nicht ganz die Beobachtung verkneifen konnte, dass ihm die eher bedächtigen Tempi nicht ungelegen kamen.
Denn das Tschaikowsky-Konzert gehört nun mal nicht unter die Top Ten eines Opernorchesters. Es blieb insgesamt der Eindruck des Soliden, Behäbigen.
Als Zugabe spielte Tai Murray die Violinbearbeitung von Francisco Tárregas "Recuerdos de la Alhambra". Auch hier war jeder Ton da, aber die Melodielinie hätte eine markantere, auch liebevollere Behandlung verdient.
Ansonsten machte das Opernorchester viel Freude.
Dass es die Ouvertüre von Bedrich Smetanas "Verkaufter Braut" mit so viel Pfiff und Farbe spielen würde, durfte man erwarten. Aber Antonin Dvoráks 8. Sinfonie! Natürlich gehört die zum festen Repertoire, in ihr ist das Orchester zu Hause, und manches Mal musste Gerd Schaller eine gewisse Übermotiviertheit dämpfen, um auch geheimnisvolle Aspekte zu zeigen.
Aber das Orchester, insbesondere die bestens disponierten Bläser, nutzten die Gelegenheit, mit ansteckendem Schwung und prächtiger Farbigkeit zu musizieren. Dazu kam Gerd Schallers Neigung zur transparenten Durchhörbarkeit und Verfolgbarkeit der einzelnen Stimmen, die die Absichten Dvoráks bestens verdeutlichten, die die vielen Melodien nicht verquirlten, sondern in sinnvolle, nachvollziehbare Zusammenhänge stellten. Das war ein Schlusspunkt, der hinübertragen kann zum 17. Kissinger Winterzauber.