Nein, die Hammelburger Geschichte müsse nicht neu geschrieben werden, machte Dieter Vogler in seinem fundierten Fachvortrag deutlich. Der ansässige "Förderkreis Stadtmuseum und Denkmalpflege" hatte Interessierte in die Markthalle eingeladen. Vorsitzende Christiane Schmid begrüßte einen vollen Saal.
Auslöser für die Frage, ob jene Schenkungs-Urkunde Karls des Großen vom 7. Januar 777 noch weiterhin als das bislang älteste Hammelburger Schriftstück anzusehen sei, war der Hinweis von Prof. Dr. Hans Reinhard Seeliger auf ein weiteres Schriftstück, das er auf den 8. Oktober 776 datierte. Der Tübinger Universitätsprofessor hatte anlässlich seines Besuches mit seiner elitären "Gesellschaft für die Geschichte des Weines" zur Herbsttagung mit seiner Meldung über jene Marktbeschreibung Hammelburgs "aus dem Jahre 776" heuer im September für Wirbel gesorgt.
"Der Professor irrt", machte Vogler jetzt deutlich. Akribisch war der historisch ambitionierte Hobbyforscher der Sache auf den Grund gegangen. Vogler ließ in den vergangenen Wochen alle verfügbaren geschichtlichen Quellen reichlich sprudeln und scheute auch vor dem Besuch von Staatsarchiven nicht zurück.
Städte- und Dorfchroniken, Hinweise aus verschiedenen Klöstern, Heimatblätter und Veröffentlichungen wie zum Beispiel des verstorbenen Kreisheimatpflegers Franz Warmuth lieferten Vogler die entscheidenden Hinweise, dass das Datum der angeblich aus dem Jahre 776 stammenden Urkunde nicht stimmen könne. "Der Professor irrt", wiederholte Vogler überzeugt.
Erleichtert reagierten die Zuhörer am Freitagabend auf diese Mitteilung. "Es wäre doch schade gewesen, wenn die Schnapszahl 777 durch diesen Professor verdrängt worden wäre", freute sich Johannes Deinlein im Publikum. Zuhörer Friedrich Schäfer bewunderte Voglers fundierten Vortrag, der gewissenhafte Recherchegründlichkeit und emotionale Gelassenheit ausgestrahlt habe.
"Offensichtlich hat es der Professor im September eher auf die Werbung für seinen Verein abgezielt und wollte sich mit der Jahreszahl 776 ins Gespräch bringen", vermutete Schäfer und fügte an: "Das ist durchaus legitim, aber wir fallen nicht darauf rein". "Ich bin von Voglers Vortrag restlos begeistert", bestätigte Otmar Pfister, der geschichtsinteressierte Altbürgermeister aus Elfershausen, der regelmäßig auf der Trimburg historische Führungen hält.
"Im Namen unserer Stadt werde ich Professor Seeliger demnächst anschreiben", nahm sich Hammelburgs Museumsleiterin Elfriede Böck vor. "Uns interessiert seine Argumentation, wie er zu seiner Behauptung 776 kommt", so Böck. "Ich habe dem Professor schon einen drei Seiten langen Brief geschrieben", bestätigte Vogler.
Seeliger habe ihm geantwortet, es mache keinen Unterschied aus, ob es sich bei der Marktbeschreibung um ein Original oder um eine Abschrift handle. Zunächst sei die beschreibende Vermessung 776 mit Angabe des Königsgutbesitzes erfolgt, danach erst im Jahre 777 die Urkunde der Schenkung, habe der Professor behauptet. Nein, umgekehrt sei es der Fall, so Voglers Nachforschungen.
Fasziniert waren die Zuhörer, als sie die meisten der 31 in der Marktbeschreibung genannten Grenzpunkte auf der Landkarte nachverfolgen konnten. Südlich des Kreuzberges ging die Grenzgemarkung für den frühmittelalterlichen Königsgutbesitz "Hamulo" bzw. "Hamalunburg" über heute noch bekannte Orts- und Geländepunkte: So zum Beispiel über den Ofenthaler Berg und durch die Mitte von Westheim.
Aber auch Eidenstein, Trettstein, Waizenbach, Hurzfurt (bei Gräfendorf) und die Schondra tauchten in der Aufzählung auf.
Schenkungen im frühen Mittelalter waren keine bloßen Wohltaten. Was in diesen Gebieten erwirtschaftet wurde, ging vermutlich zu einem Drittel an die zugehörige Obrigkeit als Abgabe. In der vorgenannten Marktbeschreibung spielt übrigens das Thema Wein nur eine untergeordnete Rolle. Ist doch hauptsächlich von Wäldern, Weiden und Wiesen der Ländereien sowie von der Untertanenanzahl in solchen Urkunden die Rede.
Erschwerend für die genaue Bestimmung der Jahreszahl ist die urkundliche Angabe "Im dritten Königsjahr von Karl" in der Marktbeschreibung. Denn nacheinander hatte dieser 800 zum Kaiser gekrönte Karl verschiedene Königstitel über eroberte Gebiete in aufeinander folgenden Jahren erworben, bevor er die Hammelburger Marktbeschreibung unterzeichnete.
Vogler geht also davon aus, dass es sich bei diesem Dokument höchstwahrscheinlich um den 8. Oktober 777 handelt.
Längst vom Tisch sei jenes Dokument, das ein Mönch Eberhard in dessen Codex veröffentlicht haben soll, so Vogler. Dabei habe es sich um eine Abschrift mit Datum 28. Dezember 770 gehandelt, das Münnerstadt als älteste fränkische Weinstadt ausgewiesen haben soll, so Vogler. Ein solches Schriftstück sei nicht mehr vorhanden.
Bislang bestand die These, die Schenkungsurkunde Karls des Großen vom Januar 777 sei das älteste Schriftstück, in dem Hammelburg erwähnt wird. Was ist daran so schlimm, dass nun ein Uniprofessor ein älteres Schriftdokument gefunden hat, das vom Oktober 776 datiert und die "Marktgemeinde Hammelburg" beschreibt? Dann ist jenes Schriftstück aus dem Jahr 776 nun das älteste Dokument, das bislang über Hammelburg gefunden wurde. Warum wird diese neue Erkenntnis vom Museumsverein nicht respektiert? Die historische Forschung bleibt nicht stehen und geht weiter. Neue Dokumente älteren Datums, die Hammelburg beschreiben, dürfen gefunden werden. Die Zahl 777 hört sich sicher schöner an und ist leichter zu merken, kann aber nicht der Grund sein, neue Erkenntnisse der historischen Wissenschaft nicht zu respektieren. Es ist doch äußerst interessant, dass eine neue und ältere Urkunde (sie ist ja nur wenige Monate älter) gefunden wurde und was da alles drinnen steht: dass zu Hammelburg Wälder, Wiesen und Weiden gehörten, so wie das ja heute auch noch der Fall ist. Oder besteht die Landschaft Hammelburgs nur aus Weinbergen? Die Urkunde aus dem Jahr 776 stellt eine bedeutsame ergänzende Urkunde zur Schenkungsurkunde Karls des Großen dar und ist von sehr großem Interesse.