Heute ist ein ganz besonderer Tag für Constanza, nicht nur, weil heute Heilig Abend ist und ihr Schulalltag von zwei Wochen Ferien unterbrochen wird. Die 17-Jährige wird zum ersten Mal in einer fremden Familie, über 12 000 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt, das Fest zur Geburt von Jesus Christus feiern.
Constanza Francisca Alcarcón Ríos stammt aus der Stadt La Unión aus dem Süden Chiles und verbringt zehn Wochen im Rahmen eines Schüleraustausch-Programms bei Sina Schmitt und deren Familie in Sulzthal. Denkt sie an Weihnachten zuhause, dann glänzen ihre Augen und sie erzählt von einem großen Essen mit ihrer ganzen Familie, bei dem man sich erinnert und darüber spricht, was das Jahr über passiert ist und was man für die Zukunft plant.
"Wir haben auch immer einen großen grünen Tannenbaum, der vor vielen Lichtern funkelt, mit Sternen und viel Schokolade geschmückt", berichtet die sympathische 17-Jährige. "Es gibt Geschenke und unter dem Baum haben wir eine große Krippe aufgebaut, es ist ein sehr, sehr fröhliches Fest!"
Schwülwarmes Sommerwetter Obwohl auf einem ganz anderen Kontinent, ist dieses Weihnachtsfest dem unseren
sehr ähnlich. Vielleicht auch deswegen, weil viele Einwohner europäische Wurzeln haben. Ganz anders ist jedoch das Klima. "Zuhause haben wir zur Zeit ungefähr 28 °C, es ist schwülwarm und es regnet viel. Die Bäume sind grün, die Vögel zwitschern. Hier in Deutschland ist es sehr, sehr kalt", meint sie, als sie aus dem Fenster im Sulzthaler Esszimmer in die Dunkelheit hinausblickt.
Es ist erst das zweite Mal, dass Constanza in diesen Dezembertagen Schnee gesehen hat. Damit sie dieses für sie seltene Ereignis in klirrender Kälte genießen konnte, bekam sie eine warme Jacke von Familie Schmitt geliehen. Überhaupt ist sie bei der Sulzthaler Familie gut aufgehoben, die in ihrer Freizeit mit ihrem Gast Ausflüge unternimmt. Neben Schlittenfahren oder Eislaufen stand auch der Besuch eines Weihnachtsmarktes auf dem Programm, was für die Chilenin ganz neu war.
Soetwas gibt es zuhause nicht.
Die Verständigung klappt gut. Constanza spricht gut Deutsch. Die 16-jährige Sina lernt Spanisch und meint: "Bis jetzt haben wir alle Verständigungsprobleme bewältigen können, notfalls durch Gesten." Das spanische Wörterbuch liegt immer griffbereit. Wenn Constanza überlegt, was in Deutschland anders als in Chile ist, dann überlegt sie nicht lange: "In Deutschland geht es viel ökologischer zu. In Chile gibt es zum Beispiel keine Mülltrennung. Das Essen ist etwas anders. Hier gibt es viele Soßen und es ist auch mehr gewürzt als bei uns."
Für Constanza selbst gibt es noch einen großen Unterschied: Während sie in ihrer Heimat in einer Stadt mit rund 50 000 Einwohnern lebt, ist es in Sulzthal eher beschaulich, oder wie die Chilenin es ausdrückt: "sehr nett, aber auch ein bisschen klein."
Mittlerweile ist Sina, die 16-jährige Schülerin der
Jakob-Kaiser-Realschule in Hammelburg, ihre Freundin geworden. Zur Sulzthaler Gastfamilie gehören neben Sinas Eltern Antje und Ralf auch die Brüder Yannick und Lewin. Constanza besucht gemeinsam mit Sina die Realschule in Hammelburg, um ihre Deutsch-Kenntnisse zu verbessern, aber auch, um Leute und die deutsche Kultur kennen zu lernen. Die Physikstunden gefallen ihr in der Schule am besten. "Erdkunde und Geschichte sind für mich schwierig, da verstehe ich noch zu wenig", meint die Chilenin und lacht etwas verlegen.
Constanza ist eine ruhige, freundliche und etwas zurückhaltende junge Frau, die zum ersten Mal im Ausland ist und noch dazu ganz alleine. Der Heilige Abend beginnt für Constanza und ihre Gastfamilie mit dem Besuch der Sulzthaler Christmette am Spätnachmittag. Danach gibt es ein gemeinsames Essen. Dann folgt die Bescherung.
Unter dem Christbaum werden Lieder gesungen, es wird erzählt, gelacht und in harmonischer Runde beisammen gesessen.
Herzlicher Umgang miteinander Für Familie Schmitt ist es selbstverständlich, dass ihr Gast an allem teilhaben wird. Für Constanza, die sich unheimlich freut, dass es mit ihrem Besuch in Deutschland geklappt hat und sie eine "sehr nette Gastfamilie" gefunden hat, wird es vielleicht ein nicht ganz so fröhliches Fest. "Wahrscheinlich werde ich ein bisschen traurig sein, wenn ich an zuhause denke."
Auf die Frage, was es für Unterschiede in der Mentalität der Menschen beider Länder gibt, überlegt sie ein bisschen und wird fast etwas melancholisch: "In Chile gehen die Menschen viel herzlicher miteinander um."