Bei der Festveranstaltung anlässlich 70 Jahre Bildungsstätte Heiligenhof spricht der Verfassungsrichter Michael Huber über die EU, ihre Verschleißerscheinungen und wie sie anstelle zu vieler Vorschriften eine Win-Win-Situation erreichen könnte.
"Die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union sind kein Selbstzweck", sagte Prof. Dr. Peter M. Huber bei seinem Festvortrag zum 70-jährigen Bestehen der Bildungsstätte Heiligenhof in Bad Kissingen und ergänzt: "Staatliche Gebilde sind für den Menschen da, nicht umgekehrt!" Kritisch mit der europäischen Struktur und deren Abläufen, engagiert für die "EU als Garant für Frieden" und kompetent aufgrund zwölfjähriger Tätigkeit als Richter am Bundesverfassungsgericht - so präsentierte sich der Festredner als "EU-Experte" den 100 geladenen Gästen.
70 Jahre Heiligenhof unter der Trägerschaft der Stiftung Sudetendeutsches Sozial- und Bildungswerk sowie 20 Jahre Akademie Mitteleuropa - dies waren die Anlässe für die Festveranstaltung, zu der Dr. Günter Reichert die Gäste begrüßte. Die Bedeutung der Bildungsstätte erkenne man nicht nur an der langen Zeitdauer ihres Bestehens, sondern auch dank eines Blickes nach draußen: Dort entsteht zur Zeit ein Anbau mit Küche, Speisesaal und Seminarräumen, der den Heiligenhof mit seinen vielfältigen Angeboten in die Zukunft tragen werde.
"Die europäische Union ist für die Menschen da" - so die Thematik des Festvortrages und gleich zu Beginn kündigte Huber an, dass es eine Reflexion aus seinem zwölfjährigen Richteramt am Bundesverfassungsgericht werde, in dem er sich intensiv mit europäischen Entscheidungen befassen musste. "Die Intension aller europäischen Verträge ist die Frage, wie können die Menschen nach ihrer Fasson glücklich werden", so Dr. Huber. Doch dieser grundsätzlich positive Ansatz entspreche nicht mehr dem Status Quo: "Es gibt eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit." Beispielhaft nannte Dr. Huber den Brexit, der noch nicht verarbeitet sei und dessen Ursache er sowohl bei der britischen Elite als auch bei europäischen Entscheidungsträgern sieht.
Schlechtes Zeugnis für Geldpolitik
Unter anderem diagnostizierte er zudem ein "Vollzugs-Defizit", denn Normen werden nicht umgesetzt beziehungsweise seien nicht durchsetzbar. Als Beispiel nannte er die Flüchtlingsströme und das zugrunde liegende "Dublin-III-Abkommen", dass das Asylverfahren dem Land zuordnet, wo die Flüchtlinge ankommen.
Ebenso stellte er der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) ein schlechtes Zeugnis aus - sowohl für die vergangenen Jahre als auch für die aktuelle Bekämpfung der Preissteigerungen. "Preisstabilität ist das wesentliche EZB-Ziel", so Hubers Diagnose, "jedoch ist die explodierende Geldpolitik inflationsfördernd gewesen".
"Brüssel und Luxemburg sind nicht Europa", so Hubers Statement. Vielmehr sei es "eine Blase, die nicht weiß, was bei den übrigen 450 Millionen EU-Bürgern los ist". Dies dokumentieren Umfragen, die eine Vertrauenskrise in Bezug auf die EU sehen, wenn nur noch ein Drittel der EU-Bürger Vertrauen in die Institution "Europäische Union" haben. Damit verbunden sei auch das "Gefühl, bei der EU geht es immer um Aufbruch, um das nächste Projekt". Beispielhaft nannte er die angestrebte Digitalisierung Europas, wobei "aber zu viele Baustellen zurückbleiben". Damit steige das Risiko, dass die EU zum Selbstzweck werde und immer da, wo "politische Herrschaft nicht mehr als legitim angesehen wird, verliert der Staat an Akzeptanz und es kommt zum Aufbegehren der Bürger".