"Es gibt einen kulturpolitischen Diskussionsbedarf"

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Oberbürgermeister Dirk Vogel macht sich seine Gedanken über die Zukunft des Kissinger Sommers. Foto: Siegfried Farkas Foto: Siegfried Farkas
Oberbürgermeister Dirk Vogel macht sich seine Gedanken über die Zukunft des Kissinger Sommers. Foto: Siegfried Farkas Foto: Siegfried Farkas
Oberbürgermeister Dirk Vogel macht sich seine Gedanken über die Zukunft des Kissinger Sommers. Foto: Jan Hemmerich
Oberbürgermeister Dirk Vogel macht sich seine Gedanken über die Zukunft des Kissinger Sommers. Foto: Jan Hemmerich
 

Über die Zukunft des Kissinger Sommers spricht der neue Bad Kissinger Oberbürgermeister Dirk Vogel. Es geht um Konzepte, Planungen, Geld und nicht zuletzt um eine neue Intendanz. Auch Corona spielt eine Rolle.

Eigentlich würde in diesen Tagen der Kissinger Sommer 2020 bereits auf Hochtouren laufen. Aber Corona hat einen gnadenlosen Strich durch die Rechnung gemacht. Das ist allerdings nicht das einzige Problem, das sich dem Festival stellt. Denn der Stadtrat hat - damals noch aus heiterem Himmel - den Werkvertrag mit Intendant Tilman Schlömp, der bis 2021 abgeschlossen war, nicht verlängert. Und damit ist nicht nur das Schicksal des diesjährigen Kissinger Sommers, sondern auch die Zukunft des Festivals im Moment absolut ungewiss. Kein schönes Willkommensgeschenk für den neuen Oberbürgermeister Dirk Vogel - und ein Grund zur Nachfrage.

Herr Dr. Vogel, wie geht's - nach fast zwei Monaten im Amt?

Dirk Vogel: Gut, danke der Nachfrage. Viel zu tun. Aber ich denke, alles in allem haben wir die ersten Schritte gut gemacht, in der Nach-Corona-Zeit unter neuen Bedingungen, und ich hoffe, dass es jetzt erst mal so bleibt.

Hoffentlich nicht überall. Mal etwas provokant gefragt: Die kulturpolitische Situation in der Stadt gleicht, und nicht erst seit Corona, einem relativen Trümmerhaufen, wenn man sich die Ereignisse rund um den Kissinger Sommer anschaut: nicht nur wegen der Absage, sondern weil der Stadtrat wider Erwarten und zum Entsetzen vieler den Werkvertrag mit Intendant Tilman Schlömp nicht verlängert hat. Und das am vorletzten Tag der Wahlperiode.* Wollte da ihr Amtsvorgänger Kay Blankenburg Ihnen die Abwicklung des Kissinger Sommers erleichtern?

Fangen wir mal an: Einen Trümmerhaufen kann ich für mich zunächst mal schlecht messbar machen. Ich sehe aber schon, dass es eine kulturpolitische Diskussion gibt, die aufgeflammt ist. Und ich sehe auch, dass diese Diskussion Energie beinhaltet. Und diese Energie zeigt mir, dass wir nicht zur kulturpolitischen Tagesordnung zurückkehren können, sondern, dass wir sie nutzen müssen. Denn sie zeigt ja auch die Wertschätzung gegenüber dem Festival und gegenüber der Bedeutung von denjenigen, mit denen ich auch in den vergangenen Tagen und Wochen teilweise schon kommuniziert habe. Also, ich denke schon, dass eine Rückkehr zur Tagesordnung an der Stelle nicht angezeigt ist; Trümmerhaufen würde ich es nicht nennen. Ich würde sagen: Es gibt einen kulturpolitischen Diskussionsbedarf.

* Zu dieser Frage erreichte die Redaktion folgende Stellungnahme von Blankenburg: "Der Beschluss datiert vom 11. März 2020, mithin mehr als sieben Wochen vor En de der Wahlperiode."

Sie widersprechen mir also nicht im Grundsatz?

Ja. Es gibt einen Diskussionsbedarf in Bad Kissingen. Ich möchte diese Diskussion nicht abwürgen, sondern sie so führen, dass sie produktiv wird, dass die Energie für Bad Kissingen und den Kissinger Sommer genutzt wird, und nicht, dass sie in gegenseitigen Vorwürfen verschwindet. Deswegen habe ich auch vor, im Herbst ein Symposium durchzuführen unter dem Motto: "Kissinger Sommer, quo vadis?" Das soll über ein paar Tage die unterschiedlichen Akteure zusammenbringen zu offenen Diskussionen über Zielrichtung, Aufgabe, Qualität eines Festivals. Diese Diskussion soll helfen für die kommenden Jahre, für die Programmgestaltung, für die Durchführung, vielleicht auch für das Budget.

Was sind das für Energien, die Sie da sehen?

