Arthur Dannhäuser wurde in Großwenkheim geboren, war fünf Jahre lang Schüler von Joseph Beuys, wurde bekannt in der Düsseldorfer Künstlerszene und hatte international Erfolg. Seit 2004 lebte er zurückgezogen in Bad Kissingen.
Das berühmte Gedicht von Friedrich Rückert geht einem immer wieder durch den Kopf, vor allem die erste Strophe: "Ich bin der Welt abhanden gekommen,/Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,/Sie hat so lange nichts von mir vernommen,/Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!" "Ich", das ist in diesem Fall der Maler und Bildhauer Artur N. Dannhäuser, der vor einigen Tagen achtzigjährig in Bad Kissingen gestorben ist und im engsten Familienkreis beigesetzt wurde. Das ist, so bedauerlich und traurig der Verlust ist, ein ganz normaler Vorgang, dass ein Mensch aus dem Leben und aus seinem Umfeld gerissen wird. Aber hier war eines etwas anders.
Wie soll man einen Nachruf über einen Menschen schreiben, den man selbst nicht gekannt hat, obwohl er fast zwei Jahrzehnte in derselben Stadt nur ein paar Straßen weiter gelebt hat, der einem nie begegnet ist, auch nicht in seinem Metier, der Kunst? Über den weder im Zeitungs- noch im Stadtarchiv mit seiner Meldekartei irgendetwas zu finden ist. Und sogar örtliche Künstler und Kenner der Szene am Telefon sagen: "Artur Dannhäuser? Den Namen kenne ich nicht." Und die das keineswegs einfach so hinsagen.
Das Internet muss erste Hinweise liefern. Wikipedia hat Artur Dannhäuser noch nicht entdeckt. Aber es findet sich eine kleine, aber informative Website unter dem Titel "Artur Dannhäuser - Der Künstler und Bildhauer" und damit ein erster Ansatzpunkt für die Recherche: Artur N. (das steht für Norbert) Dannhäuser wurde 1940 in Großwenkheim geboren. Damit ist der erste Anruf klar. Wenn ihn jemand in dieser Zeit gekannt hat, dann kann das nur Anton Then sein. Der kennt jeden im Ort, nicht zuletzt deshalb, weil er viele Jahre als freier Mitarbeiter der Münnerstädter Zeitung in die Häuser kam. "Nein", sagt er, "Spielkameraden waren wir nicht, denn der Artur Dannhäuser war zehn Jahre älter als ich. Aber natürlich habe ich ihn und die ganze Familie gekannt."
Das müssen sehr einfache Verhältnisse gewesen sein. Der Vater war Heimschneider und zog mit seinen Buben an den Sonn- und Feiertagen durch die Wirtshäuser, um ein paar zusätzliche Groschen zu verdienen. "Ich erinnere mich auch, dass der Artur und sein Bruder Albin Mundartgedichte geschrieben und bei solchen Gelegenheiten vorgetragen haben." Und dass sie an Fasching in die Bütt geklettert sind.
Anton Then ist auch im Besitz eines Buches, das ihm Artur Dannhäuser 2002 geschenkt hat. Der Titel weckt Erwartungen: "Die frommen Bürger von ,Grobhausen'". Wie Entenhausen ist auch Grobhausen überall, aber man macht keinen Fehler, wenn man den Namen durch Großwenkheim ersetzt. Denn schon der erste Satz liefert die Bestätigung: "Ich erblickte in ,Grobhausen' das Licht der Welt und sagte dazu gar nichts."
