Liebe zum Dramatischen

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Iveta Apkalna
Iveta Apkalna
Foto: Gerhild Ahnert

Wandelkonzert in der Herz-Jesu-Stadtpfarrkirche mit der lettischen Organistin Iveta Apkalna an der Schuke-Orgel.

Im Gegensatz zu Dirigentinnen, die sich in der internationalen Szene einen Namen gemacht haben, sind Konzertorganistinnen auf diesem Niveau immer noch eine Größe mit Seltenheitswert. Das war der eine Grund der Neugier und des guten Besuches im ersten Wandelkonzert in der Herz-Jesu-Stadtpfarrkirche. Zum anderen wird man auch nicht so ohne weiteres Titularorganistin an der Hamburger Elbphilharmonie. Titularorganist ist, wenn man Wikipedia glauben darf, ein Ehrentitel, der einem Organisten aufgrund seiner großen Virtuosität von einer überregional bedeutenden Kirche oder einer Stadt mit einer herausragenden Orgel verliehen wird. Oder neuerdings auch einer Organistin. Zwei Gründe also, sich die lettische Organistin Iveta Apkalna an der Schuke-Orgel in Bad Kissingen anzuhören. Zwei gute Gründe.

Iveta Apkalna ist eine Musikerin, für die die Orgel nicht nur - wie man so gerne sagt und schreibt - ein guter Freund ist, sondern auch ein Arbeitstier, das da ist, um Belastungen auszuhalten, das man auch mal wohlkalkuliert an seine Grenzen treiben darf, dass der Staub aufgewirbelt wird. Was das meint, zeigte sie beispielsweise bei Johann Sebastian Bachs "Ricercar a 6" aus dem "Musicalischen Opfer" über das berühmte "königliche Thema", das ihm der Preußenkönig Friedrich II. als Grundlage für eine Fuge gestellt haben soll. Aber vermutlich hat ihm sein eigener Sohn Carl Philipp Emanuel, damals Hofmusikus in Potsdam, dieses Themen-Ei ins Nest gelegt. Denn Friedrich hätte nie so eine komplizierte Idee gehabt. Das Ricercar fassen die Organisten in der Registrierung gerne mit Samthandschuhen an, um die fragile Durchhörbarkeit nicht zu gefährden. Iveta Apkalna langte hin, steigerte die Musik zu klangprächtiger Fülle und nahm ihr die Distanz. Und das Thema war trotzdem immer gut zu hören. Auch die sechs "Schübler-Choräle" BWV 645-650 in ihrer komplexen Fassung waren nicht klanglich ausgedünnt registriert, um die Drei- beziehungsweise noch kompliziertere Vierstimmigkeit deutlicher zu hören, sondern Iveta Apkalna setzte auf den Gesamtklang, die Gesamtwirkung. Wer den Cantus firmus hören wollte, konnte ihn sich trotzdem leicht heraussuchen. Nicht uninteressant. Die Liebe zum Dramatischen hatte sich schon bei dem einleitenden Werk gezeigt: dem Orgelsolo aus Janáceks "Glagolitischer Messe". Da entwickelte die Schuke-Orgel eine starke romantische Kraft, ohne diese ins Brutale zu wenden.

Bei zwei Werken schaltete Iveta Apkalna ein, zwei Gänge zurück: bei Mozarts "Maurerischer Trauermusik" in der Orgelbearbeitung von Heribert Breuer, deren introvertierten Charakter sie mit viel Feingefühl artikulierte. Und bei dem "Gebet" ihres lettischen Landsmannes Aivars Kalejs. Das ist ein einsätziges Werk, das sie seit seiner "Geburt" kennt. Denn sie spielte 2018 die Uraufführung in der Elbphilharmonie. Das ist eine Musik, die sich aus meditativen Klangflächen in einen klagenden Choral erhebt und wieder verschwindet - ein hochemotionales Orgelstück.

Der Abschluss war perfekt gewählt: Franz Liszts Präludium und Fuge über B-A-C-H. Da versuchte Iveta Apkalna gar nicht erst, Liszt zu Bach zurückzuholen, sondern Bach zu Liszt, in dessen romantische Klangwelt und in eine ganz starke dynamische und agogische Gestaltung, wobei sie die Fuge mit einem unglaublichen Vortrieb und enormer Virtuosität spielte, ohne sich und die Orgel zu schonen. Da merkte man plötzlich, dass auch so traditionelle barocke Formen wie Präludium und Fuge nicht zwangsläufig etwas mit Verkopfung zu tun haben müssen, sondern dass man sie zu Musik machen kann, deren Kraft auch heute wirkt.