Zum Gedenktag der Deutschen aus Russland erzählt eine Familie aus Kasachstan, warum Bildung gleich Integration bedeutet und was ein Schweinsbraten damit zu tun hat.
Im Hintergrund spricht Merkel über Griechenland. Mal wieder oder immer noch - keiner weiß das mehr so genau. In der Küche läuft "ntv" auf einem kleinen Flachbildschirm. Vor Viktor Schmidt steht eine Tasse Fencheltee. Ob das "dt" in seinem Namen verrät, was es meistens tut? Klar, der 53-Jährige ist evangelisch. Und ein "Deutscher aus Russland". Seine Frau Olga geht dagegen in die russisch-orthodoxe Kirche.
Das Ehepaar kam mit beiden Kindern vor 18 Jahren aus dem Osten Kasachstans nach Deutschland. Heimkehr oder Flucht? Das ist heute nicht mehr wichtig für die Familie.
Seine Oma und sein Opa haben einen "schlimmen schwäbischen Dialekt" gesprochen, erzählt Viktor Schmidt. Vor 200 Jahren sind seine Vorfahren aus Hessen ausgewandert. Seine Ahnen hatten viel durchlebt. Viktor Schmidt ist aufgewachsen in einer Stadt mit 300 000 Einwohnern.
Ust'-Kamenogorsk in Ostkasachstan ist seine erste Heimat. Deutschland seine zweite. Er hat sich nicht als Einheimischer gefühlt dort, wo er geboren wurde, studiert und eine Familie gegründet hat. Dann also dahin, wo die Wurzeln seiner Familie liegen.
Diskriminierung in Heimat
Drei Jahre hat Viktor Schmidt auf einen Bescheid gewartet, den er, seine Ehefrau und die beiden Kinder für die Einreise nach Deutschland gebraucht
haben. Die Familie ging freiwillig. "Das war damals die gleiche Geschichte wie heute auf der Krim", sagt der 53-Jährige. 1992 nach dem Zerfall der Sowjetunion ging alles los: Nach und nach wurden die "Nichteinheimischen" aus den guten Positionen gedrängt, erzählt er. "In unserer Stadt", sagt Viktor Schmidt, "sind die Kasachen in der Minderheit und besetzen trotzdem die meisten hohen Positionen."
Olga Schmidt kommt gerade zurück aus Kasachstan.
Sie hat ein paar Tage bei ihren Eltern verbracht. "Ich war so froh, nach Hause zu fliegen in mein kleines, süßes Bad Kissingen", sagt sie und strahlt. Heimweh hat sie nicht. Nicht mehr. "Das erste halbe Jahr habe ich nur geweint." Sie hat "Mama und Papa zurückgelassen", die ihre Enkel so schnell erstmal nicht mehr sehen würden. Dann hatte die heute 50-Jährige angefangen Deutsch zu lernen und sich einen Job gesucht. "Das geht nur, wenn man will", sagt sie.
Olga Schmidt wollte. Ihr Mann auch. Er fand nach einem Jahr eine Stelle als Sozialarbeiter. Heute ist er als gesetzlicher Betreuer für Menschen verantwortlich, die nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben selbst zu regeln. "Die Leute sehen, wenn du fleißig bist", sagt er.
"Die Sprache und die Bildung, das sind die wichtigsten Punkte. Und ob die Familie intakt ist", sagt Olga Knaub.
Sie leitet ein bayernweites Projekt für junge Migranten, getragen von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und gefördert vom Integrationsministerium. "Der Wille muss da sein, aber auch die Chance."
"Wenn du etwas erreichen willst, musst du die Sprache können", sagt Olga Schmidt. Ihre Kinder haben diesen Leitsatz ernst genommen. Die 50-Jährige habe inzwischen verlernt, russisch zu schreiben. Die Sprache will sie aber bewahren.
Dennoch: "Deutsch ist meine Welt", sagt sie. Deshalb kommt bei Familie Schmidt neben klassischem, russischem Eintopf auch klassischer, deutscher Schweinsbraten auf den Tisch.