Das Buch, das Artur Dannhäuser in einer kleinen Auflage im Selbstverlag 1988 mit einem Zuschuss des Düsseldorfer Kulturamts herausgegeben hat, ist zum einen ein relativ grobmaschiges Tagebuch, das schon deshalb authentisch wirkt, weil es handschriftlich verfasst ist - seine Frau und Freunde haben es ins Englische, Französische, Spanische und Japanische übersetzt. Zum anderen gibt es durch die Reproduktion von vielen Zeichnungen (farbige Abbildungen wären vermutlich zu teuer geworden) einen Einblick in die Entwicklung und Technik des Künstlers. Das Tagebuch zeigt die nicht untypische Situation eines Kindes aus prekären Verhältnissen, auf das die Dorfbevölkerung herabblickt, die es mobbt und ausbeutet und das das gar nicht anders kennt: Auf 1948 bezieht sich der Eintrag: "Ich hütete eine Kuh und ihr Kälbchen. Auf einem Foto, das man nach der Schule geknipst hatte, sehe ich aus wie ein Zigeuner. " Oder drei Jahre später: "Ich habe das Motorrad meines Lehrers geputzt. Er hatte mir dafür 50 Pfennige versprochen." Aber auch: "Ein Klassenkamerad schenkte mir in den Schulpausen öfter sein Butterbrot." Andererseits: "Man zwang mich, den übelsten Bauern bei der Feldarbeit zu helfen, damit ich wenigstens etwas zu essen bekam." Und immer wieder "Angst vor dem Hochwürden", "Angst vor den Eltern", "Angst vor dem Lehrer".
Für Artur Dannhäuser änderte sich die Situation erst, als er "Grobwenkheim" 1954 zumindest vorübergehend verlassen konnte und einige Zeit in einem Sozialwerk arbeitete. Ein Jahr später bekam er eine Lehrstelle bei einer Malerin und Bildhauerin in der Nordeifel, 1956 wechselte er für drei Jahre an die Holzschnitzschule in Bischofsheim und anschließend an die Würzburger Kunstschule, und er nahm dazu Privatunterricht.
Ein Einschnitt in seinem Leben und in seiner Ausbildung war 1963, als Joseph Beuys ihn als Studenten in seine Klasse an der Düsseldorfer Kunstakademie einlud - durchaus ungewöhnlich, denn eigentlich war der schlagzeilenträchtige Professor dafür bekannt, dass er Studenten möglichst bald und ohne Wiederkehr fortschickte. Fünf Jahre studierte er bei Beuys, zuletzt als Meisterschüler.
Nach dem Abschluss wurde er Kunsterzieher an einer Realschule im westfälischen Espelkamp. Aber das war nicht seins. Nach fünf Jahren kündigte er, denn er wollte lieber als freischaffender Künstler arbeiten. Er tauchte ein in die Düsseldorfer Künstlerszene, übernahm auch Funktionen, und er wurde bekannt. Noch im selben Jahr hatte er erste Einzelausstellungen, war an Sammelausstellungen beteiligt - und das quer durch Deutschland. Museen tätigten erste Ankäufe. Und er wurde international mit Werkschauen in Amsterdam, Paris, New York und Tokio gewürdigt.
Der immer hungrige Schneiderbub war angekommen in der Leichtigkeit des Lebens und dem Trubel der Kunstwelt. "Zum Glück habe ich in all den Jahren das Lachen nicht verlernt; damit meine ich auch das Lachen über mich selbst. Und dies ist zugleich Teil meiner eigenen Philosophie", notierte er in ein Buch. Das war vor 1988.
2004 kam der große, für alle überraschende Bruch: Artur Dannhäuser brach in Düsseldorf seine Zelte und Beziehungen ab und zog mit seiner Frau nach Bad Kissingen. Erklärt hat er sich darüber nie. Die Familie steht heute noch vor einem Rätsel. "Er ist den Weg nach innen gegangen", sagt sein Bruder Dr. Albin Dannhäuser. Vielleicht war ihm der Lärm der Stadt und der gnadenlose Trubel des Kunstbetriebs zu viel geworden, vielleicht war ein Auslöser, dass ihm mehrere Skulpturen gestohlen wurden: "Wir können da nur raten."
Immerhin wurde 2006 im Kloster Maria Bildhausen noch einmal eine kleinere Ausstellung mit Zeichnungen gezeigt. Aber die Hoffnung von Artur Dannhäuser, dort ein paar Räume für eine Dauerausstellung (und wohl auch Galerie) zu bekommen, erfüllte sich nicht. Der Künstler verschwand aus der Öffentlichkeit.
Der Mensch allerdings nicht. Manche Kissinger erinnern sich jetzt, wenn sie sein Bild sehen, dass sie ihm gelegentlich begegnet sind. Schließlich musste er ja auch Inspirationen sammeln.
