Erinnerung an die Todesgrenze

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Manto Graf zu Castell-Rüdenhausen und Polizeidirektor Thomas Lehmann am Modell der Innerdeutschen Grenze. Fotos: Thomas Mäuser
Manto Graf zu Castell-Rüdenhausen und Polizeidirektor Thomas Lehmann am Modell der Innerdeutschen Grenze. Fotos: Thomas Mäuser
Schautafeln zeigen die damaligen Grenzbefestigungsanlagen.
Schautafeln zeigen die damaligen Grenzbefestigungsanlagen.
 
Wachtürme im "Grenzmuseum" der Bundespolizei.
Wachtürme im "Grenzmuseum" der Bundespolizei.
 

Bei der Bundespolizei erinnert ein kleines "Museum" an die Zeiten der innerdeutschen Grenze und an die Aufgaben des Bundesgrenzschutzes. Zeitzeugen erinnern sich.

Die Räume haben nicht den Anspruch, ein öffentliches Museum zu sein, aber sie sind ein Stück Zeitgeschichte. Sie erlauben einen Blick auf eines der düstersten Kapitel der deutschen Vergangenheit. Einen Blick in eine Zeit, als sich Stacheldraht und Mauer, als sich Selbstschussanlagen und Minen quer durch das geteilte Deutschland zogen.
Und sie sind Teil der Geschichte der Bundespolizei, die aus dem Bundesgrenzschutz (BGS) hervorgegangen ist.

Vor einem Diorama des Grenzstreifens stehen Polizeidirektor Thomas Lehmann und der frühere Polizeihauptkommissar im BGS, Manto Graf zu Castell-Rüdenhausen. Beide haben noch Dienst an der innerdeutschen Grenze geschoben, bis vor 25 Jahren die Mauer fiel.

"Wir hatten damals viele Schulklassen zu Gast, aber das Modell diente auch der taktischen Unterweisung für die Kollegen", sagt zu Castell-Rüdenhausen. Vielen Schaulustigen war damals nicht klar, dass der Pfahl mit dem Emblem der DDR nicht die eigentliche Grenze war, die Pfähle standen einige Meter hinter der Linie", erinnert sich der Polizeihauptkommissar a.D. "Darauf haben wir die Besucher immer wieder hingewiesen. Sich neben der Säule fotografieren zu lassen, war eine Grenzverletzung." Und die hätte böse Folgen haben können. Deshalb gehörte es zu den Aufgaben des BGS, an Wochenenden immer eine Streife patrouillieren zu lassen, um unvorsichtige Zeitgenossen zu warnen.

Minen in Kopfhöhe

"Der Schock bei Schulkindern war groß, wenn wir die Brutalität der Grenze dargestellt haben, nicht reißerisch, aber realistisch", weiß Graf zu Castell-Rüdenhausen. So erfuhren die Besucher des Schauraums sehr wohl, dass es am Grenzzaun Minen gab, die auf Kopf- oder Leibhöhe detonierten, dass sie auf Menschen gerichtet waren, die nichts anderes wollten als die Freiheit. "Die heute 16-Jährigen können sich gar nicht mehr vorstellen, dass es einst zwei deutsche Staaten gab", sagt Thomas Lehmann. In der historischen Kulisse erinnern sich Manto zu Castell-Rüdenhausen und Thomas Lehmann an ihre Dienstzeit an der Grenze. An das mulmige Gefühl bei den Grenzpatrouillen, das erst mit der Zeit einer gewissen Normalität wich. An das Gefühl, dass da drüben der Feind steht. Bei aller Gewöhnung: Die Vorsicht ist stets geblieben. "Wir waren nie alleine, es war immer ein zweiter Mann dabei", sagt Lehmann.

