Kein Platz zum Chillen

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Wer in die P-Klasse der Anton-Kliegl-Mittelschule gehen will, braucht nicht die besten Noten, aber einen starken Willen. Dafür kann er erfolgreich eine Lehrstelle finden.

"Über unsere Klasse wird bei den Schülern schon noch geredet, dass wir blöd sind, nix können, dass das die Klasse ist, in der gar nix gemacht wird." Aber Katrin Kozlov (16) nimmt das mit Gelassenheit. Denn sie weiß, dass ihre Entscheidung, in die Praxisklasse der Anton-Kliegl-Mittelschule zu gehen, für sie goldrichtig war. Sie weiß, dass ihre KlassenkameradInnen das genauso sehen.
Und sie weiß, dass die größten Lästerer nur ihren Neid verbergen wollen.
Denn Katrin Kozlov hat, wenn sie im Sommer die Schule abschließt, bereits ihren Lehrlingsvertrag in der Tasche. Sie wird dann eine Metzgerlehre beginnen. Und auch ihre drei Kolleginnen, wissen schon, wie es weitergeht: Belinda Hornung wird Fachkraft im Gastgewerbe, Yvonne Weber wird Hauswirtschafterin, und Julia Sauer macht eine Lehre zur Raumausstatterin - alle vier mit Brief und Siegel.

Passgenaues Angebot
Für die vier war vor bald zwei Jahren die P-Klasse genau das passende Angebot. Sie stellten fest, dass das mit dem Büffeln und den Noten der Regelschule nicht so gut klappte, dass ihre Motivationen dafür im Praktischen liegen. Sie gingen in die P-Klasse, und prompt wurden auch die Noten besser, weil sich die Anforderungen verschoben hatten: weniger Englisch, geraffte Sachfächer, dafür jede Menge praktische Erfahungen in Ausbildungsbetrieben - und damit ein fundiertes Hineintasten in den Traumberuf.
Der Erfolg gibt dem Konzept der P-Klasse recht: die fünf Schülerinnen der 9. Jahrgangsstufe haben ale schon eine Lehrstelle. "Das ist eine Erfolgsquote von 100 Prozent", sagt Hilda Wischnewski, die die Klasse sozialpädagogisch betreut und auch die Kontakte zu den Betrieben herstellt. Ob das nächstes Jahr bei den acht Jungen, die die Klasse in der 8. Jahrgangsstufe besuchen, auch funktioniert?

Zwei Jahrgänge - eine Klasse
"Dass die beiden Jahrgangsstufen in einer Klasse zusammengefasst sind, macht durchau Sinn", sagt Klassenlehrer und stellvertretender Schulleiter Marco Genzler. Mit dem Stoff gibt es keine Prboleme. "Aber ie jungen Leute brauchen noch viel Orientierung, die nicht durch einen Klassenwechsel durchbrochen wird.
Natürlich war das kein direkter Weg zum Lehrvertrag - alle wussten nicht sofort, was sie später einmal machen wollen. Aber das war eben der Vorteil, dass sie in zwei Jahren zehn zweiwöchige Praktika absolvieren konnten, in denen sie ausprobieren konnten, was ihnen liegt. "Das ging querbeet", sagt Hilda Wischnewski, "von Kindergarten bis Friseur." Yvonne Weber hat sich zum Beispiel als Fleischereifachverkäuferin erprobt oder als Floristin und wird jetzt Hauswirtschafterin. Und Julia Sauer hat sich erst in die Richtung Anlagenmechanikerin und Fachkraft für Abwassertechnik bewegt. Jetzt wird sie Raumausstatterin. "Es war halt gut, dass man sehen konnte, in welche Richtung man gehen will", meint sie. Und das wissen sie halt jetzt.
Wobei das ja trotzdem nicht endgültig sein muss, wie Katrin Kozlov erzählt. Sie hat eine Freundin, die letztes Jahr die P-Klasse abgeschlossen hat. Die hat dann eine Ausbildung zur Altenpflegerin begonnen. "Aber jetzt ist sie umgestiegen auf Arzthelferin."

Leicht gemacht wird's niemandem
Das klingt alles relativ einfach und wie selbstverständlich. Aber dass man halt mal schnell in die P-Klasse geht, wenn einen die Unlust überfällt, das läuft nicht: "Zum Chillen ist die P-Klasse eindeutig der falsche Platz", sagt Marco Genzler. "Wer da rein will, muss ganz klar bereit sein, etwas zu tun. Schüler und Eltern müssen das wollen." Wobei der das "und" sehr deutlich betont.Denn: "Wir können die häuslichen erzieherischen Grundleistungen nicht auffangen." Außerdem ist es wichtig, dass die Eltern hinter der Entscheidung ihrer Kinder stehen.

Ausprobieren ist möglich
Die Bereitschaft, "etwas zu tun" finden Genzler und Wischnewski bei den Anmeldegesprächen sehr schnell heraus. Außerdem gibt es die Möglichkeit zum Probeunterricht und "Schnuppertage". Letztlich müssen die Schüler, auch wenn es manchem schwer fällt, die Initiative ergreifen: "Da stehen sie auch in den Betrieben viel besser da."
Die beiden Pädagogen bedauern, dass die P-Klasse an ihrer Schule die einzige im Landkreis Bad Kissingen ist - im Nachbarlandkreis Rhön-Grabfeld gibt es immerhin drei. Wenn Eltern zu dem Ergebnis kommen, dass die P-Klasse für ihr Kind dasBeste ist, "dann sollte die tägliche Fahrt mit dem Schulbus kein Hinderungsgrund sein."

In Rhön-Grabfeld gibt es mehr
14 Schüler in beiden Jahrgängen hat die P-Klasse in diesem Jahr. Fünf Plätze werden zum Schuljahresende frei. "Sehr viel mehr sollen es aus organisatorischen und vor allem pädagogischen Gründen auch nicht werden", sagt Hilda Wischnewski. Wenn aber doch mehr Anmeldungen kommen? Wünschenswert wäre das schon. Aber dann muss die Anton-Kliegl-Schule über ihren Sachaufwandsträger, die Stadt, Fördermittel aus dem europäischen Sozialfonds beantragen, um eine weitere Klasse einrichten zu können. Aber das könnten natürlich auch alle anderen Kommunen im Landkreis tun. Nur würde das dauern. Denn so ein Verfahren ist nicht über die Sommerferien zu erledigen.