Gewalt gegen Rettungskräfte: Bad Kissinger Einsatzleiter zieht Bilanz

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Immer freundlich: Thomas Weber und Rudolf Baier (hinten) vom Roten Kreuz in Bad Kissingen. Foto: Anja Greiner
Immer freundlich: Thomas Weber und Rudolf Baier (hinten) vom Roten Kreuz in Bad Kissingen. Foto: Anja Greiner

Welche Erfahrungen die Helfer beim Roten Kreuz in Bad Kissingen mit gewaltätigen Übergriffen gemacht haben und wo die wahren Probleme liegen.

Wenn Thomas Weber als Rettungsassistent in ein Haus kommt, merkt er sich unterbewusst einen Fluchtweg. Er weiß dann wo der Lichtschalter war, und durch welche Tür er wieder zurück kann. Auf dem Tisch rückt er schon mal Gegenstände beiseite, die möglicherweise als Waffe dienen könnten. Oberstes Gebot: Vorsicht. So lernt man es auch in Deeskalationskursen, die Rettungskräfte in jüngster Zeit häufiger besuchen.


Laut einer Studie des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), wurden im vergangenen Jahr in 180 Fällen Rettungskräfte verbal oder körperlich angegangen - die Dunkelziffer liege deutlich höher. Was passiert also? Sinkt wirklich nur die Hemmschwelle, wie oft proklamiert, oder steigen auch die Einsatzzahlen, und werden vielleicht mehr Angriffe gemeldet? In einem kleinen Büro im ersten Stock der Rettungswache in Bad Kissingen versucht Rudolf Baier, Einsatzleiter des Rettungsdienstes, Antworten auf diese Fragen zu finden.

Rudolf Baier, ist 48 Jahre alt, seit über 30 Jahren im Rettungsdienst tätig und spricht von Einsatzmittel wenn er den Rettungswagen und die dazugehörige Besatzung meint.


Mit Freundlichkeit und Geduld

Er sagt: "Die Gewalt ist eigentlich nicht unser Problem." 80 hauptamtliche Mitarbeiter hat der Rettungsdienst im Landkreis, dazu kommen 30 bis 40 ehrenamtliche. 24800 Einsätze hatten sie 2015, einmal, bei einem Einsatz vor einer Diskothek am Jahresende, wurde ein Kollege ins Gesicht geschlagen.

Ein Schock sicher, sagt Baier. Aber auch ein Einzelfall. Dokumentiert hat Baier den Fall in einem zentralen Melderegister des BRK, Ende 2015 erstmals angelegten, erfasst wird alles - vom verbalen bis zum tätlichen Angriff. Ziel sei vor allem, die Dunkelziffer aufzuhellen, sagt Baier.

Manchmal werden sie beleidigt, manchmal angespuckt, manchmal angerempelt - meist sind dann Alkohol und Drogen im Spiel, meist sind es junge Männer, mal mit mal ohne Migrationshintergrund. "Die meisten können nichts dafür." Alkohol und Drogen eben. So sieht Thomas Weber das.

Thomas Weber ist 49 Jahre alt, gelernter Konditor und seit 15 Jahren hauptamtlich beim BRK. In einer möglicherweise brenzligen Situation am Einsatzort fängt er ein lockeres Gespräch an. Hat sein Gegenüber eine klaffende Wunde am Kopf, und will auch auf die sechste Nachfrage hin nicht in den Krankenwagen steigen, dann stellt Weber ein Ultimatum: Sie können jetzt in Ruhe mit mir gehen, oder ich rufe die Polizei. 95 Prozent steigen dann ein.

Alkoholisierte Jugendliche sind nicht der Regeleinsatz. Das sind Schlaganfall, Herzinfarkt, Treppensturz - dementsprechend ist die gängigste verbal Attacke am Einsatzort: "Warum hat das denn so lange gedauert?"

Wann verliert man den Spaß an diesem Job? "Nie." Denn: "Auch mit einer 90-Jährigen die gestürzt ist kann man eine gute Unterhaltung haben", sagt Weber. Wenn eine ältere Dame nach ihrem Sturz moniert, warum das ausgerechnet jetzt passieren musste, dann zuckt Weber mit den Schultern und lächelt aufmuntert: Was passiert ist, ist passiert, sagt er dann. Jetzt müssen wir das beste daraus machen. Und wenn ihm ein paar Wochen später jemand über die komplette Fußgängerzone zuruft: "Hallo Herr Weber, es ist alles wieder gut, wie geht es Ihnen?", dann, sagt Weber, weiß man, dass man etwas richtig gemacht hat.

2800 Einsätze hatten die Rettungskräfte im Landkreis 2015 mehr als noch 2014. Auch hier sinkt, wenn man so will, die Hemmschwelle. Da wird auch mal der Rettungsdienst gerufen ohne wirklichen Notfall und Thomas Weber erklärt nachts um vier einer alleinstehenden Dame, den Einsatz-Rucksack auf der Schulter, das Einsatzfahrzeug vor der Tür, dass gegen Halsschmerzen und Heiserkeit auch eine Tasse Milch mit Honig hilft. Trotzdem sagt er: "Lieber einmal zu viel angerufen, als einmal zu wenig."

Attacken, verbal wie körperlich, sind nicht die Regel, dennoch spricht Rudolf Baier von einem "gewissen Maß an Respektlosigkeit": Manchmal bekommen sie Anrufe, wenn der Rettungswagen in zweiter Reihe parkt - "sollen wir den Patienten noch Meter weit durch den Regen tragen?" - oder wenn um 13 Uhr der Krankenwagen mit Martinshorn durch das Kurgebiet gefahren ist. Beschwerdegrund: gestörte Mittagsruhe.

Die Wunschliste eines Rettungsassistenten ist kurz: Gut sichtbare, beleuchtete Hausnummern, freie Zufahrtswege, eine Rettungsgasse.

Ärgert man sich wenn die Zufahrt versperrt ist? "Natürlich, wir sind ja auch nur Menschen", sagt Baier. Erinnert man sich an die Beleidigungen? "Nein", sagt Weber, "das vergisst man". Pause. Vor elf Jahren gab es auf der B19 bei Münnerstadt einen Autounfall. Als Weber und Baier an die Unfallstelle kamen, lagen vier Kinder auf der Fahrbahn. Das jüngste war eineinhalb, das älteste sieben Jahre alt. "Wir haben um ihre Leben gekämpft." Und verloren. Alle vier Kinder sind gestorben. Das, sagt Weber, vergisst man nie.