Auch wenn er sich der Öffentlichkeit und ihrer Beachtung entzogen hatte, wusste Artur Dannhäuser immer ganz genau, was um ihn herum und in der Welt passierte, und er griff die Themen auf. Und er arbeitete geradezu unerbittlich. Er konnte das tun, weil seine Frau ihm finanziell den Rücken freihielt. Rund 20.000 Blätter von der Bleistiftzeichnung bis zur Gouache, kleine und große Installationen, Holzskulpturen und vieles mehr haben sich in der Wohnung angesammelt. Stilistisch und maltechnisch war Dannhäuser immer offen, hat viel experimentiert in dem weiten Raum zwischen Provokation und Anmutung, hat vor allem in seiner Düsseldorfer Zeit viel mit bunten Farben gearbeitet.
Wer die Bilder sieht, muss immer wieder schmunzeln. Viele fantastisch gezeichnete Porträts sind darunter, von realistisch bis entglitten, aber nie karikiert. Albin Dannhäuser hat die Gedankenwelt und Absichten seines Bruders einmal so beschrieben: "Dannhäuser versteht seine Bildsprache als Sehhilfen zur Selbst- und Welterschließung. Er will durch seine Kunst zum kritischen Dialog über "Wahr- Nehmungen" anregen.
Deshalb kultiviert er seine Kunst konsequent als Kommunikation mit ästhetischen Mitteln. Er führt den Betrachter von der Sinneswahrnehmung zum Sinnverständnis und regt zur gesellschaftlichen Reflexion der Wirklichkeit an - gerade angesichts ihrer überbordenden medial- fiktionalen Inszenierung. In seinen Psychogrammen kartografiert er Seelenzustände, Kränkungen, Abgründe, und Hoffnungen des Menschen in der Moderne. Er bringt seine Formen zum Flirren und Irrlichtern, seine psychedelischen Farbwelten zum Tanzen.
Für das Ausspielen von Illusion und Wirklichkeit hat Artur Dannhäuser vor einigen Jahren einen neuen, besonderen und faszinierenden Weg gefunden: das "Überschleifen von Fotos" Darauf gekommen ist er, als er ein beschädigtes eigenes Passfoto gesehen hat, das ihm ein ganz anderes, weniger oberflächliches Gesicht zeigte. Und so nimmt er Fotos oder Plakate und bearbeitet sie mit feinem Schmirgelpapier, entfernt sozusagen das Makeup. Letztlich kommt natürlich immer das weiße Papier zum Vorschein, aber bevor es soweit ist, bilden sich überraschende, auch fremde Strukturen in den Gesichtern, die sie zum Teil spektakulär verändern.
Dass genau zu diesem Verfahren ein Kamerateam des BR 2018 einen viertelstündigen Film drehen konnte, geschah mitnichten auf Wunsch des Künstlers. Aber er musste mitspielen. Denn sein Bruder Albin Dannhäuser war nicht nur viele Jahre Vorsitzender des BLLV, sondern auch Mitglied im Rundfunkrat des BR. Da war Widerstand zwecklos.
Albin Dannhäuser und seine Schwägerin Ute Schmidt-Dannhäuser müssen und wollen jetzt ein anstrengendes Erbe antreten: Sie müssen die riesige Sammlung sortieren und erfassen, damit sie wenigstens einen Teil der Öffentlichkeit zugänglich machen. Albin Dannhäuser: "Schade, dass er sich keinen Namen machen wollte. Wir sind noch etwas ratlos, wie wir damit umgehen sollen. Aber einige exklusive Werke haben das Licht der Öffentlichkeit wirklich verdient."
Übrigens: In Großwenkheim, am Ortsausgang in Richtung Seubrigshausen, steht an der Straße ein ungewöhnlicher Bildstock, den Artur Dannhäuser geschnitzt hat. Und auch die Krippenfiguren für die Kirche hat er im Auftrag des damaligen Pfarrers geschnitzt. Aber wegen der Schließung der Kirche können sie zurzeit nicht aufgestellt werden.