Ein Rucksack, drei Ratten und fünf leere Joghurtbecher - das sind Neo und Motte. Die zwei tauschen die Reeperbahn mit der Kurstadt, wenn auch nur zeitweise.
Nur ein paar ausländische Münzen liegen in den Plastikbechern, die Neo und Motte aufgestellt haben. Ihre richtigen Namen möchten die beiden nicht verraten - auch, damit ihre Angehörigen nicht mit Fragen behelligt werden. Stattdessen nennen sie sich schlicht "Hippiepunks". Neo ist 32 Jahre alt, seine Freundin Motte erst 18. Eigentlich leben sie in Hamburg, ihr Zelt haben sie unter einer Lkw-Brücke aufgeschlagen, schreiben die beiden in einem Brief, der die Redaktion in der vergangenen Woche erreichte.
Die zwei Obdachlose machen, wenn man so will, Urlaub in der Kurstadt. "Eine sehr schöne Stadt", sagt er und sie ergänzt: "Die Leute sind total freundlich." Neos Mutter lebt hier, bei ihr kann das Paar zeitweise unterkriechen. Ihr Zelt haben sie trotzdem immer dabei. Sobald die größte Hitze des Sommers vorbei ist, möchten sie sich auf den Weg nach Santiago de Compostela machen. Der Jakobsweg ist für die beiden das nächste große Ziel. Ihre drei Hausratten werden sie mitnehmen. Mit etwas Glück gesellt sich bis dahin noch ein Hund dazu.
Traumstadt Hamburg
Neo kennt die Region gut. Drei Ausbildungen, so sagt er, habe er abgeschlossen, die erste beim Steinmetzbetrieb Walter Koch in Nüdlingen. Trotzdem lebt Neo auf der Straße seitdem er 14 Jahre alt ist. "Ich bin ein Heimkind", sagt er, als sei dieser Satz Antwort genug auf die Frage, warum er das tue. "Die meisten, die ich auf der Straße kennenlerne, sind Heimkinder."
Motte ist kein Heimkind. Sie stammt aus dem Freiburger Raum. Ihre Ausbildung im Orgel- und Harmoniebau habe sie abgebrochen, "leider". Sie wollte raus von zuhause, das Umfeld habe nicht mehr gepasst. "Hauptsache ans Wasser, so weit weg, wie es geht." Hamburg ist ihre Traumstadt. Gleich am Bahnhof trifft sie Neo, Liebe auf den ersten Blick sei das gewesen. Für immer? "Definitiv", sagt sie und er: "Ich hoffe es."
Ihr Leben ist nun alles andere als geordnet. "Pisser, Penner, geh' arbeiten, Abschaum, Dreck an der Seite der Straße", bekomme sie oft zu hören - wohl eher in Hamburg als in
Bad Kissingen. Die beiden sagen, dass sie bewusst keine Sozialleistungen vom Staat in Anspruch nehmen. Sie geben dem Staat auch nichts. "Wir [...] haben es satt, dem Staat das hart verdiente Geld in den A... zu blasen. Wir haben es satt, wie Schachfiguren in eurem System hin- und hergeschoben zu werden", steht in dem Brief. In der Brunnengasse, draußen, die Sonne im Gesicht, ergänzt die junge Frau ihre Kritik noch: "Das Jugendamt sollte auch in ,heile' Familien reinschauen. Da ist das Familienbild nach außen Friede, Freude, Eierkuchen und in Wirklichkeit ist alles anders."
Polizei lässt das Paar gewähren
Die Polizei lässt das Paar gewähren. Es werde "gebilligt", nennt es Stefan Haschke, Leiter der Polizeiinspektion Bad Kissingen, denn Betteln sei grundsätzlich nicht verboten. Die Satzung der Stadt Bad Kissingen aber untersage "aufdringliches Betteln", etwa wenn Passanten angefasst und regelrecht bedrängt würden. Neo und Motte machen das nicht. Im Gegenteil, sie unterhalten sich zwanglos mit den Menschen, die etwas Zeit mitbringen. Und sie freuen sich, wenn zuhause in Hamburg Bekannte und Freunde sie hin und wieder bei sich Duschen oder die Kleidung waschen lassen.
Wie lange das so weitergeht? "Bis ich meinen Spaß dran verliere", sagt Motte fast trotzig. Ein Leben lang könne sie sich das aber nicht vorstellen. Eine Ausbildung machen, arbeiten - irgendwie scheint dieses Leben für die junge Frau doch gar nicht so weit weg zu sein. Und Neo? Er sagt, er sei psychisch krank, nehme Medikamente. Aktuell sammelt er Geld, 900 Euro insgesamt, die ein Gericht ihm auferlegte, weil er einen Polizisten zu Boden gedrückt hatte.
In Bad Kissingen zu bleiben, ist keine Option. "Zu ruhig für uns", kommentiert Motte. Kein Wunder, denn normalerweise erschnorren sich die beiden ihren Lebensunterhalt gegenüber der Davidwache an der Reeperbahn.
Nun es ist bereits das zweite Mal, dass ein Hauptartikel Obdachlosen gewidmet wird oder soll man besser Bettler sagen? Zuerst war es der seit vielen Jahren in Kissingen herum sitzende und durchaus arbeitsfähige Mann der erst an der Post und jetzt am Einkaufsmarkt Kupsch herum sitzt. Der zwar niemanden etwas tut, aber wenn man ihn fragt, warum er nicht arbeitet, durchaus sehr unfreundlich werden kann. Ich würde ihm jedenfalls nichts in Topf werfen.
Nun bringt man einen Bericht über zwei Obdachlose von der Reeperbahn. Ganz ausführlich will man den Eindruck erwecken, dass es doch eigentlich arme Leute sind, die aber nichts tun, die fröhlich und glücklich mit ihrem Leben sind. Es sollte dem Verfasser aber schon klar sein, wenn man schreibt, dass der Mann psychische Probleme hat und einen Polizisten niedergedrückt und damit verletzt hat, dass man über so jemanden schon mal gar keinen Bericht schreiben muss.
Es gibt sicherlich Außenseiter, die ärmer dran sind und über die sich eher lohnen würde ein Bericht zu schreiben als über jemanden die Polizisten zusammengeschlagen und in einem Krankenhaus liegen, weil sie Menschen in Gefahr beschützt haben. Es gibt Sie, die Obdachlosen, wo man gerne hilft, weil man weiß sie werden immer auf der Straße bleiben und hier ist Hilfe selbstverständlich.
Bei den hier genannten drei Personen besteht kein Handlungsbedarf und schon gar keine Promotion durch die Zeitung.