Unterschiedliche Auffassungen. Ich bin kein Bildungsbürger, ich komme eher aus dem Wirtschaftsbürgertum. Da sind Bildungsbürger für mich eine neue Erfahrung. Da bin ich ein Stück weit neugierig, weil das nicht mein kultureller Background ist. Aber als Sozialwissenschaftler merke ich sofort, wenn es Konflikte gibt: Wir brauchen das unbedingt, wir brauchen mehr davon, Budget höher, Budget niedriger, wir brauchen Qualität, was heißt Qualität im Kissinger Sommer, wie wird sie messbar? Trotzdem kann ich schon vermuten, was auch zum Teil dahintersteht: Heißt Qualität, dass wir möglichst viele berühmte Künstler haben, dass eine budgetäre Deckung da ist, dass eine Auslastung da ist. Das können wir nicht einfach deckeln angesichts des großen Diskussionsbedarfs. Wir müssen jetzt den Deckel aufmachen, wir müssen die Temperatur regulieren, so dass die Energie in produktiven Bahnen bleibt.

Der Konflikt-Herd wurde ja schon vor Ihrer Zeit angeschürt. Als am 29. April* in einer Ferienausschusssitzung des Stadtrates bekanntgegeben wurde, dass der Intendantenvertrag nicht verlängert wird, war das ja nur das vorläufige Ende einer unschönen Geschichte, in der Vertreter des Managements der Bremer Kammerphilharmonie offenbar eine gewisse Rolle gespielt haben. Liege ich falsch, wenn ich sage, dass deren Auftritt Einfluss auf die Entscheidung der Nichtverlängerung hatte? Wissen Sie, warum Blankenburg so kurz vor Schluss solche Fakten geschaffen hat. Hat er erklärt, warum er den Vertrag von Tilman Schlömp auf keinen Fall verlängern wollte?"

Wir haben uns grundsätzlich über den Kissinger Sommer ausgetauscht. Herr Blankenburg erläuterte mir die Neuausrichtung des Kissinger Sommers, die unter anderem eine Trennung der Aufgaben zwischen dem Dramaturg und dem Intendanten vorsieht.

* Zu dieser Frage erreichte die Redaktion folgende Stellungnahme von Blankenburg: "Am 29. April 2020 hat eine Ferienausschusssitzung nicht stattgefunden. In der Ferienausschusssitzung vom 22. April 2020 wurde der Beschluss über die Nichtverlängerung des Vertrages mit Herrn Dr. Schlömp nicht gefasst sondern bekanntgegeben."

Diese Aufspaltung hätte man schon längst einvernehmlich machen können.

Das kann ich nicht beurteilen. Für mich ist die Ausgangslage: Ich habe am 1. Mai übernommen, da gab es keine Fortsetzung des Werkvertrags, aber konzeptionelle Überlegungen im Hintergrund. Ich habe aber den Eindruck: Das ist nicht ausdiskutiert unter den Akteuren rund um den Kissinger Sommer. Es ist kein grundsätzlicher Widerstand, aber ein Orientierungsbedarf zu erkennen. Und die Orientierung bekommt man nur, wenn man wieder zusammenkommt und wieder die Gemeinsamkeit des Kissinger Sommers erkennt. Aber das muss man herausarbeiten.

Was für Diskussionen erwarten Sie da?

Gesellschaftliche Diskussionen, vielleicht auch musikalische. Musik und Gesellschaft haben auch ihre Überschneidungspunkte. Bad Kissingen muss einfach interessant sein, und da ist dieses Festival natürlich eine tolle Möglichkeit. Da suche ich auch Akteure, die sozusagen die Übersetzung in den kulturpolitischen Kontext hinbekommen, und da kann man sich sicher mal ein paar interessante Sachen herauspicken, wie man ins Gespräch kommt. Kontroverse ist für mich eher Ansporn und Gewürz in der Suppe. Sie sorgt für Emotionen; das ist doch auch die Grundlage für die Attraktivität so eines Festivals.

Der Kissinger Sommer 2021 ist ja mehr oder weniger fertig. Wer organisiert denn den - noch intendantenlosen - Kissinger Sommer 2022?

Der Kissinger Sommer 2022 wird wiederum von einem neuen Intendanten oder neuen Konzept getragen werden. Da sind wir aktuell dabei. Mir wurde von der Fachebene deutlich zu verstehen gegeben, dass die Planungsphase bei etwa eineinhalb Jahren liegt. Bis Ende des Jahres oder Anfang nächsten Jahres müssen wir da stehen, was das anbelangt.

Und wer macht das?

Das wissen wir noch nicht.

Das ist aber nicht ganz unwichtig. Wenn man sich ein bisschen umhört unter den Leuten, die dafür in Frage kämen: Bad Kissingen hat sich schon mit der letzten Berufung nicht mit Ruhm bekleckert. Da kommt niemand freiwillig, der qualifiziert wäre.

Das widerspricht meiner Empirie der ersten paar Wochen, wo ich schon zahlreiche Bewerbungen unter der Hand eingereicht bekommen habe.

Das ist klar. Bewerbungen wird es da jede Menge geben. Denn es strömen jedes Jahr Scharen von frisch ausgebildeten Kulturmanagern aus den Hochschulen, die die Welt gerne neu sortieren würden, ohne sie wirklich zu kennen.

