Das Philharmonische Orchester Coburg genoss beim Eröffnungskonzert des Kissinger Winterzaubers hörbar die klare Akustik des Großen Saals im Regentenbau. Solist Andreas Martin Hofmeir bot dem Orchester Paroli.
Jetzt ist der 16. Kissinger Winterzauber also auch offiziell eröffnet mit dem Gastspiel des Philharmonischen Orchesters Coburg und seinem Chefdirigenten Roland Kluttig. Es war ein mutiger Einstieg aus mehreren Gründen: Das Konzert setzte auf mehrere vor Ort ungekannte Größen. Aber um es gleich vorweg zu sagen: Der Mut hat sich gelohnt.
Der Name Kluttig hat in Bad Kissingen auch nach 25 Jahren immer noch einen sehr guten Klang.
Christian Kluttig, der Vater des heutigen GMD, war es, der vier Monate vor dem Mauerfall mit seiner Hallenser Truppe zum ersten Mal die Händelsche Barockoper - damals war es "Rinaldo" - ins Kurtheater brachte und weitere hochinteressante Aufführungen folgen ließ. Die historisch informierte, unverkrampfte Spielart, die man in der DDR gar nicht erwartet hatte, löste ein Staunen aus, das bis heute nachwirkt.
Sohn mit eigenem
Profil Natürlich ist es müßig zu hinterfragen, wie sehr der Sohn nach dem Vater geraten ist. Natürlich gibt es erkennbare Parallelen, hat er, auch zwangsläufig, einiges von ihm abgeschaut. Aber er hat letztlich doch ein ganz eigenes Profil. Roland Kluttig hat es auch in Bad Kissingen nicht nötig, sich über seinen Vater zu definieren.
Er ist ein Dirigent, der mit seinen Coburgern Erstaunliches leistet, die er ausgezeichnet auf Vordermann gebracht hat. Und er ist ein Mann mit lückenlosen, musikalisch durchwegs überzeugenden Konzepten, die er in einer offensichtlich wirkungsvollen Probenarbeit seinen Leuten recht gut vermitteln kann.
Bei der Aufführung im Großen Saal hatte er keine Mühe, mit seiner präzisen Schlagtechnik immer Herr des Verfahrens zu sein, ohne sich anstrengen zu müssen
- zumal das Orchester sehr sensibel auf seine dynamischen Korrekturen reagierte.
Das Orchester war die größte Überraschung in der Reihe der Unbekannten. Es ist das vielbeschäftigte Hausorchester des Coburger Landestheaters und fest eingespannt in einen dichten Spielplan. Es ist sozusagen ein Arbeitstier, das man nie sieht, nur hört und das mit den Tücken der Akustik des Grabens zu kämpfen hat.
Und selbst bei "oberirdischen" Sinfoniekonzerten macht die schluckende Portalbühne in dieser Hinsicht Probleme. Umso erstaunlicher und erfreulicher war es, dass die Musiker sich angesichts der klaren Akustik des Großen Saales, in der sie sich auch selbst hören konnten, nicht erschrocken zurückzogen, sondern die Situation zu genießen schienen und ohne innere Handbremse spielten. Da durfte es dann schon auch mal so richtig krachen.
Kleine Schwächen Wollte man beckmessern, könnte man auf gelegentliche kleine Konzentrationsschwächen verweisen. Aber die konnten den guten Gesamteindruck, den das Orchester sowohl bei den Streichern als auch bei den Bläsern hinterließ, nicht trüben.
Die dritte Unbekannte war das für ein Eröffnungs- und Repräsentationskonzert durchaus mutige Programm, das nicht unbedingt den
geschmacklichen Erwartungen des Schallplatten sammelnden Musikliebhabers entsprach: skandinavisch eingenordet mit Hugo Alfvéns "Dala-Rhapsodie" op. 47 und der 2. Sinfonie von Jean Sibelius.
Zuhörer verließen den Saal Und dazwischen auch noch ein Solokonzert eines noch lebenden Komponisten: das Konzert für Tuba und Orchester op. 67/1 von Jörg Duda. Alles keine Weihnachtsplätzchen.
Und bei dem Duda-Konzert gab es immer noch Leute, die möglichst geräuschvoll den Saal verließen, um zu demonstrieren, dass so etwas mit ihnen nicht zu machen ist.
Was haben sie versäumt? Eine witzige, pfiffige, nebenbei auch für alle enorm virtuose, rhythmisch höchst spannende Musik, die ein bisschen die Klassik ironisiert und mit ihren Melodien spielt, sie vielschichtig übereinander türmt.
Und einen Andreas Martin Hofmeir, der sich mit seiner Tuba und mit der Gleichmütigkeit des Bajuwaren und seines in sich ruhenden Humors den enormen virtuosen Anforderungen des Soloparts stellte und dem Orchester Paroli bot. Wobei das Staunen über Hofmeirs glänzende Technik zwar groß war, aber doch in den Hintergrund trat zugunsten des intensiven, singenden zweiten Satzes.
Eine schöne Einstimmung war Alfvéns Rhapsodie, die sich aus der Volksmusik rund um den
Siljansee speist, aber eben doch stark ästhetisiert ist. Und Roland Kluttig erlag nicht der Versuchung, die tänzerische Folklore plakativ herauszuarbeiten, sondern hielt sie auch in dem stark akzentuierten Tanzsatz bedeckt. Das Resultat war eine wohltuende Distanz und ein genaues Ausformulieren, das das genaue Hinhören beförderte und das die Musik zwar leicht melancholisch werden ließ, aber nie, was ihr gerne nachgesagt wird, traurig.
Man konnte sich das Werk auch sehr gut als seriöse Filmmusik vorstellen.
Glasklare Strukturierung Das fiel bei Sibelius 2. Sinfonie natürlich schwerer, dazu ist sie zu wenig beliebig und über weite Strecken auch zu massiv. Aber Roland Kluttig hatte mit seinen Leuten eine glasklare Strukturierung herausgearbeitet und als starker Rhythmiker und Dynamiker so plastisch aufbereitet, dass sie nie ihre Spannung verlor
- nicht einmal in den wichtigen Generalpausen. Und die starken Crescendi waren so gut kalkuliert und aufgebaut, dass ihre Wirkung nie zu früh vergeben war.
Dazu kam der durchgehende enorme Vortrieb, mit dem das Orchester musizierte. Es hätte nur zu Beginn ein bisschen mehr der ungewohnt guten Akustik und ihrer Tragfähigkeit trauen können: Die allerersten, leise pulsierenden Takte wären dadurch nämlich geheimnisvoller geraten.