Ein mitreißendes Konzert, das aber auch nachdenklich stimmte. Denn der Eindruck einer künstlerischen Stagnation seit vielen Jahren ließ sich nicht verdrängen.
Wie soll man einen Text beginnen, wenn man nicht weiß, was man überhaupt schreiben darf? Wie man die Sache nennen kann in Zeiten der politischen Korrektheit. In früheren Jahren, wenn der Geiger Roby Lakaktos mit seinem Ensemble zum Kissinger Sommer kam, dann spielten die jungen Leute - wir waren damals auch noch jünger - ganz einfach "Zigeunermusik". Und so stand's - ohne jegliche Bedenken oder Fußnote auch im offiziellen Programm des Festivals.
Aber heute? Wo es keine Zigeunersauce mehr gibt, sondern Balaton-Sauce oder Paprikasauce ungarische Art? Wo sich der Kollektivbegriff der "Sinti und Roma" in den Vordergrund schiebt? Oder sollte man nicht besser sagen "Sinti oder Roma", wenn man es nicht genauer weiß. Sollen wir jetzt von "Sinti-oder-Roma-Musik" reden und schreiben? Das ist kein einfaches Problem, und witzig ist es schon gar nicht, wenn man nur an die leidvolle Geschichte der Sinti und Roma bis heute, aber vor allem Mitte des 20. Jahrhunderts denkt. In diesem Jahr hat man beim Kissinger Sommer das Problem im Programm elegant gelöst: Das Konzert mit Roby Lakatos und Band hatte überhaupt keinen Titel.
Wobei, um nun wirklich zur Musik zu kommen: Selbst wenn der Begriff "Sinti-und-Roma-Musik" politisch korrekt wäre, wäre er sachlich falsch. Denn was früher als Zigeunermusik galt, war es in den meisten Fällen gar nicht. Denn die echte Zigeunermusik hatte keine Komponisten. Wenn die Buben alt genug waren, wurde ihnen eine Geige oder eine Gitarre in die Hand gedrückt, und sie begannen zu spielen. Noten mussten sie nicht lernen. Gespielt wurde nach Gehör und Temperament (die Mädchen könnten ja tanzen).
Was heutzutage hierzulande irrtümlich immer noch als Zigeunermusik bezeichnet wird, sind Adaptionen der traditionellen klassischen Musik, die früher in den Wirtshäusern und bei Festen gespielt wurde - oft als Karikatur. Nikolai Rimksi-Korsakov hat mit Sicherheit nicht an ein Cymbalom gedacht, als er den "Hummelflug" komponierte. Und auch nicht Vittorio Monti bei seinem "Csárdás". Einigen wir uns also auf "Unterhaltungsmusik auf Sinti-und-Roma-Art". Hier genügt sogar "Roma-Art".
Sie büßt ja dadurch nichts ein an ihrer Beliebtheit dank ihrer unterhaltsamen Machart. Und man konnte mal wieder feststellen, dass Roby Lakatos und seine Leute sie perfekt beherrschen. Seine Leute, das waren neben dem Primas selbst László Bóni, der Sekundgeiger, die meistunterschätzte Position in derartigen Ensembles. Der fällt nur wenig auf, nicht weil er zu leise spielt, sondern weil er schattenhaft oft dasselbe spielt wie sein Chef, nur in einer etwas höheren oder tieferen Lage. Das heißt: Er muss genauso gut sein wie sein Chef, darf es aber nicht allzu oft mit einem virtuosen Solo zeigen.
László Bóni hatte diese Schattenhaftigkeit allerdings noch modisch betont, indem er in seinem mausgrauen Anzug die meiste Zeit in der schwächer beleuchteten rechten Ecke der Bühne stand. Dabei waren auch der Gitarrist Gábor Ladányi und der Pianist Kalman Cseki, zwei hellwache Leute, die mit ihrer Virtuosität und musikalischen Beweglichkeit der Musik viele Impulse geben können.
Aber zwei stachen doch aus der Gruppe heraus: der Kontrabassist Guillaume Chevalier, der offenbar eingesprungen war und der so fabelhaft und virtuos und, immer im Blickkontakt mit den Kollegen, absolut mannschaftsdienlich der Musik ihr Fundament gab. Vor allem aber war es Jenö Lisztes, der Cymbalom-Spieler, der in kürzester Zeit der Liebling des Publikums war und Roby Lakatos in die zweite Reihe schickte. Es war nicht nur das absolut atemberaubende Tempo, das er immer wieder in seinen Soli entwickelte. Es war auch sein Gefühl für Klänge und Klangfarben, mit dem er seinem Instrument nie gehörte Töne entlocken und kombinieren konnte. Er sollte sich den Künstlernamen "Speedy Cymbales" zulegen.