Die Bewerbungen waren schon so, dass es jetzt nicht frische Absolventen waren. Aber wie gesagt: Ich würde mir einfacher tun, vielleicht einen Rechtsamtsleiter am Ende rauszusuchen...

...oder einen Baudirektor.

...oder einen Baudirektor, auch wenn das nicht mein Fach ist. Beim Intendanten würde ich mir eine gewisse Plausibilität über Marketingaspekte zutrauen und über Organisation und Struktur. Über die Kulturkompetenzen - da würde ich nicht unbedingt derjenige sein, der das beurteilen kann. Da muss man sich eben jemanden dazu holen. Aber in den letzten Tagen ist das Interesse gestiegen. Ganz so pessimistisch wie Sie bin ich da nicht. Also ich glaube, wenn wir die Benchmark aufmachen und zum Vergleich fragen: Wie viel geben wir für Kultur aus, nicht nur für den Kissinger Sommer, sind wir - da bin ich mir sicher - sehr weit oben, gemessen an der Einwohnerzahl. Und das wollen wir ja auch so beibehalten. Natürlich ist Kultur eine freiwillige Leistung, die eher unter Druck gerät als Pflichtaufgaben wie Straßen- oder Kanalsanierung. Aber in Bad Kissingen hat niemand das Interesse, auch ich nicht, das Kulturbudget signifikant nach unten zu fahren. Natürlich müssen wir angesichts der derzeitigen Lage auf Sicht fahren, weil wir die künftigen Rahmenbedingungen noch nicht kennen.

Bis wann haben Sie eine neue, möglicherweise zweigeteilte Intendanz?

Wir möchten bis Ende des Jahres, Anfang des nächsten Jahres eine neue Intendanz haben. Ob die dann zweigeteilt ist? Wenn ich das jetzt festlegen würde, dann würde ich den Diskussionsprozess zum Alibiprozess machen.

Aber die Uhr tickt.

Die Uhr tickt, das ist richtig. Aber es gibt verschiedene Vorstellungen im Raum mit dieser Zweiteilung. Ich kann ihr durchaus etwas abgewinnen. Aber ich würde gerne noch die Diskussion im Herbst mit dem Symposium machen und nicht jetzt schon alles festzurren. Aber bis dahin müssen wir auch intern über die Zweiteilung noch mal sprechen, weil sie auch gewisse budgetäre Voraussetzungen hat. Wir haben ja auch in der Staatsbad GmbH enorme Herausforderungen durch den Wegfall der Kurtaxe. Das müssen wir erst mal hinbekommen, dann kann ich erst sehen, wie wir weiterfliegen können, mit wieviel Treibstoff im Tank.

Bisher war noch nichts zumindest öffentlich zu hören, dass die Stadt irgendein kleines Ersatzangebot für den abgesagten Kissinger Sommer plant. Gibt es da keine kreative Gegenwehr?

Wir haben uns schon vor Ihrem Artikel Gedanken gemacht über eine kreative Gegenwehr. Wir sind im Moment schon dran, so eine Gegenwehr zu organisieren auf rechtlich eindeutigem Boden. Wir können keinen "Mini-Kissinger Sommer" machen, denn dann haben wir die anderen Forderungen im Raum. Aber die Marke muss man hochhalten, und das war auch mein Ziel, bevor ich ins Amt gekommen bin. Da dachte ich mir: Man könnte doch mal ein Streaming-Konzert machen. Aber 60.000 Euro für ein Streaming-Konzert erschien uns dann ein bisschen hoch für einen einzigen Schuss. Aber ich bin optimistisch, dass das funktioniert, dass wir die "Blüte der Vergangenheit" mit einer TV-Produktion noch einmal hinbekommen. Wir wollen Ausschnitte der vergangenen Jahre zeigen mit einer Einordnung, um noch mal die Bedeutung des Festivals zu zeigen. Da sind wir in Verhandlungen, ob wir kurze Mitschnitte hinbekommen, die wir dann auch einordnen lassen von Experten und Akteuren.

Und sonst?

Ich bin auch optimistisch, dass es klappt, Konzerte mit dem Brunnen hinzubekommen, dass dort Aufnahmen der vergangenen Jahre mehrfach, nicht nur einmal gezeigt werden - auch als Frequenzbringer fürs Publikum. Auch da verhandeln wir. Acht oder zwölf Mal wollen wir das Ganze machen - natürlich unter Corona-Bedingungen. Wir haben auch im Herbst die LiederWerkstatt und den Kissinger KlavierOlymp. Das sind so Dinge, von denen ich hoffe, dass wir ein bisschen retten können.

Dabei engagiert sich ja auch der Förderverein Kissinger Sommer.

Eben. Mit denen möchte ich auch noch mal sprechen. Wir haben auch schon telefoniert. Aber das ist ja auch toll, dieses Engagement des Vereins, das ist ja eine Riesenressource für die Zukunft. Da müssen wir verhindern, dass die Leute abspringen. Wir müssen wieder zusammenkommen, und wir müssen das ausdiskutieren.