Ein Abend mit ein paar Enttäuschungen

Corona sei's gepfiffen und getrommelt. Eigentlich sollten am Freitagabend das Royal Philharmonic Orchestra London unter Vasily Petrenko und der Cellist Kian Soltani zu hören sein. Aber das Orchester durfte aus England nicht raus und bei uns nicht rein. Doch es ließ sich eine Lösung finden. Die Dresdner Philharmonie sprang dankenswerterweise ein mit dem Gastdirigenten Lionel Bringuier und Kirill Gerstein am Flügel.
War damit also alles gut? Das würde man gerne sagen, aber es würde nicht ganz stimmen. Das Konzert hatte durchaus ein paar enttäuschende Aspekte.
Das Orchester konnte man da außen vor lassen. Die Dresdner Philharmoniker sind ein Orchester, das man immer wieder gut und gerne hören kann: höchst präsent und präzise, mit ausgezeichneten Registern: mit Streichern, die eine tolle Homogenität im Einsatz und in den Klangfärbungen schaffen können, und mit Bläsern, die ihre solistische Stellung wirklich nutzen, die sich nie verstecken. Wie gut Bläser sind, merkt man ja am ehesten bei den Hörnern, und die haben, insbesondere als Quartett bei Brahms, fabelhaft geliefert.
Zu leichtgewichtig
Die eine Enttäuschung kam aus dem Programm. Natürlich war Johannes Brahms" 2. Klavierkonzert nach der Pause ein Versprechen. Aber der erste Teil des Konzerts war vor diesem Hintergrund einfach zu leichtgewichtig mit Gabriel Faurés "Masques et Bergamasques" - ein Titel, der geheimnisvoll klingt, der aber so nicht eingelöst wird. Fauré hat selbst festgestellt, dass er sich für diese Ballettmusik nicht allzu viel Mühe gegeben hat, sondern vier bereits vorhandene Sätze orchestrierend bearbeitet und zu einer barocken Suite mit Ziel auf die Commedia dell'arte zusammengestellt - also Vergangenheit pur.
Was Fauré damit wollte, das zu erklären, dauert zu lange. Dazu ist die Musik zu kurz. Aber auch wieder zu lang. Denn sie ergeht sich in ständigen Wiederholungen. Und am Schluss klang sie mal kurz wie die Titelmelodie des Sandmännchens (Ost). Dafür hätte man die Dresdner nicht gebraucht.
Etwas besser war das schon bei der zweiten Ballettmusik, "Le Festin de l'araignée" ("Das Festmahl der Spinne") von Albert Roussel. Man kann das Libretto für eine Insektenschmonzette halten - das Ballett ist ja auch im Gegensatz zu der Musik sehr schnell wieder auf Tauchstation gegangen. Aber im Gegensatz zu Fauré konnte Roussel an einem nachvollziehbaren Programm entlangkomponieren, und er war ein ausgezeichneter Instrumentator mit einem guten Gespür für überraschende Klänge und Strukturen.
An der Oberfläche
Aber man hätte das noch deutlicher merken können, wenn Lionel Bringuier mit diesen Strukturen gearbeitet hätte, wenn er sie herausgestellt hätte. Da hätte er nicht nur mehr Spannung, sondern durchaus auch Emotionalität entwickeln können. So war die Musik durchaus unterhaltsam, blieb aber an der Oberfläche: "L'art pour l'art" nennen das nicht nur die Franzosen. "Kunst um ihrer selbst willen". Man wartete also auf Brahms und sein 2. Klavierkonzert.
Das Ergebnis des Wartens: So laut hat man das Konzert wohl noch nie gehört. Diesen Verdienst konnten sich Kirill Gerstein und Lionel Bringuier teilen. Bei beiden vermisste man das, was man eine lesbare Handschrift nennen könnte. Gerstein erwies sich als entschiedener Verfechter der alten (und eigentlich überholten) russischen Schule, auch wenn er sein Studium in den Vereinigten Staaten beendet hat: so viel Kraft wie möglich auf die Tasten bringen. Das kann er sich insofern leisten, als er technisch absolut sicher ist und jedes Risiko gehen kann.
Ziemlich ungeschickt
So war er schon, als er 2003 bei der ersten Kissinger KlavierOlympiade den 3. Preis gewann. Er schaffte es immer wieder, sogar das Orchester zuzudecken. Das hätte ja noch Konzeption sein können. Aber dass er immer wieder mit seiner dröhnenden rechten Hand die linke unhörbar machte, das war ziemlich ungeschickt.
Er blieb ja selbst dann ungerührt laut, wenn er vollkommen allein war, wenn er sich nicht wehren musste und stellte sich sogar da seine Gestaltungsräume zu. Dabei kann er einigermaßen leise spielen. Aber vielleicht fehlte ihm dazu die nötige Geduld.
Durchaus pünktlich war das Spiel mit dem Orchester. Gerstein beobachtete seine Kollegen recht genau, aber es schien ihn nicht sonderlich zu interessieren, was aus dieser Richtung an Impulsen kam.
Das hätte vielleicht anders sein können, wenn wenigstens Lionel Bringuier Handschrift und Kante gezeigt hätte. Aber er ließ zu, dass Kirill Gerstein ihn vor sich hertrieb. Er dirigierte lediglich Rhythmus und Einsätze, aber keinerlei Dynamik oder Gestaltung, auch nicht in Richtung des Solisten. So musste das Orchester von sich aus immer wieder in den Fortissimo-Modus schalten, um wahrnehmbar zu bleiben.
Aber wenigstens konnte man sich auf die solistische Streichereinleitung des langsamen Satzes freuen, zu der sich das Klavier erst einem langen Gesang gesellt. Das war wunderbar musiziert und bediente zumindest hier die emotionalen Aspekte der Musik. Und weckte die Hoffnung auf das Ende des Satzes, der mit dieser Passage auch wieder ausklingt.
An die Wand gedrückt
Es war ja nicht nur, dass - vor allem unnötige - Lautstärke beim Hörer Defensivkräfte wecken kann, sondern sie brachte auch das innere Gleichgewicht des Konzerts aus der Balance. Die beiden ersten Sätze waren derart ähnlich und wuchtig musiziert, dass manche Zuhörer meinten, es sei nur ein Satz gewesen. Das ist nicht so schlimm. Aber dadurch wurden die Sätze drei und vier an die Wand gedrückt.
Das abschließende Allegretto grazioso verlor dadurch sein Gewicht und seine Bedeutung als Finale. Spätromantik sieht eigentlich anders aus. Schade! Es war ja nicht das erste Mal, dass die drei Partner das Konzert zusammen gespielt haben. Mittlerweile geht man doch erheblich tiefgründiger und emotionaler mit dem Werk um. Aber auf ein Wiederhören mit den Dresdnern irgendwann einmal können wir uns freuen.