Trotz Tafel landen viele Millionen Tonnen Lebensmittel jedes Jahr auf dem Müll. Was tun Supermärkte im Landkreis gegen Verschwendung und den Wegwerf-Wahn? Was landet im Müll, was bekommt eine zweite Chance?
Volle Regale drinnen, volle Tonnen draußen. Hinter dem Supermarkt stapelt sich das, was keiner wollte: Brot, Joghurt, Broccoli, Salat; Lebensmittel, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Sie waren zu viel. Zu groß. Zu klein. Zu krumm. Zu dünn. Geht es nach dem französischen Umweltministerium und Supermarktketten, soll man dergleichen in Frankreich künftig nicht mehr finden.
In Paris haben die eine Vereinbarung unterzeichnet, Lebensmittel künftig nicht mehr wegzuwerfen, sondern zu spenden. Sie haben sich verpflichtet, gezielt gegen die Verschwendung vorzugehen. Wie sieht es eigentlich bei den Märkten aus, in denen die Menschen aus dem Kissinger Landkreis einkaufen? Was landet im Müll? Was bekommt eine Chance auf ein Leben nach dem Supermarkt?
Nach einer Studie des WWF werden in Deutschland in jeder Sekunde 313 Kilogramm
Lebensmittel weggeworfen, die noch genießbar wären. Das macht 18 Millionen Tonnen im Jahr. Oder: 180 Millionen Mülltonnen voller Waren, aus denen noch immer die feinsten Gerichte hätten werden können. Eine andere Studie der Uni Stuttgart, gefördert vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, geht von einer kleineren Zahl aus.
11 000 000 000 Kilogramm
11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle kommen nach Aussage der Wissenschaftler in Deutschland pro Jahr zusammen. Die stammen aus privaten Haushalten, der Lebensmittelindustrie, von Großverbrauchern und dem Groß- und Einzelhandel. Letzterer ist laut der Studie für jährlich 550 000 Tonnen Lebensmittelabfälle verantwortlich.
Das "EHI Retail Institute", ein Kölner Marktforschungsunternehmen, das Studien im Auftrag des Handels anlegt, hat berechnet, dass jeder Supermarkt am Tag durchschnittlich 25 Kilogramm Lebensmittel in den Müll wirft. Wie sieht das bei den Kissinger Unternehmen aus?
"Kaufland vernichtet keine Lebensmittel", sagt Andrea Kübler, Sprecherin der Presseabteilung des Marktes.
Deshalb habe das Geschäft in Bad Kissingne auch nichts abzugeben - zum Beispiel an die Tafel - erklärt sie. Obst und Gemüse werde abends kurz vor Ladenschluss reduziert, Produkte nah am Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) werden billiger ausgezeichnet: Die Mitarbeiter achten darauf, dass es gar nicht so weit komme, Lebensmittel wegzuwerfen, sagt sie. Schließlich entfalle für alles, was übrig bleibt, eine Entsorgungsgebühr.
Nur Waren, die "nicht mehr unbedenklich" verzehrbar seien, weil sie "beschädigt bzw. verdorben" seien, wandern in den Müll, sagt Andrea Kübler.
Kundschaft sensibilisieren
Ein Teil der Lebensmittel, die bei "tegut" vernichtet werden, werden über Biogasanlagen entsorgt und zur Energiegewinnung genutzt.
Leiden die Produkte auf dem Lieferweg, wird für sie eine andere Verwendung gesucht: Möhren, die nichts mehr für die Auslage sind, werden zu Saft, besonders reife Bananen gestückelt und getrocknet wieder verkauft. Das Unternehmen versucht, seine Kundschaft zu sensibilisieren, weniger Lebensmittel wegzuwerfen und die Resteverwertung in der Küche zu stärken.
"Prinzipiell werden bei tegut keine Lebensmittel aus optischen Gründen entsorgt", sagt Stella Kirchner, Leiterin der Unternehmenskommunikation. Aber was, wenn doch mal frische Lebensmittel in den Regalen liegen, die nicht schon vor dem Transport aussortiert wurden, weil sie nicht der Norm entsprechen?
Iris Hönig ist Vorsitzende der Kissinger Tafel.
Sie schätzt, dass über die Hälfte der Lebensmittel in der Auslage der Tafel landen, weil sie die Supermarkt-Kundschaft optisch nicht überzeugt haben. Von fast allen Kissinger Supermärkten holt der Verein Waren ab, die dort aussortiert wurden. "Wir sind Lebensmittelretter", sagt sie. Während der elf Jahre, in denen es die Tafel in Kissingen gibt, gehe die Menge der Lebensmittel, die gerettet werden, aber zurück.
"Die Logistik hat sich verbessert", sagt Iris Hönig. Mit einer optimierten Bestell-Planung - da sind sich die Supermärkte einig - soll ein Angebot von zu vielen Waren in den Regalen und Lagern umgehen. Auch die Lager der Verbraucher sollten nicht übervoll sein, meint Raimund Esser, Leiter der Unternehmenskommunikation von Rewe. Ein großer Vorrat erhöhe das Risiko, dass die Waren zu Hause verderben, bevor sie verarbeitet werden.
Immerhin sei in den gut gefüllten Supermarktregalen "jederzeit" alles verfügbar. Die Statistik verleiht seinem Appell Nachdruck.
Der Groß- und Einzelhandel sorgt laut "EHI Retail Institute" für fünf Prozent aller Nahrungsmittelabfälle. Mit fast zwei Dritteln sind private Haushalte dagegen die Hauptverantwortlichen des Wehwerf-Wahns.