Das Ende von Elektrometall in Bad Brückenau ist besiegelt

3 Min
Rolf Dietrich vor dem Betriebsgebäude. Foto: Ralf Ruppert
Rolf Dietrich vor dem Betriebsgebäude. Foto: Ralf Ruppert
Helga Zeier aus Riedenberg (links) umwickelt einen der letzten Kabelsätze für den Mercedes Vario. Im Hintergrund schaut ihr Elfriede Strigl zu.
Helga Zeier aus Riedenberg (links) umwickelt einen der letzten Kabelsätze für den Mercedes Vario. Im Hintergrund schaut ihr Elfriede Strigl zu.
 
Peter Schmitt beim Einstellen einer Maschine
Peter Schmitt beim Einstellen einer Maschine
 
 
 
 
Verschiedene Vario-Modelle
Verschiedene Vario-Modelle
 
 
 
Peter Schmitt beim Einstellen einer Maschine
Peter Schmitt beim Einstellen einer Maschine
 

Gut 60 Jahre nach der Gründung werden bei der Elektrometall GmbH in dieser Woche die letzten Kabelstränge ausgeliefert. Betriebsleiter Rolf Dietrich und seine 26 verbliebenen Kollegen haben kaum eine Perspektive.

Schon tausende Male hat Peter Schmitt das Werkzeug gewechselt, trotzdem war es gestern etwas anderes: Zum letzten Mal stellte er die Maschine für einen bestimmten Kontakt ein. Seit 1989 ist der zweifache Familienvater bei Elektrometall in Bad Brückenau beschäftigt, fertigte Kabelsätze für den Mercedes Vario.

In diesem Monat läuft die Produktion des Modells aus, mit dem Vario stirbt auch der kleine Zulieferer, im Februar ist für Peter Schmitt dann endgültig Schluss: "In dem Alter ist es halt relativ schlecht", sagt der 52-Jährige, und: "Kann sein, dass ich was finde, kann sein, dass ich nichts finde, man kann halt nichts sagen." So sieht Existenzangst aus.

Peter Schmitt wohnt in Thulba, seine Söhne sind 11 und 13 Jahre alt. "Zum Glück arbeitet meine Frau als Erzieherin in Hammelburg", sagt er. Der 52-Jährige ist einer der wenigen, die in der Elektrometall-Belegschaft eine Ausbildung haben, Maler und Lackierer hat er einst gelernt, aber: "Das ist schon zu lange her, beim Arbeitsamt zählt das schon gar nicht mehr."

Bei seiner Kollegin Elfriede Strigl ist es noch schlimmer: Die 53-Jährige ist seit mehr als 37 Jahren im Betrieb. "Damals hieß es, dass eine Frau eh' keine Ausbildung braucht." Sie wurde an der Maschine angelernt, und los ging's. Nach dem Neubau 1988 wurde sie zur Vorarbeiterin. "Das zählt natürlich außerhalb von Elektrometall gar nichts", berichtet sie, dass ihr beim Arbeitsamt schon signalisiert wurde, dass sie auf mehr als Fertigungshelferin nicht zu hoffen braucht. Oder sie solle auf Altenpflegerin umschulen: "Das muss ich dann halt ausprobieren", weiß Elfriede Strigl selbst noch nicht, wie es weiter geht. Schließlich endet die Kündigungsfrist der Roßbacherin erst im März. "Ich hab's gern gemacht", blickt sie mit Wehmut zurück. Und: "Das war nicht wie ein Betrieb, sondern wie eine große Familie."

Zu den verbliebenen 26 Mitarbeitern, die nicht wissen, wie es weitergeht, gehört auch Betriebsleiter Rolf Dietrich. Seit 27 Jahren ist der Elektro-Installateur-Meister bei Elektrometall. "Wir waren mal 190 Leute", erinnert er sich an goldene Zeiten. "Seit 20 Jahren geht es eigentlich immer mehr zurück." Das Ende war zwar absehbar, trotzdem hatte Dietrich Hoffnung bis zuletzt, dass es doch weitergeht.


