Niklas Frank berichtet von seinem Leben, wie sich der Massenmord an europäischen Juden auf die Täterfamilie ausgewirkt hat.
"Ich hatte eine goldene Kindheit." Er sagt nicht "glückliche". Er durfte alles. Er konnte lachen, wenn er bei einem Besuch in einem KZ sah, wie ausgemergelte Häftlinge von einem Esel abgeworfen wurden. Er konnte mit seinem Tretauto durch die langen Gänge des Wawel, der Burg von Krakau rauschen und sich an den entsetzten Gesichtern der Menschen freuen, denen er in die Hacken gefahren war. Er konnte das, weil er unangreifbar war. Schließlich war er der Sohn seines Vaters: Hans Frank war von 1939 bis 1945 Generalgouverneur in Polen und einer der größten Verbrecher an der Menschlichkeit. "Schlächter von Polen" wurde er genannt.
Jetzt war Niklas Frank zu einer Lesung im Rahmen der "Jüdischen Kulturtage" in den Sitzungssaal des Rathauses gekommen, um ein Beispiel zu geben, wie sich der Massenmord an den europäischen Juden auf die nachfolgenden Generationen auswirkte - in seinem Fall auf eine Täterfamilie. Wie Organisator Hans-Jürgen Beck erklärte, sollte Cilly Kugelmann (Jüdisches Museum Berlin) an einem eigenen Abend die Perspektive einer Opferfamilie übernehmen, aber sie war in Berlin unabkömmlich.
"Ich glaube nicht, dass mein Vater ein glühender Antisemit war. Zumindest hat er sich nie schriftlich dazu geäußert", sagt Niklas Frank. "Wenn Hitler zu ihm gesagt hätte: ,Die Oberpfälzer und Unterfranken sind Volksschädlinge. Sie müssen ausgerottet werden', dann hätte er das auch gemacht." Hans Frank sei vor allem macht- und karrieregeil gewesen, der den Führer geradezu angebetet habe. Und er habe seine Position gnadenlos missbraucht, um sich zu bereichern.
Niklas Frank war ein halbes Jahr alt, als die Familie von Berlin nach Krakau zog. Er hat aus dieser Zeit nur wenige Erinnerungen an seinen Vater. Nur eine Begegnung war für ihn prägend, legte den Grundstein für die wachsende Distanz zwischen Vater und Sohn: Da verfolgte Ersterer den Drei- oder Vierjährigen rund um den Esstisch und wiederholte den Satz: "Du bist ein Fremdi!" Das Kind konnte nicht wissen, worauf das abzielte: Für ihn kamen drei Väter in Frage. Aber er fühlte sich abgewiesen, ungeliebt: "Diese Distanz war meine Rettung."
Als Hans Frank im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher am 1. Oktober 1946 zum Tode verurteilt und am 16. Oktober durch den Strang hingerichtet wurde, war Niklas sieben Jahre alt, da verstand er schon mehr. Da war ihm wohl schon klar, dass der Tod des Vaters unausweichlich und konsequent war. Mitleid hatte er nicht.
Zynismus aus Notwehr
Letztlich waren es wohl die Jahre seiner Schulzeit in einem Internat auf Föhr, in denen er zu begreifen begann und erste Nachforschungen anstellte. Je mehr er in Archiven und in Gesprächen mit seinen Geschwistern über den Vater herausfand, desto stärker wurde sein Zynismus aus Notwehr ihm gegenüber. Der Tag der Hinrichtung des Vaters wurde für Niklas Frank zum Feiertag.
Es ist bezeichnend für den Umgang und den Status der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit: Als Niklas Frank - 42 Jahre nach Ende des Dritten Reiches - mit seinen Recherchen an die Öffentlichkeit ging und 1987 das Buch "Der Vater. Eine Abrechnung" herausbrachte. Es sorgte für Aufsehen aufgrund seiner schonungslosen Offenheit. Aber es sorgte auch für starke Kontroversen, vor allem, weil er darin behauptete, als Jugendlicher zu der Vorstellung, wie sein Vater gehängt worden sei, aus Hass auf ihn masturbiert zu haben. Im Hintergrund stand aber wohl eher das Erschrecken, dass dieses Buch das kollektive milde Verdrängen beschädigte. Denn eigentlich hatten die Deutschen sich darauf verständigt, dass sie mit den Gräueln des Dritten Reiches nichts zu tun hatten. "Das waren immer nur die Nazis", und das waren einige wenige. Man hatte ja von nichts gewusst.
Mut zur Zivilcourage fehlt
Dass mit der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunden keine Stunde Null eintrat, zeigt Niklas Frank in seinem Buch "Dunkle Seele, Feiges Maul", das im Oktober 2016 erschien, in dem er ein Konzentrat aus 4000 Akten von Entnazifizierungsverfahren zusammengestellt hat. Sie sind voll von Verdrehungen und Beschönigungen. Da wird nicht von Tätern geschrieben, sondern von Betroffenen, nicht von Reichspogromnacht, sondern von der "Nacht der Judenausschreitungen". Der Rechtsradikalismus und Antisemitismus schleichen weiter durch die Gesellschaft. Was den Deutschen damals fehlte und heute noch häufig fehle, sei die Fähigkeit zur Empathie. Und der Mut zur Zivilcourage. Das zeige sich auch an einer Stelle: "Man kann nicht sagen, dass sich die heutige Jugend für derartige Themen nicht interessiert. Ich werde immer wieder in Schulen eingeladen. Aber dazu braucht es einen mutigen Lehrer."