Europäische Versandapotheken können die Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneien umgehen. Apotheker aus der Rhön befürchten einen ruinösen Preiskampf.
Sebastian Heck hat vor zwei Jahren die Marienapotheke in Burkardroth übernommen. Für mehr als 10 000 Menschen in der Marktgemeinde und angrenzenden Kommunen ist sie die am nächsten gelegene Möglichkeit, um sich mit Medikamenten zu versorgen. Wer aus dem Einzugsgebiet ein rezeptpflichtiges Arzneimittel vom Arzt verschrieben bekommt, kriegt es bei Heck spätestens am nächsten Tag. Dass es eine Apotheke vor Ort gibt, sei den Kunden wichtig. "Wir haben hier Patienten, die wir seit Jahren kennen", berichtet der Inhaber.
Grundsätzlich haben die Patienten seit zwölf Jahren die Möglichkeit, sich ihre Medikamente bei Versandapotheken im Internet zu bestellen. Die Onlinekonkurrenz macht den Landapotheken zwar das Leben schwer, Heck hat sie bislang allerdings nicht als existenzgefährdend gesehen. "Im nichtverschreibungspflichtigen Sektor haben wir schon lange die Konkurrenz. Da können wir preislich nicht mithalten. Der Bereich spielt für mich aber nicht die große Rolle", sagt er. Apotheker vor Ort erwirtschaften in der Regel 70 bis 80 Prozent ihres Umsatzes mit rezeptpflichtigen Medikamenten. Der Handel damit hat bei Versandapotheken bisher kaum eine Rolle gespielt.
Das könnte sich jetzt jedoch ändern. Apotheker vor Ort befürchten einen ruinösen Preiswettkampf mit großen europäischen Onlineanbietern wie Doc Morris. Hintergrund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Oktober. Die Richter sahen in der deutschen Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente ein Wettbewerbshindernis und erklärten sie für unzulässig. Europäischen Versandapotheken ist es somit gestattet, die Preisbindung zu umgehen. Sie können Rabatte anbieten, während deutsche Apotheker sich an die festgelegten Preise zu halten haben. "Das Urteil war für mich überraschend", sagt der Burkardrother Apotheker. "Da können für uns extreme Umsatzeinbußen drinnen sein." Deutsche Apotheken würden benachteiligt, die Situation sei nicht tragbar. Heck hat sich bereits in einem Brief an die Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar (SPD) gewandt. "Die Politik muss handeln", findet er.
Solidarsystem gefährdet
Das Stimmungsbild bei anderen Apothekern im Landkreis ist ähnlich. "Ich schätze das Urteil als Gefährdung für unser Apothekensystem ein", sagt Doris Eisenmann, Inhaberin der Brunnen-Apotheke in Bad Bocklet. Es handle sich um ein Solidarsystem, das jetzt umgangen werde. Die Krankenkassen seien gefordert, es durchzusetzen, dass sich europäische Versandapotheken an den in Deutschland geltenden Arzneimittel-Rahmenvertrag und damit an das Preissystem halten.
Der bayerische Apothekerverband (BAV) fordert, den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten wieder zu verbieten. Während Landapotheken wichtige aber unrentable Gemeinwohlaufgaben erfüllen, würden die Versandapotheken Rosinenpickerei betreiben. Der Verband fürchtet einen "ruinösen Verdrängungswettkampf", von dem er vor allem kleine Apotheken auf dem Land bedroht sieht. Der BAV weist darauf hin, dass Apotheken aus unterschiedlichen Gründen schon jetzt zu kämpfen haben. Bayernweit gingen jedes Jahr rund 33 Apotheken verloren, heißt es.
MdB Sabine Dittmar hält das geforderte Verbot aus verfassungs- und europarechtlichen Gründen für wenig aussichtsreich . Stattdessen sollen die Honorare weiterentwickelt werden, um die Apotheken vor Ort finanziell zu stärken.
Heck hat Zweifel, ob das ausreicht. "Mögliche Umsatzeinbußen können nicht an anderer Stelle kompensiert werden", sagt er. Eine Apotheke brauche das Geschäft mit den rezeptpflichtigen Medikamenten, um Gemeinwohlaufgaben mitzufinanzieren, wie die Vorratshaltung von Arzneien zur Akutversorgung, die Abgabe von Betäubungsmitteln, den Nacht- und Notdienst, die Beratung und die Herstellung individueller Rezepturen. Noch gebe es auf dem Land keine Versorgungslücke. Heck befürchtet aber, dass in Zukunft mehr kleine Apotheken schließen und Arbeitsplätze wegfallen. "Dann ist die Versorgungslücke da", sagt er.
Immer weniger Apotheken in Bayern
Apotheken In Bayern gibt es 3215 Apotheken, 2009 waren es 3447. In Unterfranken sind seitdem 21 Apotheken verloren gegangen, heute bestehen 339. Im Landkreis Bad Kissingen gibt es 26 (2009: 27).
Honorar Ein Apotheker erhält 8,35 Euro pro rezeptpflichtige Packung, plus drei Prozent vom Einkaufspreis.
Versandhandel Von mehr als 20 000 Apotheken in Deutschland sind 3000 zum Versandhandel zugelassen, 150 sind aktiv. Seit 2004 ist der Versandhandel sowohl mit apothekenpflichtigen als auch verschreibungspflichtigen Medikamenten gestattet. Der Anteil von rezeptpflichtigen Arzneien am Versandhandel lag bisher bei zwei Prozent.