Die Bundeswehr steht zum 1. Januar 2016 wieder einmal vor einem denkwürdigen Wandel. Diesmal ist es aber nicht die sicherheitspolitische Weltlage, die Veränderungen mit sich bringt, sondern das Arbeitsrecht.
Der Beruf des Soldaten unterscheidet sich auf ganz eigene Weise von jedem anderen Beruf. Ein Soldat muss sich in eine durchgegliederte Hierarchie und Befehlskette einfügen und im Ernstfall auch mit dem eigenen Leben für sein Land einstehen. Doch zum 1. Januar 2016 gleicht sich der Beruf des Soldaten zumindest in einem Aspekt der zivilen Berufswelt an: Es gibt nun auch bei der Bundeswehr eine Arbeitszeitregelung.
Bislang standen Soldaten praktisch ohne zeitliche Einschränkung zur Verfügung. Bis zu 46 Stunden Rahmendienstzeit pro Woche einschließlich Pausen waren ohne Ausgleichsanspruch möglich. Erst darüber hinaus kam eine Kompensation für die Dienstzeit in Betracht. Ab 1. Januar gilt nun im Grundbetrieb die 41-Stunden-Woche.
Ausnahmen sind vor allem bei Einsätzen und speziellen Übungen möglich.
Die wöchentliche Höchstarbeitszeit soll im Jahresdurchschnitt dennoch nicht 48 Stunden überschreiten.
Die neue Regelung führt noch einmal vor Augen, welch hohes Gut Zeit sei, meinte Oberst Axel Grunewald bei einem Empfang vor Weihnachten. Zu den Auswirkungen auf den Lehrbetrieb sagte der stellvertretender Kommandeur des Ausbildungszentrums Infanterie nur: "Wir werden sehen."
Doch Veränderungen machen sich schon jetzt bemerkbar. "Durch weitere flankierende Maßnahmen soll ein möglichst reibungsloser Übergang in den neuen Umgang mit der Ressource Zeit gewährleistet werden", heißt es auf der Internetseite der Bundeswehr. Sie nennt "die allgemeine Reduzierung militärischer Wachleistungen im Inland" als Beispiel.
Und tatsächlich stehen seit etwa einem halben Jahr keine oliv-grün Uniformierten mehr am Tor der Saaleck Kaserne.
Ein Sicherheitsdienstleister hat den Wachschutz und die Zugangskontrolle übernommen.
Pilotprojekt mit Offizieranwärtern
Die Offizieranwärter waren auf dem Hammelburger Lagerberg eine der ersten Gruppen, die in den Genuss der neuen Arbeitszeitregelung kamen. Ihr sechsmonatiger Vorbereitungslehrgang fand als Pilotprojekt schon in diesem Jahr unter den neuen gesetzlichen Vorgaben statt. Um das Zeitlimit einzuhalten, wurden unter anderem Inhalte gestrichen und gestrafft.
Die neue Arbeitszeitregelung soll die Bundeswehr attraktiver machen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Sie hat eine lange Vorgeschichte, die 2003 mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie begann. Diese legt für Arbeitnehmer in EU-Ländern rechtliche Mindeststandards fest.
Im Bundesverteidigungsministerium dominierte allerdings die Auffassung, dass Soldaten nicht als Arbeitnehmer zu sehen sind, weil sie in einem speziellen Pflicht- und Dienstverhältnis stehen. Doch nach der Rechtsprechung der folgenden Jahre ließ sich diese Meinung nicht mehr halten.
Im Jahr 2013 legt dann das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG eine, seitdem immer wieder angeführte, Studie über die Dienstzeiten in der Bundeswehr und mögliche Ausgleichsmodelle vor. "Die befragten Soldaten leisten im Durchschnitt über alle militärischen Organisationsbereiche hinweg zwischen Montag und Sonntag 48,2 Stunden Dienst. Dieser enthält eine zeitliche Mehrbelastung (Überstunden) in einer durchschnittlichen Höhe von 4,3 Stunden pro Woche", heißt es in der Zusammenfassung. Die Studie kam außerdem zu dem Ergebnis, dass die Arbeitszeitrichtlinie auch auf Soldaten anzuwenden ist.
Im Jahr 2014 folgte dann ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung, um das Soldatengesetz anzupassen.
Mit offiziellen Kommentaren halten sich die Verantwortlichen auf dem Lagerberg zurück. Alle wollen erst einmal abwarten, wie die neue Regelung funktioniert. Wer in den vergangenen Wochen mit Bundeswehrangehörigen gesprochen hat, konnte jedoch Skepsis spüren. Die reichte offenbar bis zu den unteren Soldatenrängen, wie von einem Offizier zu erfahren war.
Denn viele sehen kaum Spielraum, Mehrarbeit durch Freizeit auszugleichen. So sind die Ausbilder während des Vorbereitungslehrgangs für die Offizieranwärter schon einmal für sechs Monate eingebunden. Der zustehende Urlaub verengt das zeitliche Fenster weiter. Dazu kommt der Verwaltungsaufwand für Dokumentation und Zeiterfassung.
Ausgleich der Überstunden durch Geld fällt jetzt weitgehend weg. Damit wird - bei einem manchmal engen Personalbestand - für die Bundeswehr Zeit zur einzigen, alles bestimmenden Ressource.