300 Variationen des Vario

Die Ursache für die Misere beim kleinen Zulieferer in Bad Brückenau ist die Einführung der Euro 6-Norm: Mercedes entschied sich dagegen, den Vario mit neuem Motor herauszubringen. "Ende September läuft der letzte Vario vom Band", sagt Dietrich. In Ludwigsfelde wurde er gebaut, in Bad Brückenau entstanden sämtliche Kabelsätze: Alleine 350 Leitungsfarben und -querschnitte sind dafür notwendig. 300 Variationen gab es, insgesamt zwei Kilometer Kupferkabel mit zig Steckern sorgten dafür, dass Blaulichter leuchteten, sich Ladeflächen hoben oder Warnlichter angingen.

Kurz vor Schluss kam noch ein Boom: "Wir haben heuer bis September 2950 Fahrzeuge ausgestattet, im ganzen vergangenen Jahr waren es nur 2700", berichtet Dietrich. Dass das möglich war, lag an der befristeten Einstellung von zwölf Mitarbeitern und daran, dass alle bis zum Schluss mitmachten: "Die Mannschaft hat das mit extremen Einsatz und pflichtbewusst zu einem guten Ende geführt", lobt der Betriebsleiter.

Dafür gab es aber dann auch für alle noch ein Trostpflaster: "Wir haben lange und gut gefightet", berichtet Betriebsratsvorsitzende Margit Kömpel über die Verhandlungen zum Sozialplan. Am Ende seien Abfindungen herausgekommen, die deutlich über dem halben Monatsgehalt pro Jahr Betriebszugehörigkeit liegen.

Anfänge Der Schwabe Friedrich Nesper und der Wuppertaler Curt Dost schlossen am 22. Oktober 1952 einen Gesellschaftervertrag und einen Tag später einen Industrieansiedlungsvertrag mit der Stadt Brückenau. Die Anfänge der Firma "Elektrometall GmbH" geht auf Verbindungen zum damaligen Bürgermeister Dr. Egid Trost (von 1952 bis 1970 im Amt) zurück. Seine Wirtschaftsförderung ging so weit, dass die Stadt eine "Wehrertüchtigungshalle" in Werberg ab- und als Werkshalle in der Kissinger Straße aufbauen ließ. Diese Halle - mehrfach erweitert und heute unscheinbar hinter einer Werkshalle von "Reifen Müller" gelegen - beherbergt bis heute die Firma.

Produktion 1953 trat Josef Christian Körling als Geschäftsführender Gesellschafter ins Unternehmen ein, am 15. Februar 1953 folgte die Gewerbeanmeldung. Am Anfang stand die Produktion von Kabelsätzen für die Marke Borgward, die 1961 Pleite ging. Es folgten Kooperationen mit Miele, Ford, Hanomag und ab 1963 mit Mercedes. Ab Mitte der 60er Jahre wurde vor allem das Mercedes-Benz-Werk in Düsseldorf beliefert. 1986 verkaufte Rolf Körling den bis dahin als Familienunternehmen geführten Betrieb mit 110 Beschäftigten. Durch Aufträge für BMW stieg die Mitarbeiterzahl bis 1991 auf 170. Mit der Grenzöffnung und der Konkurrenz durch osteuropäische Länder kam der jähe Einbruch. Zuletzt blieb nur die Zulieferung für den "Vario". Eigentümer ist aktuell Nexans Autoelectric.

Heimarbeit Über Jahrzehnte wurde für Elektrometall auch in Heimarbeit gefertigt: In vielen Orten bauten Menschen in Wohnzimmern oder ausgebauten Kellern Kabelsätze zusammen.
Dateiname : 
Dateigröße123 : 
Datum : 
Download : jetzt herunterladen
Dateiname : 
Dateigröße123 : 
Datum : 
Download : jetzt herunterladen