Der totale Grieg

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Das Bergen Filharmoniske Orkester unter der Leitung von Eivind Aadland gastierte zum ersten Mal im Großen Saal. Fotos: Ahnert
Das Bergen Filharmoniske Orkester unter der Leitung von Eivind Aadland gastierte zum ersten Mal im Großen Saal. Fotos: Ahnert
Solvejgs Lied: Marita Solberg
Solvejgs Lied: Marita Solberg
 
"I Got Rhythm": Nikolai Tokarev
"I Got Rhythm": Nikolai Tokarev
 

Das Bergen Filharmoniske Orkester unter Leitung von Eivind Aadland spielte bei seinem Debüt im Regentenbau ausschließlich Werke des berühmtesten Sohnes der Stadt.

Den Grieg muss man den Bergenern nicht erklären. Nicht nur, weil der Komponist in der Hafenstadt am Byfjord geboren wurde und dort sein ganzes Leben verbracht hat, sondern auch, weil er zwei Jahre das Bergener Philharmonische Orchester geleitet hat. Das feiert in diesem Jahr sein 250-jähriges Bestehen. Und eigentlich ist es erstaunlich, dass es 29 Jahre warten musste, bis es zum ersten Mal zum Kissinger Sommer eingeladen wurde. Denn immerhin stammt die Intendantin aus Norwegen.
Auch aus Kissinger Sicht ist das schade. Denn der Auftritt des Bergen Filharmoniske Orkester war eine absolut positive Überraschung. Und das, obwohl es nicht mit seinem Chefdirigenten Andrew Litton, sondern mit Eivind Aadland gekommen war. Aber auch er kennt das Orchester schon seit einigen Jahren, und auch die Musiker scheinen zu wissen, dass sie sich auf ihn verlassen können - beste Voraussetzung für eine echte Zusammenarbeit auf hohem Niveau.

Griegs Musik von der Quelle

Das Programm war zur Gänze auf Edvard Grieg fokussiert. Und schon das erste Werk zeigte die Konzeption der Annäherung: messerscharf, mit starken Kontrasten musizieren und so die Musik zum Leben erwecken. Was zur Folge hatte, dass der Norwegische Tanz op. 35/4, in seiner thematischen Ausstattung eher schlicht, zu einer mitreißenden Angelegenheit wurde, zu einer kraftvollen Präsentation.

Keine Schonung für den Solisten

Und diese Kraft reichte hinüber in das a-moll-Klavierkonzert mit Nikolai Tokarev als Solist. Der war für diese Auseinandersetzung geradezu prädestiniert. Denn das Orchester machte schon mit den ersten Akkorden deutlich, dass es ihn nicht schonen würde. Tokarev nahm die Herausforderung an, hielt mit großer Kraft und Durchsetzungsvermögen dagegen. Aber er wusste auch sehr genau, wann das Orchester im Vordergrund steht, wann er lediglich Klangfarbe zu liefern hat. So entstand ein spannendes Miteinander, das zu wunderschönen Episoden zwischen Klavier und den Holzbläsern oder dem Solocello führte und verdeutlichte, dass Grieg in diesem Werk durchaus von der Volksmusik kommt. Als Zugabe spielte Nikolai Tokarev eine Paraphrase über "I Got Rhythm".
Ganz deutlich aus der Volksmusik schöpfte Edvard Grieg in seiner Schauspielmusik zu Henrik Ibsens dramatischem Gedicht "Peer Gynt" über einen Bauernsohn, der sich durch die Welt lügt. Aus dem Fundus dieser Musik gibt es zwei Suiten, aber Eivind Aadland hat eine eigene zusammengestellt, die er "Eine Geographie des Lügens" genannt hat. Die folkloristischen Einflüsse zeigten sich nicht nur darin, dass im zweiten Satz, "Halling" hinter dem Orchester ein Musiker mit einer typischen Hardangerfidel, einer Violine mit vier Melodie- und vier Resonanzsaiten auftauchte und zum Tanz aufspielte. Sondern es sind insgesamt eine ganze Reihe von Tänzen, die hier stilisiert werden. Und auch die Lieder, die Solvejg zu singen hat, stammen aus dem Fundus der norwegischen Volkslieder.

Großes Hör- und Sehvergnügen

Das Orchester malte diese Musik in kräftigen Farben, denn es geht ja zumindest im Reich der Trolle nicht gerade zimperlich zu. Es machte einfach Spaß, das hochmotivierte Orchester nicht nur zu hören, sondern auch zu beobachten. Und Eivind Aadland ist kein Dirigent, der seine Musiker in so einem Fall ausbremsen würde. Zumal auch die lyrischen, leisen Szenen wie das melancholische "Aases Tod" oder der Beginn der "Morgendämmerung" bezwingend leise gerieten.
Dazu kam Marita Solberg, die Sopranistin scheint so etwas wie die nationale Solvejg zu sein, die immer geholt wird, wenn "Peer Gynt" auf dem Programm steht. Sie hat die drei Lieder bestimmt schon hundert Mal gesungen. Und so konnte sie das einerseits auch im Regentenbau mit großer Gelassenheit tun. Andererseits vermied sie jeden Anflug von Routine und sang mit ihrer recht warm timbrierten Stimme und großer Innigkeit.
Eigentlich war das alles ja ganz anders geplant. Eigentlich sollten zu der Musik Bilder des Berliner Malers Alexander Polzin auf eine Großleinwand projiziert werden. Durchaus ein interessantes Vorhaben, denn "Peer Gynt" war ja ursprünglich eine Schauspielmusik, begleitete also ein textliches und optisches Ereignis. Und da Polzin ja auch in international tätiger Bühnenbildner ist, hätte das spannend werden können. Aber das Projekt scheiterte an technischen Insuffizienzen.
Die beiden Zugaben waren natürlich auch aus "Peer Gynt": "Troldtog" ("Der Zug der Zwerge") und "Dans av Dovregubbens datter" ("Tanz der Bergkönigstochter").