Hat die Kur eine Zukunft?

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Reichskanzler Otto von Bismarck war zur Kur in Bad Kissingen, das Foto zeigt ihn vor seinem Domizil in der Oberen Saline. Ein Grund für den Aufschwung der Kuren war, dass er eine Sozialgesetzgebung und Krankenkassen eingeführt hat. Foto: Stadtarchiv Bad Kissingen
Reichskanzler Otto von Bismarck war zur Kur in Bad Kissingen, das Foto zeigt ihn vor seinem Domizil in der Oberen Saline. Ein Grund für den Aufschwung der Kuren war, dass er eine Sozialgesetzgebung und Krankenkassen eingeführt hat.  Foto: Stadtarchiv Bad Kissingen
Referent Dr. Fred Kaspar Foto: Thomas Ahnert
Referent Dr. Fred Kaspar  Foto: Thomas Ahnert
 

Fred Kaspar, Kunsthistoriker und Fachmann für Bäderarchitektur, war Referent bei den "Archivgesprächen".

Kurorte werden bis heute kaum als eigenständige urbane Entwicklung mit spezifischen stadtbaugeschichtlichen Erscheinungen wahrgenommen, obwohl sie seit Jahrhunderten und noch bis vor wenigen Jahrzehnten zu den entscheidenden Reisezielen weitester Bevölkerungskreise im Jahreslauf gehörten. Schon ihr auf die anreisenden Besucher ausgerichtetes und zumeist zentral auf die besondere Nutzung abgestimmtes Wirtschaftsleben ließ eigenständige wirtschaftliche, städtebauliche und bauliche Strukturen entstehen, am ehesten vergleichbar mit Wallfahrts- oder Messeorten.
Das war der Ausgangspunkt für den Vortrag, zu dem im Rahmen der "Bad Kissinger Archivgespräche" Kulturreferent Peter Weidisch den Volkskundler und Kunsthistoriker Fred Kaspar, Bauhistoriker beim LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen und Fachmann für die Bäderarchitektur, in den Sitzungssaal des Rathauses eingeladen hatte. Unter dem Thema "Der Kurort - ein profaner Ort geistiger und körperlicher Erneuerung. - Zur Tradition ökologischer und ganzheitlicher Heilmittel" beleuchtete Kaspar die Kur als einen von Anfang an ganzheitlichen Ansatz zur Gesundhaltung bzw. Gesundung und der beschrieb die Veränderungen im Laufe der Jahre. Auch wenn der Vortrag die Entwicklung in ganz Deutschland erläuterte, ging Kaspar auch immer wieder auf die Situation in Bad Kissingen ein.
"Baden", so der Referent "war schon sehr früh ein Synonym für die Nutzung heißer Quellen und hat sich in vielen Ortsnamen niedergeschlagen." Der Namen "Wildbad" weise dagegen auf kalte Quellen hin, "Gesundbrunnen" oder "Heilbrunnen" auf Trinkkuren. Seit dem Mittelalter existiert die Balneologie als praktische Wissenschaft, die sich auf Beobachtungen gründet. Der ganzheitliche Ansatz sei von Anfang an vorhanden gewesen: Menschen aus dem Alltag herausführen, sie geistig entlasten, ihnen körperliche Anregungen zur Selbstheilung vermitteln und das seelische Gleichgewicht wieder herstellen. Der gesellschaftliche Aspekt, das Erleben der Kur in Gemeinschaft, sei dabei genauso wichtig wie der medizinische Aspekt.
Die Kur gehörte bereits im Spätmittelalter zum allgemeinen Jahreslauf - obwohl die Anfänge früher liegen. Bei der Neufassung einer Quelle in Pyrmont 1863 wurden Dankgeschenke aus keltischer Zeit gefunden. Die Sommerfrische außerhalb der engen Städte wurde zum jährlichen Ritual. Es gab sogar Klöster, die ihre Mönche und Nonnen zu einer dreiwöchigen Kur verpflichteten. Auch Bauern unternahmen regelmäßig Kurreisen.