Wie im Spionagethriller

Lebhaft in Erinnerung geblieben ist zu Castell-Rüdenhausen die Rückgabe einer auf Bundesgebiet gelandeten DDR-Wettersonde. Am Übergang Eußenhausen wurde über das "rote Telefon" die andere Seite informiert."Die kamen angelaufen, in der Mitte des Grenzübergangs traf man zusammen, und dabei durfte kein Wort gesprochen, nur militärisch gegrüßt werden." Das war Checkpont Charlie in der Rhön, "wie im Spionagethriller", erinnert sich der Polizeihauptkommissar a.D. Persönlich hat zu Castell-Rüdenhausen keinen Grenzzwischenfall mit tödlichem Ausgang miterleben müssen. Da wäre ohnehin zuerst die Grenzpolizei in Mellrichstadt zuständig gewesen. Doch kurz vor seinem Dienstantritt gab es einen spektakulären Fall in der Rhön.

Einem Flüchtling war durch eine Mine ein Bein weggesprengt worden. Eine Streife aus BGS und Grenzpolizei hörte die Schreie, versuchte vergeblich, die Grenztruppen-Ost aufmerksam zu machen. Schließlich entschloss sich der Streifenführer, selbst rüberzugehen. Mit einem Wagenheber hob er den Grenzzaun an, wagte sich ins Minenfeld und holte den Mann heraus, der sofort in das Mellrichstädter Krankenhaus gebracht wurde - und überlebte. Für die jungen Menschen von heute ein unvorstellbarer Vorgang.

Vielfältiges Berufsbild

Warum hat sich Graf zu Castell-Rüdenhausen damals für eine Laufbahn beim Bundesgrenzschutz entschieden? "Das war ein Polizeiverband, der sehr vielfältig eingesetzt wurde", erwidert er. Die Alltagsaufgabe war die Grenze, aber es gab auch andere Einsätze, zum Beispiel bei den Olympischen Spielen 1972 in München, im Rahmen der Baader-Meinhof-Fahndung, auf Flughäfen.

"Als sich am 9. November 1989 der Eiserne Vorhang in Deutschland hob, war ich fassungslos, aber die Freude hat weit überwogen", sagt zu Castell-Rüdenhausen. "Da hat niemand daran gedacht, dass einem möglicherweise die Arbeitsgrundlage entzogen wird." Und: "Keiner hätte das ein Vierteljahr zuvor für möglich gehalten." Manto von Castell-Rüdenhausen war an diesem Tag auf einem Seminar für Grenzbeamte. "Man hat uns in den Bus gesetzt, an den Übergang Rudolphstein gefahren, und wir sind mit offenen Mündern dagestanden." Das Seminar wurde abgebrochen. "Wir sind Tag und Nacht draußen an der Grenze gewesen", sagt der Polizeihauptkommissar a.D. Schnell haben die Grenzschützer West ihr Gegenüber kennengelernt. Es gab erste, noch konspirative Treffs, bei denen man sich gefragt hat, ob gerade dieser Soldat der Grenztruppen schon mal auf Menschen geschossen hat. "Man wusste ja nichts von denen."

Letzte Streife am 1. Juli 1990

Erst mit Aufhebung des Grenzregimes kehrte so etwas wie Normalität ein. Am 1. Juli 1990 um 10 Uhr wurde der Streifendienst eingestellt. Dann begann sofort der Rückbau der einst so gut wie undurchdringbaren Anlagen. Heute erinnern ein paar einsame Wachtürme an die einstige innerdeutsche Grenze, die die Menschen, die jünger als 30 Jahre sind, nicht mehr bewusst bzw. überhaupt nicht mehr kennengelernt haben. Und es gibt die Räume im Untergeschoss bei der Bundespolizei.

Mit einem Modell des Grenzverlaufs von Hessen bis hinauf nach Coburg, dem Diorama des Todesstreifens, mit den Uniformen der DDR-Grenztruppen, den Warnschildern, mit Waffen und den Schautafeln, die an eine vor 25 Jahren überwundene Eiszeit innerhalb Deutschlands erinnern. Öffentlich zugänglich ist dieser Lehrraum, der letztendlich doch ein kleines, aber feines Museum ist, nicht. "Doch für Schulklassen machen wird auch mal eine Ausnahme", sagt Polizeidirektor Lehmann.