Der Blick in die Kurgeschichte, so Kaspar, erwecke heute den Eindruck, dass das eine Einrichtung für die Oberschicht gewesen sei. Natürlich hat die die meisten Spuren hinterlassen, nicht nur durch die Erfassung in Berichten, sondern auch durch die Errichtung von eigenen Baderesidenzen wie etwa die der Fürstabtei Fulda in Brückenau oder von eigenen Unterkünften wie das Heußleinsche Schloss, die Obere Saline und das Palais Erthal in Kissingen - obwohl das wichtigste Quartier für den kurenden Adel in Kissingen das Schloss Aschach war, wohin das Heilwasser gebracht werden musste. Aber Kuren gab es auch für die Armen. Die Kurorte waren verpflichtet, entsprechende Einrichtungen und Angebote vorzuhalten. Auch in Kissingen, wo die Einnahmen aus der Spielbankpacht für den Betrieb eines Armenkurspitals verwendet wurden.
Bis in das 19.Jahrhundert war die Kur eine private Angelegenheit mit differenzierten Angeboten für alle Klassen. 1748 berichtete der Kurarzt von Kleve von 500 Gesundbrunnen und 180 Bädern in Deutschland. Die meisten der kleinen Einrichtungen werden heute nicht mehr genutzt wie etwa in Wipfeld oder Haßfurt. "1792 haben rund 500.000 Menschen eine Kur gemacht, also über zwei Prozent der Bevölkerung. Das ist keine unrealistische Zahl." 1905 waren es, wenn man die Ostseebäder dazurechnet, bereits acht Prozent. Grund für den Aufschwung war Bismarcks Sozialgesetzgebung und die Einführung von Krankenkassen, die in den Kurorten auch eigene Häuser errichteten. Beschleunigt wurde die Entwicklung noch durch die Rehabilitationskuren für die Versehrten der beiden Weltkriege und allgemeine Präventionsmedizin - und sie hielt an bis 1996, als das Gesundheitsreformgesetz die finanziellen Mittel radikal kürzte.
Auch die stadtplanerischen Auswirkungen und Entwicklungen der Kur konnte Kaspar an Kissingen zeigen. Lange Zeit waren die Kureinrichtungen vor den Städten, der Flanier- und Kommunikationsbetrieb, das Sehen und Gesehen werden, beschränkte sich auf wenige Alleen aus der Stadt hinaus, die Umgebung war landwirtschaftlich genutzt. Das änderte sich erst im 18. Jahrhundert.
Balthasar Neumann war der erste, der 1737 in Kissingen einen Wandelpark im französischen Stil anlegte - den heutigen Kurgarten, der prägend wurde für das Konzept eines Promenadenplatzes. Die Bockleter hatten übrigens ab 1766 den ersten Kurgarten in sechseckiger Form. Als die Kissinger 1821 das Untere Tor abrissen, war auch eine direkte Verbindung zwischen Stadt und Kur möglich. 1827 wurde mit dem Bau einer Ringstraße an der Stelle der alten Stadtmauer begonnen; nach und nach zog sich ein Kranz von Logierhäusern um die Stadt - ein Schritt, den die Baden-Badener erst Jahre später gingen.
Hat die Kur Zukunft? Kaspar behielt seine Skepsis für sich. Aber er wies darauf hin, dass die Kur durch den Rückzug der Privatgäste, die Beschneidungen der Finanzierung und die Verlagerung der Verantwortung ins Private in eine Krise geraten ist, dass nur der Austausch des Namens hin zu Wellness nicht reicht. Zudem sind die Kuren und die ortsgebundenen Heilmittel in das Feuer der Schulmedizin und der Pharmaindustrie geraten, auch Forschung und Lehre sind auf dem Rückzug: "Es war eine argumentative Sackgasse, die Kur auf Reha zu reduzieren. Das Problem ist, dass die Einrichtungen immer weniger als Bestandteil der Gesundheitsvorsorge, sondern immer mehr als überflüssiger Ballast gesehen werden." Dabei lägen doch Nachhaltigkeit und natürliche Heilmittel im Mainstream. Kapsars Schlussappell: "Noch existieren das Wissen und die Infrastruktur. Reden Sie davon! Vermitteln Sie es!"